Ein Herz zu viel. Irene Dorfner

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Название Ein Herz zu viel
Автор произведения Irene Dorfner
Жанр Языкознание
Серия Leo Schwartz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738044577



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ihn abermals.

      „Ich bitte Sie Herr Fuchs, nur die Kurzfassung. In einer Stunde habe ich einen Termin im Rathaus, vorher muss ich mich noch umziehen.“

      „Wie Sie wollen. Die Seifenrückstände gehören zur Kernseife Ludwig der gleichnamigen Seifenfabrik in München. Das Traditionsunternehmen wurde damals noch zur Zeit König Ludwig I. 1866 gegründet und hat 1972 die Pforten schließen müssen. Das Gebäude wurde 1978 aufgrund von Straßenbaumaßnahmen abgerissen. Unterlagen der Firma sind nicht mehr auffindbar. Ich habe erfahren, dass die Seifenfabrik Ludwig ganz München und Umgebung mit Kernseifen, später dann auch mit Waschmittel und Duschgel beliefert hat. Die Produkte waren sehr beliebt und es gab einen Aufschrei in der Bevölkerung, als die Seifenfabrik schließen musste. Man munkelte von Misswirtschaft in der Chefetage und absichtlicher Insolvenz-Verschleppung. Aber das sind nur Gerüchte.“

      „Die Seifenfabrik Ludwig sagt mir nichts, davon habe ich noch nie gehört. Ich denke, dass wir diese Spur getrost vergessen können.“ Krohmer stand auf und verabschiedete sich. Sein Termin, auf den er nicht scharf war, saß ihm im Nacken. Das würde wieder einer der langweiligen Abende werden, bei denen sich alle Anwesenden selbst beweihräucherten, die ungarischen Gäste hofierten und wo sich alle gegenseitig anschleimten. Dieser Abend würde sich wieder endlos in die Länge ziehen. Aber als Chef der Polizei konnte er nicht kneifen, er musste dort auftauchen. Früher hatte ihn seine Frau begleitet, was den Abend erträglicher machte. Aber seit über einem Jahr weigerte sie sich und erfand immer wieder neue Ausreden.

      Fuchs war sauer, dass man seine Arbeit bezüglich der Seife nicht besser würdigte. Es war aufwändig gewesen, die genaue Seife festzustellen, was hier offensichtlich niemanden interessierte. Wieso waren die Kollegen immer so undankbar und mit seinen Ergebnissen unzufrieden? Er konnte nur mit dem arbeiten, was zur Verfügung stand, schließlich konnte er nicht zaubern!

      Auch die anderen waren enttäuscht, sie hatten mehr Hinweise erhofft. Jetzt galt es, einen Verstorbenen zu finden, der am 17. oder 18. August verstorben ist und dem ein Herz fehlt. Wo starb der Mann? Das konnte überall sein! Das würde eine Sisyphusarbeit werden und jede Menge Probleme bedeuten. Wenn es keine leiblichen Verwandten des Verstorbenen gab, mit denen sie die DNA des Herzens vergleichen konnten, mussten sie wohl oder übel die Leiche exhumieren. Sie standen auf und wollten gehen, nur Leo bewegte sich nicht.

      „Was ist mit dir?“

      „Wenn diese Seifenfabrik 1972 geschlossen wurde, dürften doch noch Mitarbeiter leben, die uns zu Kunden Angaben machen können.“

      „Bist du irre? Was glaubst du, wie viele Kunden diese Seifenfabrik hatte.“

      „Ganz so viele können es nicht gewesen sein. Ich kannte die Seife nicht. Und an eurer Reaktion habe ich gemerkt, dass ihr sie auch nicht kennt. 1972 waren wir alle schon geboren, bis auf Werner. Diese Seife müsste wenigstens einem von uns etwas sagen, zumindest dem Chef.“ Leo sah seine Kollegen an, die ins Grübeln kamen. „Wir könnten es wenigstens versuchen.“

      „Und wie sollen wir diese Mitarbeiter finden?“

      „Keine Ahnung, uns wird schon etwas einfallen.“ Die Polizisten machten sich sofort an die Arbeit und suchten im Internet nach Spuren der Seifenfabrik Ludwig. Hans war der Erste, der auf die entscheidende Information stieß. Es gab eine Gruppe ehemaliger Seifen-Ludwig-Mitarbeiter, die sich im Restaurant Tanneck im Münchner Süden monatlich trafen. Dies war vor zwei Jahren einer Münchner Tageszeitung ein Artikel wert, der ihnen nun die Information lieferte. Hans rief umgehend im Restaurant Tanneck an und schilderte sein Anliegen. Das Gespräch war schwierig, denn die Geräuschkulisse war sehr hoch.

      „Sie meinen die Seifen-Ludwigs? Ja, die kommen immer am ersten Donnerstag im Monat. Die Mitgliederanzahl schrumpft von Jahr zu Jahr, die Alten sterben weg. Ich kann Ihnen die Nummer vom Hias geben.“ Der Wirt wiederholte mehrfach die Telefonnummer, die Hans sofort wählte, als er aufgelegt hatte.

