Erzählen-AG: 366 Geschichten. Andreas Dietrich

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Название Erzählen-AG: 366 Geschichten
Автор произведения Andreas Dietrich
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753171944



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der Richtige. Mit Dir wollte ich Zeit verbringen. Jeden Tag und jede Nacht.

      Ich wollte am Morgen neben Dir aufwachen. Wenn die Sonne ins Zimmer schien, machten wir gemeinsam die Augen auf. Sahen uns an. Wussten, dass der Tag nicht besser beginnen konnte. Wir standen zusammen auf. Wir frühstückten zu zweit in der Küche. Manchmal brachtest Du das Frühstück ans Bett. Gemeinsam frühstückten wir im Bett.

      Wir verbrachten den Morgen zusammen. Wir bereiteten das Mittagessen vor. Gemeinsam kochten wir Spaghetti. Zusammen kochten wir die Tomatensoße. Gemeinsam speisten wir von den Spaghettis. Gemeinsam machten wir den Abwasch. Mal wusch ich ab und Du trocknetest das Geschirr. Mal war es umgekehrt.

      Den Nachmittag verbrachten wir zusammen. Wir gingen spazieren. Wir hörten Musik. Wir aßen zum Abend. Wir sahen danach fern. Ich schlief oft neben Dir ein. Kuschelte mich an Dich und bekam nichts mehr mit. Ich träumte, mit uns könnte es ewig so weiter gehen. Wenn ich vor dem Fernseher einschlief, brachtest Du mich ins Bett. Seite an Seite schliefen wir in der Nacht, bis der Morgen uns weckte und ein neuer Tag begann.

      Kein Traum wurde Realität. Zu mindestens nicht zu hundert Prozent. Auch mein Traum erfüllte sich nicht. Mit ihm ging es einige Jahre gut. Doch irgendwann kommen immer Probleme auf. Ich dachte wir waren glücklich. Er und ich. Doch ich musste mich eines besseren belehren lassen.

      Mein Freund ging fremd. Dies erfuhr ich nicht von ihm. Ich erfuhr es über dreizehn Ecken. Ich konnte es kaum glauben. Ich wollte es nicht glauben. Doch irgendwann ließ es mir keine Ruhe. Ich musste meinen Freund zur Rede stellen. Ihn fragen, ob es wahr war.

      Nach kurzem Zögern gab er es zu. Er sagte mir nicht, weil es ein Ausrutscher war. Er war wegen der Arbeit frustriert. Ich war nicht da und da ist es irgendwie passiert. Er gab gute Gründe an, warum er fremdging. Ich liebte ihn. Da musste ich ihm doch verzeihen, oder?

      Ich verzieh ihm. Ein Ausrutscher kann jedem einmal passieren, sagte ich zu mir. Doch es blieb nicht bei diesem einen Ausrutscher. Etwas später erfuhr ich von einem zweiten. Wieder wollte ich es nicht glauben. Meine rosarote Brille wollte ich nicht absetzen. Ich wollte ihn nicht verlieren. Ich wollte mit ihm weiterhin morgens aufwachen, gemeinsam frühstücken. Ich wollte mit ihm den Tag verbringen, soweit unsere Arbeit es zu ließ. Ich wollte weiterhin in seinen Armen einschlafen.

      Doch irgendwann ging es nicht mehr. Das erste Mal kam er nicht zu mir. Auch das zweite Mal erfuhr ich es nicht von ihm. Wieder stellte ich ihn zur Rede. Wieder gab er es nicht direkt zu. Wieder erst nach einigen Minuten. Ich wollte ihm noch einmal eine Chance geben. Doch ich tat es nicht.

      Ich musste nachdenken. Als ich über Ecken von einem dritten Ausrutscher erfuhr, ging es nicht mehr. Ich trennte mich von ihm. Er versuchte alles, mich umzustimmen. Doch genug war genug. Mindestens dreimal ging er fremd. Vielleicht war es nur die Spitze vom Eisberg. Vielleicht ging er viel öfter noch fremd. Ich konnte ihm nicht mehr vertrauen. Ihm nicht noch einmal verzeihen, auch wenn ein Teil in meinem Herzen es gern getan hätte. Irgendwann ist immer Schluss. Nichts hält ewig. Auch eine Beziehung nicht.

      Dreizehnter Februar

      Ups, schon wieder habe ich es getan. Ich es einfach nicht lassen kann. Ich kann nichts dafür. Ich bin einfach der Typ dazu. Oder besser gesagt die Dame dazu.

      Während andere gute Talente haben, habe ich ein schlechtes. Andere können im Kopf rechnen. Nicht mit kleinen Zahlen. Ich meine mit großen. Andere haben ein gutes Gedächtnis. Sie können sich Dinge in wenigen Minuten merken. Einen Test können sie problemlos bewerkstelligen. Etwas Anderes ist für sie nicht möglich. Sofern es ein Auswendig-Lernen-Test ist. Andere wiederum können zeichnen. Sehr gut zeichnen. Die einen malen Menschen realistisch. Andere können Tiere wirklichkeitsgetreu zeichnen. Wieder andere können Autos gut zeichnen.

      Ich kann nichts von dem. Ich kann nicht mit großen Zahlen im Kopf rechnen. Ich habe kein Supergedächtnis. Ich kann nicht zeichnen. Ich kann nur eines sehr gut. Mich verletzen. Jede Ecke, die ich sehe, muss ich mitnehmen. Egal, ob es eine kleine oder eine große Ecke ist. Ich nehme sie alle mit. Ich verletze mich regelmäßig.

