Das Geheimnis der Baumeisterin. Petra Block

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Название Das Geheimnis der Baumeisterin
Автор произведения Petra Block
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847682066



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Rikeland dachte an die alte Benedicta, die das Rätsel um die beiden Engelsfiguren mit in den Tod genommen hatte. Mochte nie jemand hinter dieses Geheimnis kommen, das nun er ganz allein bewahrte und welches sich im Fußboden seines Kontors befand, gemeinsam mit der Hand seines Sohnes Bernhard.

      Conrad Rikeland war entsetzt über die Vernichtung der Stadt und das Leid, das nun über viele Menschen hereinbrach. Wie schnell die Feuersbrunst alles verschlungen hatte. Das konnte Gott nicht gewollt haben. Er hob den Kopf und sah hinauf in das Gewölbe der Kirche. Würde auch eine Kirche brennen? Wahrscheinlich, aber doch wohl nicht so wie die Holzhäuser. Der Herr würde es nicht verhindern können. Er lauschte dem Pastor nicht mehr, sondern studierte aufmerksam Dach und Wände, und so kam es, dass ein vierzehnjähriger Junge nicht nur über den Kirchenbau nachdachte, sondern über eine ganze Stadt aus Stein.

      August 1262 – Die Beginen

      Die Stadt stank.

      Vier Wochen nach dieser schrecklichen Nacht kündete sie mit ihrem Geruch immer noch weithin von der Feuerkatastrophe. Das einzig Gute daran war, das die sonst noch übleren Ausdünstungen, welche sie gemeinhin an sich hatte, überdeckt wurden. Die Gerüche der faulenden Fischreste am Hafen, das vor sich hin gammelnde Stroh in den Straßen, mitsamt dem Dreck der Schweine, Ziegen, Hühner und Menschen verschwanden unter einer brandigen Dunstglocke.

      Ihre Einwohner waren so emsig wie immer, sie ließen sich nicht unterkriegen. Ein Brand war zwar tragisch, aber durchaus alltäglich. Ständig hörte man von Händlern, dass irgendwo eine Stadt oder ein Dorf in Flammen aufgegangen war.

      Auch in Wismar fackelte hin und wieder ein Haus oder eine Stallung ab, aber so, wie in jener Nacht, so lichterloh und unerbittlich hatte der rote Hahn hier noch nie gewütet.

      Wer gar nichts mehr besaß und auch nicht bei Verwandten unterkriechen konnte, der versuchte sein Glück in einem der restlos überfüllten Hospitäler.

      Diejenigen, die es sich leisten konnten, bauten ihre Bude, ihr Häuschen oder Lagerhaus wieder auf. Der Holzhandel war das Geschäft der Stunde, Zimmerleute waren jetzt gefragte Handwerker und selbst die Ärmsten der Armen wurden hin und wieder als Handlanger gebraucht.

      Zum Heulen und Wehklagen nahmen sich die Menschen keine Zeit. Ein Rathaus musste gebaut werden, auch diese neues Gebäude errichtete man wieder aus Holz. Noch war man nicht schlau aus dem Unglück geworden. Es wurde an die Westseite des Marktplatzes gestellt, so hatten die Ratsherren nicht nur das Treiben der Menschen gut im Blick, sondern auch die Rats- und Marktkirche Sankt Marien. Nur hundert Meter weiter zeigten sich die ersten Umrisse der zukünftigen Georgskirche. Die Türme beider Gotteshäuser mussten den späteren Ratsleuten einmal einen großartigen Anblick bieten.

      Zwischen all dem geschäftigen Hin und Her fielen ein paar Frauen und Mädchen auf, welche in grauer Tracht und immer nur zu zweit durch die Straßen eilten.

      Ein Junge wie Conrad nahm wenig Notiz von ihnen. Mönche gab es genügend in der Stadt, schwarz und braun gewandete sah er fast täglich. Nun liefen eben auch noch ein paar Nonnen herum, was scherte es ihn.

      Als er durch die Haustür stürzte, um seinem Vater zu berichten was es an Neuigkeiten auf seiner Lieblingsbaustelle gab, hätte er beinahe zwei von ihnen umgerannt. Die grauen Vögel, wie er sie insgeheim nannte, trugen einen Korb voll Wäsche und wollten gerade ins Freie treten.

      „Entschuldigt“, kriegte er ganz knapp über die Lippen. Frauen mochte er nie gerne ansprechen und so machte er sich ganz dünn um an ihnen vorbei ins Haus zu gelangen.

      „Tölpel!“, erwiderte die eine und blickte Conrad fest ins Gesicht. Ein Paar grüne Augen nagelten ihn an den Türrahmen.

      Keinen Schritt konnte er mehr machen und auch sein Verstand verweigerte für einen Moment den Dienst. Er stammelte: „Ich... ähm...wollte nicht... ähm...“

      „Du hast wohl immer noch nicht gelernt höflich zu sein?“ Zu den grünen Augen gehörte ein wohlgeformter roter Mund, der sich verächtlich verzog und ihm ein bitterböses „Flegel!“ an den Kopf warf.