      „Kriminalpolizei Mühldorf, mein Name ist Hiebler. Ich bin auf der Suche nach einem ehemaligen Mitglied der Seifenfabrik Ludwig. Meine Informationen besagen, dass ich bei Ihnen richtig bin.“

      „Das stimmt, ich war bis zur Schließung Vorabeiter bei den Ludwigs, wie wir unsere Seifenfabrik nannten. Sie machen mich neugierig Herr Hiebler. Warum interessiert sich die Kriminalpolizei für die Ludwigs?“

      „Bei Recherchen zu einem komplizierten Fall stießen wir auf die Seifenfabrik Ludwig. Wir sind auf der Suche nach Informationen über die damaligen Vertriebswege.“

      „Da haben Sie Glück! Die Chefetage wollte, dass wir die entsprechenden Unterlagen entsorgen. Ich habe einige Ordner widerrechtlich mit nach Hause genommen. Sie stehen in meinem Keller. Hätte ich das jetzt nicht sagen dürfen? Können Sie mich dafür heute noch belangen?“

      Hans musste lachen. Der Mann, von dem er nur den Namen Hias bisher wusste, sprach tiefen, bayrischen Dialekt und war noch völlig fit. Wie alt könnte der Mann heute sein?

      „Nein, dafür bekommen Sie keine Probleme mehr. Ganz im Gegenteil. Ich würde mir die Unterlagen gerne ausleihen.“

      „Sie rufen von Mühldorf am Inn an?“

      „Richtig.“

      „Dann bringe ich Ihnen die Unterlagen morgen vorbei. Ich wollte schon lange einen kleinen Ausflug machen, konnte mich aber für kein Ziel entscheiden. Mein Wagen müsste sowieso mal wieder bewegt werden. Wir sehen uns dann morgen früh.“

      Hans wollte widersprechen, aber der Mann hatte bereits aufgelegt. Konnte er dem vermutlich sehr alten Mann diese Reise überhaupt zumuten? Aber er war erwachsen und konnte somit selbst entscheiden.

      Nun galt es, die Verstorbenen im fraglichen Zeitraum zu ermitteln. Es gab sechs verstorbene Herren im Altöttinger und Mühldorfer Landkreis, die vom Alter her in ihr Raster passten. Aber es war schon nach 20.00 Uhr und die Familien der Verstorbenen um diese Uhrzeit zu belästigen war nicht sehr einfühlsam. Sie wollten sich gleich morgen früh darum kümmern.

      „Machen wir für heute Schluss. Ich freue mich nach der drückenden Schwüle der vergangenen Wochen und dem Gewitterwochenende auf einen lauen Biergartenbesuch. Wer kommt mit?“ Leo war begeistert, dass sich nicht nur Viktoria, sondern auch Hans anschlossen. Werner wäre bestimmt auch gerne mitgegangen, aber er hatte zuhause Frau und Baby, die auf ihn warteten.

      Die drei unterhielten sich noch lange über die Herzfunde und konnten sich keinen Reim darauf machen, welches kranke Hirn auf diese Idee kam. Sie gingen nochmals alle Möglichkeiten durch, bis sich Hans verabschiedete. Er hatte am Wochenende eine neue Eroberung gemacht und wollte diese von der Arbeit abholen. Die Frau, von der Hans nur den Vornamen Martha bekanntgab, arbeitete in der Altenpflege und hatte Spätschicht. Sie wird Augen machen, wenn er mit einem Blumenstrauß vor dem Altenheim steht und sie überrascht!

      Viktoria und Leo waren gerade zuhause angekommen, als sie ein Anruf erreichte: Der Mesner der St.Nikolaus-Kirche. Er war sehr aufgeregt und sprach schnell. Leo hatte Mühe, den Mann zu verstehen.

      „Noch ein Herz in der St.Nikolaus-Kirche,“ sagte Leo erschrocken und startete den Wagen. Viktoria informierte die Kollegen, die fast zeitgleich mit ihnen bei der St. Nikolaus-Kirche eintrafen. Der Mesner wartete vor der Kirche und winkte ihnen zu. Er ging voraus direkt auf den Altar zu. Dort angekommen zeigte er auf die rechte Seite.

      „Dort ist es, ich habe es nicht angefasst. Nachdem die Reinigungskraft der Kirche Frau Kerbel mich heute ausführlich über den Fund informierte, war ich zum Glück vorgewarnt. Sie können sich nicht vorstellen, wie erschrocken ich war, als ich diesen Behälter dort entdeckt habe.“ Der Mesner war völlig außer sich und wischte sich immer wieder über Stirn und Mund. Als ihm die Putzfrau von dem Fund erzählte, war er noch froh darüber, dass er das Herz nicht gefunden hatte. Und jetzt das! Er war wegen eines Bibel-Abends im Gemeindehaus nicht dazugekommen, die Kirche für den morgigen Gottesdienst, dem eine Taufe angeschlossen wurde, herzurichten und hatte dies zur späten Stunde nachgeholt.

      Fuchs ging routiniert seiner Arbeit nach und fuhr noch in der Nacht in die Pathologie nach München. Er war gespannt darauf, was dieser Fund für Spuren ans Tageslicht bringen würde,