Ein Herz zu viel. Irene Dorfner

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Название Ein Herz zu viel
Автор произведения Irene Dorfner
Жанр Языкознание
Серия Leo Schwartz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738044577



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derselben Nacht versuchten die Polizisten, die Bilder der Kamera zu sichten und Passanten zu befragen. Die Bilder waren wie erwartet sehr unscharf und man konnte auch jetzt absolut nichts erkennen. Die befragten Passanten hatten nichts gesehen oder gehört, obwohl aufgrund der warmen Nacht noch viele unterwegs waren.

      Jetzt hatten sie es mit drei Herzen zu tun. Welcher Spinner trieb in ihrem Zuständigkeitsbereich mit diesem Wahnsinn sein Unwesen? Und was würde noch auf sie zukommen?

      3.

      „Darf ich vorstellen? Das ist die neue Sekretärin Charlotte Deichberg,“ sagte Krohmer immer noch mit heftigen Kopfschmerzen, als sie sich heute ausnahmsweise auf Viktorias ausdrücklichen Wunsch erst um 11.00 Uhr im Besprechungszimmer trafen. Die 56-jährige, dunkelhaarige, sehr schlanke Charlotte Deichberg war zwar keine Augenweide, aber die Frau wurde vom Staatsanwalt nicht nur wärmstens empfohlen, sondern fast aufgedrängt. Die hektischen Augen der Frau wanderten hin und her, wodurch sich die Brille mit dem auffällig roten Gestell ständig bewegte. Leo und Hans hatten sofort eine Abneigung gegen die Frau, während es Viktoria und Werner herzlich egal war, wer im Vorzimmer des Chefs saß. Alle begrüßten die Frau und Krohmer entschied, dass er Frau Deichberg an der heutigen Besprechung teilhaben lassen wollte. Sie setzte sich, nahm Block und Bleistift aus ihrer handgewebten Tasche und war bereit.

      Krohmer war erschrocken, als er von dem zweiten Herzfund in der St.Nikolaus-Kirche hörte.

      „Ein weiteres Herz? Warum haben Sie mich nicht umgehend informiert?“

      „Was hätte das gebracht Chef? Erstens hatten sie einen wichtigen Termin im Rathaus, und zweitens hätten Sie nichts tun können. Fuchs ist mit den Ergebnissen der Pathologie auf dem Weg und dürfte in Kürze eintreffen. Vielleicht haben wir diesmal Glück.“

      „Irgendwelche Zeugen?“

      „Leider nein. Die Kameraaufzeichnungen sind unbrauchbar und es gibt keine Zeugen.“

      Hans informierte den Chef über den bevorstehenden Besuch des ehemaligen Seifen-Ludwig-Mitarbeiters. Krohmer nickte diese Information nur ab, er versprach sich nicht viel von den Unterlagen. Hatte er gestern nicht deutlich gemacht, dass diese Spur nichts brachte? Er konnte sich nicht mehr daran erinnern. Seine Kopfschmerzen wurden immer schlimmer. Bei dem gestrigen Termin hatte er zu viel getrunken. Irgendein Idiot kam auf die Idee, Cocktails zu reichen, die aufgrund des heißen Wetters zwar wunderbar schmeckten und auch erfrischten, aber auch jede Menge Alkohol beinhalteten. Er hatte bereits zwei Kopfschmerztabletten eingenommen, spürte aber nicht die kleinste Linderung.

      Dann legte Viktoria eine Liste der verstorbenen sechs Personen im Mühldorfer und Altöttinger Landkreis vor, die für den ersten Herzfund in der St. Nikolaus-Kirche infrage kamen.

      „Wir haben die Familien der Verstorbenen heute Morgen aufgesucht, deshalb die verspätete Besprechung. Alle Hinterbliebenen haben versichert, dass die Leichen im Herzbereich unversehrt waren, was uns von den jeweiligen Bestattungsunternehmen bestätigt wurde. Trotzdem haben wir von allen Angehörigen Speichelproben genommen und durch einen Schnelltest mit dem ersten Herz in der St.Nikolaus-Kirche verglichen. Keine Übereinstimmung!“

      „Dann müssen wir den Kreis ausdehnen. Vielleicht stammt der Tote aus München, Traunstein, oder einer anderen Gegend,“ sagte Krohmer verärgert, wobei ihm fast der Schädel platzte. Das wäre auch zu einfach gewesen.

      „Die Anfrage ist längst durch. Ich habe Fuchs schon dahingehend informiert, dass jede Menge Speichelproben auf ihn zukommen werden. Sie können sich vorstellen, dass er darüber nicht begeistert war.“ Viktoria untertrieb mit ihrer Aussage, denn Fuchs wäre ihr fast ins Gesicht gesprungen. Er war auf so eine große Flut von DNA-Tests nicht vorbereitet.

      „Das mit Fuchs kläre ich schon, machen Sie sich darüber keine Sorgen. Wo bleibt denn Fuchs? Er müsste doch längst hier sein!“ Krohmer sah auf die Uhr und wurde immer ungeduldiger. Vor allem nervte ihn der kratzige Bleistift seiner neuen Sekretärin, der ununterbrochen benutzt wurde und ein Blatt nach dem anderen füllte. Was schrieb die Frau nur ständig? Er ließ sie gewähren, schließlich war das ihr erster Arbeitstag.