      Jetzt schnaubte er aber doch kräftig durch die Nase. Was bildete sich diese Person ein? Es war nicht seine Absicht gewesen ihr, den Korb aus der Hand zu reißen. Außerdem sah er, dass die Wäsche darin schmutzig war, was machte es also, wenn sie einmal mehr im Dreck landete.

      „Bist Du zu fein uns behilflich zu sein? Ohne Dich läge das Zeug nicht auf der Straße.“ Die Grünäugige gab keine Ruhe.

      „Was glaubst Du, wer Du bist? Hat man je gesehen, dass ein Mann bei der Wäsche mit anpackt?“ Conrad wurde wütend. „Bückt euch selber ihr...“ Weiter kam er nicht. Plötzlich verlor er das Gleichgewicht, landete äußerst unsanft auf seinem Hosenboden und schlug mit dem Kopf heftig an die Hauswand. In seiner Rage hatte er übersehen, dass er auf dem Ärmel eines Wamses stand, welches seine schöne Widersacherin mit einem Ruck an sich nahm.

      Wortlos drehten sich die Frauen um und gingen. Die eine aufrecht und festen Schrittes. Die Andere ein klein wenig gebeugt und hinkend, sodass der große Wäschekorb zwischen ihnen hin und herschwankte. Beide warfen die Köpfe stolz nach hinten. Die weißen Schleier hoben sich im Wind und Conrad blickte auf einen zarten blonden Zopf und eine wallende Mähne feuerroten Haares.

      Langsam erhob er sich. Eine Erinnerung schoss durch seinen Kopf und packte ihn leidenschaftlich. Er kannte diese wütende Schöne.

      Schnell rannte er nach oben in seine Kammer. Die Neuigkeiten für seinen Vater hatte er vorerst vergessen. In einer Truhe unter dem Fenster lag ein kleiner Leinenbeutel und in diesem wiederum ein zusammengefaltetes Tüchlein. Hierin bewahrte er den größten Schatz auf, den er bisher gefunden hatte. Gewiss, seine Steinsammlung, die stand an erster Stelle, aber das Beutelchen barg etwas, das ihm seit zwei Jahren mehr bedeutete als jeder Backstein. Vorsichtig faltete er das Tüchlein auseinander und betrachtete das zusammengeringelte flammendrote Haar. Ghese, so hieß das Mädchen damals im Hospital. Sie wollte ihm kein Wasser bringen und war schon seinerzeit stolz und schön. Heute hatte er sie wiedergesehen. Sie kam aus seinem Haus und würde sicher wiederkommen, sie musste ja die Wäsche zurückbringen. Sein Herz klopfte ungestüm. Was war nur los mit ihm? So kannte er sich nicht.

      Völlig in Gedanken versunken überhörte er das laute Rufen seines Vaters.

      Johan Rikeland stand am Fuße der Treppe und begriff nicht, warum sein Sohn zuerst ohne einen Gruß an ihm vorbeistürzte und nun auch noch taube Ohren hatte.

      „Conrad!“, rief er wieder und nun erschien der Junge auf dem Treppenabsatz und stieg die Stufen ganz gemächlich hinab. Rikeland war über den verklärten Gesichtsausdruck des Bengels mehr als überrascht.

      „Fehlt Dir etwas?“, fragte er besorgt. Er bekam keine Antwort. Eine freundschaftliche Kopfnuss sollte Conrad klar machen, dass sein Vater auf eine Antwort wartete. „Autsch!“ Rikeland hatte die dicke Wölbung getroffen, welche inzwischen an Conrads Hinterkopf prangte.

      „Nanu, woher stammt die Beule? Ich muss doch nicht Sorge tragen, dass der Verstand Deinem Kopf entweichen will, nachdem es mich ein Vermögen gekostet hat, ihn Dir dort eintrichtern zu lassen?“

      „Nein Vater, Du hast Dein Geld gut angelegt, Lehrer Bodecker ist ungemein zufrieden mit mir. Er lässt Dir ausrichten, dass ein Gespräch notwendig sei. Du möchtest doch die Tage bei ihm vorbeischauen. Er will mit Dir über meine weitere Ausbildung reden. Aber sag mal Vater, was machen denn die Nonnen mit unserer Wäsche? Ist das Kloster jetzt dafür zuständig?“

      Die beiden setzten sich an den schwerer eichenen Esstisch, auf dem Trine schon irdene Schüsseln mit gekochtem Huhn und dampfendem Gemüse aufgetragen hatte. Sie langten kräftig zu und Rikeland sah mit Freude, das Conrad seinen Hunger kaum zügeln konnte, obwohl er ein wenig lustlos in der Grütze herumstocherte. Er wusste, dass sein Sohn lieber Brot zu den Mahlzeiten aß. So brachte Trine auch noch einen Laib frisches Graubrot und mit vollem Mund hakte Conrad nach. „Nun sag schon Vater, was machen die in unserem Haus?“

      Johan Rikeland schüttelte den Kopf. „Das sind keine