      In der Schule gibt es einen Raum, der direkt an eine Treppe grenzt. Wenn ich mich beeilen muss, weil ich meinen Bus schaffen möchte, treffe ich meistens den Türrahmen mit meiner Schulter. Außer einem blauen Fleck ist mir glücklicherweise noch nichts dabei passiert. Die Schulter habe ich mir noch nicht gebrochen. Was nicht heißt, dass dies nie passieren wird.

      Auch im Unterricht selbst besteht für mich Verletzungsgefahr. Vor allem in Mathe. Vor allem dann, wenn wieder einmal die Fähigkeiten im Umgang mit dem Zirkel gefragt sind. Jedes Mal, wenn ich meinen Zirkel auspacke, steche ich mich. Die Spitze des Zirkels ist bei mir immer auf der falschen Seite. Jedes Mal, wenn ich meinen Zirkel raushole, schreie ich Aua. Dann bricht in der Klasse immer ein Gelächter aus. Warum muss mir das nur immer passieren?

      Im Sportunterricht hatte ich bisher meist Glück. Beim Laufen bin ich mal hingeflogen. Habe mir die Hände und die Knie etwas aufgeschürft. Aber das ist halb so schlimm. Eine Sportbefreiung bekam ich deswegen nicht. Das waren Lappalien.

      Jetzt verletzte ich mich aber heftiger. Im Sportunterricht liefen wir nicht nur. Wir turnten nicht nur an verschiedenen Geräten. Wir lernten und spielten auch Handball. Ab und zu war ich vorne vor dem gegnerischen Tor. Ab und zu warf auch ich aufs gegnerische Tor. In fünfzig Prozent der Fälle traf ich das Tor. Den Pfosten oder die Latte. In fünfundzwanzig Prozent der Fälle hielt die Torwartfrau meinen Ball. Jubeln durfte ich bei den restlichen fünfundzwanzig Prozent.

      Ich hätte auch heute jubeln können, wenn der Schmerz nicht so groß gewesen wäre. Beim Sprung auf das Tor war noch alles gut. Als ich aufkam, verdrehte ich mir etwas das Knie. Weiterspielen war für mich unmöglich. Ein Pflaster reichte nicht aus. Damit konnte meine Verletzung nicht geheilt werden. Der Krankenwagen musste her. Mit ihm durfte ich ins Krankenhaus fahren.

      Im Krankenhaus wurde alles kontrolliert. Operiert werden musste ich zum Glück nicht. Ich bekam eine Bandage und durfte wieder nach Hause. Dort musste ich mein Knie die nächsten zwei Wochen schonen. Ich durfte keinen Meter gehen. Auch nicht zur Schule. Ich verpasste einige Stunden Unterricht. Erst nach den zwei Wochen durfte ich mein Knie wieder bewegen. Trotzdem war ich noch sportbefreit. Mit Krücken konnte ich schlecht Sport treiben, oder? Bei meinem Talent erst recht nicht.

      Vierzehnter Februar

      Wer selber Geld verdienen möchte, muss arbeiten gehen. In der Regel sind es acht Stunden am Tag. Fünf Tage die Woche. Also insgesamt vierzig Stunden pro Woche.

      Um zur Arbeit zu kommen, gibt es verschiedene Mittel. Wer nicht weit von der Arbeit wohnt, kann zu Fuß laufen. Ein Kilometer sollte in rund zehn Minuten zu schaffen sein. Vorausgesetzt es sind keine Hindernisse wie Ampeln im Weg. Dann kann es länger dauern. Sonst sind aber bis zu sechs Kilometer in der Stunde zu schaffen.

      Diese Distanz ist auch noch mit dem Rad zu schaffen. Ein ungeübter Mensch sollte die doppelte Distanz in einer Stunde schaffen. Zwölf Kilometer pro Stunde sollten für jeden Erwachsenen möglich sein. Wer trainiert ist, schafft die Distanz auch schneller – oder mehr in einer Stunde.

      Wer trainiert ist, sollte mit dem Rad zwanzig Kilometer in der Stunde schaffen. Sofern das Wetter und der Winterdienst mitspielt. Wenn es im kalten Winter regnet, sollte ein Radfahrer eventuell vorsichtig fahren. Überfrierende Nässe wird spätestens an der nächsten Kurve gefährlich. Doch auch wenn es nicht regnet, kann ein Radfahrer nicht immer so schnell fahren, wie er möchte.

      Wenn der Radweg mit Schnee bedeckt ist, muss der Radfahrer langsamer fahren. Auch dann, wenn der Schnee geschmolzen ist und nur noch Schneematsch übrig geblieben ist. Wurde der Schnee oder der Schneematsch noch nicht vom Winterdienst geräumt, so fährt es sich nicht so leicht. Das Fahrrad schlingert hin und her.

      Doch zum Glück war es heute nicht so. Auch wenn Winter war, es lag kein Schnee. Es fiel auch kein Regen. Ich konnte mit meinem Fahrrad so schnell fahren, wie ich es wollte. Zu mindestens bis zur nächsten roten Ampel.

      Normalerweise stören mich rote Ampeln. Normalerweise war aber nicht heute. Als ich an