      Wieder kam der Kollege Hiebler auf diese Seifenfabrik Ludwig zu sprechen, was ihn absolut nicht interessierte. Er hatte genug, er musste sich dringend hinlegen. Er sehnte sich nach einer kurzen Ruhepause auf der bequemen Couch in seinem Büro. Endlich traf Fuchs ein und genoss die Aufmerksamkeit, die er auf sich zog. Langsam zog er die Unterlagen aus seiner Tasche und setzte zu einem langen Vortrag an, den Krohmer sofort unterbrach.

      „Bitte keine langen Erklärungen Herr Fuchs. Was haben Sie für uns?“

      „Diesmal haben wir es mit einem weiblichen Herz zu tun. Die Besitzerin müsste ebenfalls zwischen 60-80 Jahre alt sein und ist am 18. oder 19. August verstorben. Auf keinen Fall früher, darin war sich der Pathologe sehr sicher. Keine sonstigen Besonderheiten am Herz selber. Auch an der Schatulle, die den Modellen der vorherigen Herzfunde sehr ähnlich ist, konnten keine Spuren gesichert werden. Bis auf die Tatsache, dass auch hier winzige Reste von der Kernseife der Seifenfabrik Ludwig festgestellt wurden.“ Fuchs blickte in die Runde. Das, was er von sich gab, hatte die erhoffte Wirkung. Alle waren erstaunt, dass es auch hier wieder einen Bezug zu Seifen-Ludwig gab. Niemand hatte bemerkt, dass es Charlotte Deichberg bei den Schilderungen immer schlechter ging. Als sie ebenfalls einen Blick auf die Fotos warf, die Fuchs auf den Tisch legte, war sie kurz davor, sich zu übergeben. Bis vor wenigen Stunden war ihr nicht klar, mit welchen Fällen sie hier konfrontiert werden würde, und nahm sich vor, heute Abend noch ein ernstes Wort mit ihrem Cousin zu sprechen, der ihr diese Stelle wärmstens empfohlen hatte.

      „Vielleicht liegen Sie mit dieser Seifenspur doch nicht so falsch. Warten wir ab, was die Unterlagen der Seifenfabrik ergeben. Wir treffen uns morgen früh um 8.00 Uhr wieder hier. Es sei denn, es gibt wichtige Neuigkeiten, die eine vorzeitige Besprechung notwendig machen. Suchen Sie mit Hochdruck nach dem Spinner, der die Herzen in Kirchen verteilt. Es wird nicht mehr lange dauern und die Bevölkerung wird auf die Sache aufmerksam werden.“ Krohmer stöhnte auf. Er konnte sich jetzt schon die Schlagzeilen und die unendlichen Fragen der Journalisten vorstellen. Vor allem musste er endlich den Staatsanwalt von den Herzfunden unterrichten. Alles Dinge, auf die er gerne verzichten konnte!

      Krohmer ging und Frau Deichberg folgte ihm. Die Frau war glücklich über die neue Arbeit, die sehr viel mehr Verantwortung und Abwechslung bieten würde, als ihr letzter Job. Bis auf die gruseligen Einzelheiten, die der Job mit sich brachte. Als sie gestern das Angebot schriftlich vorgelegt bekommen hatte und ihr Cousin lange mit ihr darüber gesprochen hatte, sagte sie schließlich zu. Das Hauptargument war der kurze Weg zu ihrer Mühldorfer Wohnung, die sie sich von der Lebensversicherung ihres verstorbenen Mannes gekauft hatte. Sie lebte allein und hatte keine Kinder. Das war der einzige Punkt, mit dem sie mit der früheren Sekretärin Hilde Gutbrod übereinstimmte.

      „Das ist Ihr Schreibtisch,“ begann Krohmer, als sie in seinem Vorzimmer angekommen waren. Nachdem er sich heute früh lange mit ihr unterhalten hatte und ihr das Polizeipräsidium gezeigt hatte, kamen sie jetzt auf ihren eigentlichen Arbeitsplatz und die damit verbundenen Aufgaben zu sprechen. Er war nur noch wenige Minuten von seiner Couch entfernt. „In dem Fach sind die laufenden Arbeiten, die sie bitte eine nach der anderen abarbeiten. Es sei denn, es liegt etwas Dringendes an, dann unterbrechen Sie ihre Arbeit. Jeder Besucher am Empfang wird von Ihnen zu den jeweiligen Kollegen geführt. Entscheiden Sie selbst, ob der Besucher wichtig ist. Wenn Sie unsicher sind, fragen Sie den jeweils gewünschten Gesprächspartner. Telefonate werden nur an mich durchgestellt, wenn ich das Okay dafür gebe. Wenn ich nicht mit dem Anrufer sprechen will, erfinden Sie eine glaubhafte Ausrede. Sie überwachen bitte meine Termine, die ich in diesen roten Kalender eintrage. Wenn Sie einen Termin für mich vereinbaren, achten Sie bitte darauf, dass die Termine nicht zu knapp liegen. Und jetzt ganz wichtig: Termine nach 18.00 Uhr mag ich überhaupt nicht, die nur im äußersten Notfall, ich habe schließlich auch ein Privatleben. Und jetzt bitte ich, mich in der nächsten Stunde nicht zu stören.“

      Krohmer ging in sein Büro und war im Grunde genommen zufrieden, dass er endlich wieder eine Hilfe hatte, die ihm vor allem den Schreibkram und die lästigen Telefonate