Das dritte Kostüm. Irene Dorfner

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Название Das dritte Kostüm
Автор произведения Irene Dorfner
Жанр Языкознание
Серия Leo Schwartz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738018509



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während der Meetings ausgeschaltet wurden. Was hatte er für eine Wahl? Er musste zu diesem verdammten Tatort! Deshalb fuhr er rechts ran und rief zuerst die Sekretärin des Chefs, Frau Gutbrod an. Er bat sie, den anderen mitzuteilen, dass sie nach der Besprechung umgehend auf den Pestfriedhof in Kastl kommen sollten.

      „Werde ich ausrichten Herr Schwartz. Um was geht es genau? Pestfriedhof klingt gruselig und spannend.“ Die gute Frau war ganz in ihrem Element: neugierig und geschwätzig.

      „Keine Ahnung, Fuchs hat nur gesagt, dass es dort eine Leiche gibt. Mehr weiß ich noch nicht.“

      Danach speiste er sein Navi: Pestfriedhof Kastl – aber das verdammte Navi kannte diesen Pestfriedhof nicht. Er beschloss, nach Kastl zu fahren und sich durchzufragen, irgendwie würde er den Tatort schon finden! Leo konnte sein Glück kaum fassen, als er in Teising einen Streifenwagen bemerkte, der mit Radarkontrollen beschäftigt war. Er parkte seinen Wagen vor einer Bank und ging die wenigen Meter zurück.

      „Leo Schwartz mein Name, Kripo Mühldorf. Ich brauche ortskundige Hilfe.“ Er zeigte den misstrauischen Kollegen seinen Ausweis, worauf sie nun freundlicher wurden. „Ich suche den Pestfriedhof in Kastl.“

      „Kein Problem.“ Einer der Männer machte sich einen Spaß daraus, ihm so umständlich und so dialektdurchtränkt wie möglich die Anfahrt zu beschreiben, was natürlich zur Belustigung der anderen Kollegen beitrug. Leo war gebürtiger Schwabe, was man sehr deutlich hörte. Er hatte sich in den knapp 1 ½ Jahren im bayrischen Mühldorf am Inn gut eingelebt, obwohl er immer noch mit der Sprache seine Probleme hatte. Mit seinen 50 Jahren und seinem außergewöhnlichen Kleidungsstil aus den 80-er Jahren, der aus Jeans, Cowboystiefeln und meist aus T-Shirts mit dem Aufdruck einer Rockband bestand, fiel er überall auf. Und natürlich mit seiner stattlichen Größe von 1,90 m. Leo blickte in die hämischen Gesichter der Uniformierten und musste dem Treiben endlich ein Ende setzen.

      „Halten Sie endlich den Mund und reden Sie vernünftig mit mir. Wie ist Ihr Name?“, herrschte Leo den Mann an, der augenblicklich verstummte. Auch die anderen lachten nun nicht mehr und wandten sich ab.

      „Mein Name ist Kobold. Und ich möchte mich für mein Verhalten entschuldigen,“ sagte der Uniformierte geknickt, der heute besonders gute Laune hatte. „Ich habe heute vor, meiner Freundin einen Heiratsantrag zu machen und bin vielleicht etwas aufgekratzt.“

      Leo schämte sich für seine Ungeduld und den rauen Ton, trotzdem ging ihm dieser Typ mächtig auf die Nerven – Heiratsantrag hin oder her. Er konnte es sich nicht einfach so gefallen lassen, dass der Mann vor allen anderen so mit ihm umging, schließlich war er stellvertretender Leiter der Mordkommission Mühldorf am Inn und somit stand er einige Ränge über diesem Kobold. Außerdem brauchte man sich nicht über ihn und seinen Dialekt lustig machen; er war stolzer Schwabe und stand auch dazu.

      „Wo ist jetzt dieser Pestfriedhof? Kastl kenne ich, aber nur den Kastler Forst beim Bahnhof, das Gasthaus am Dorfplatz und das Rathaus. Von einem Pestfriedhof habe ich noch nie gehört.“

      „Der ist einfach zu finden. Sie nehmen nicht die zweite Ausfahrt nach Kastl, wo sie direkt beim Wirtshaus und am Rathaus landen, sondern nehmen nach Altötting gleich die erste Ausfahrt links. Bereits in der ersten, ziemlich scharfen Kurve steht links ein Schild mit dem Wegweiser Pestfriedhof, noch vor dem Pferdehof. Das können Sie nicht verfehlen.“

      Leo bedankte sich und fuhr weiter. Er machte sich nun Gedanken darüber, was ihn auf dem Pestfriedhof erwartete. Fuchs war wie immer kurz angebunden und unfreundlich. Leo konnte ihn nicht leiden, denn der Mann war zu seiner Unfreundlichkeit auch noch pedantisch und kannte keine Freizeit. Immer wieder gab es Ärger wegen seiner Art, hauptsächlich mit seinen Mitarbeitern, die ganz schön unter Fuchs‘ Drill und Ansprüchen zu leiden hatten, aber bezüglich seiner Arbeit gab es nichts auszusetzen. Oft genug gab Fuchs einen entscheidenden Hinweis zur Lösung eines Falles und Leo hielt den Mann beruflich für ein Genie, was er ihm aber nie sagen würde, denn Fuchs war sowieso schon sehr abgehoben und von sich überzeugt, da musste er dessen Ego nicht auch noch bauchmiezeln.

      Leo richtete sich genau nach Kobolds Anweisungen und fand tatsächlich den Wegweiser zum Pestfriedhof. Er fuhr nach links in den Feldweg und fluchte laut, denn der Weg war sehr uneben und durch die Schnee- und Regenfälle der letzten Tage besonders aufgeweicht. Leo erkannte die Fahrzeuge der Spurensicherung und atmete erleichtert auf, er war hier richtig! Als Ortsunkundiger in dieser knappen Zeit – er war mächtig stolz auf sich! Die Fahrzeuge der Spurensicherung parkten vogelwild und versperrten Leo die Weiterfahrt, er musste wohl oder übel seinen Wagen hier parken. Da es schon stockdunkel war, ließ er die Scheinwerfer seines Wagens eingeschaltet, um zumindest für die nächsten Meter sehen zu können, wo er hintrat. Bereits beim ersten Schritt versanken seine Cowboystiefel im Matsch und er fluchte erneut. Leo ging einige Meter und brauchte dann keinen weiteren Wegweiser zum Tatort, denn bereits nach wenigen Schritten bemerkte er die Beleuchtung der Spurensicherung etwa einhundert Meter von ihm entfernt und musste sich den Weg bis dorthin quasi ertasten. Bis er am Pestfriedhof eintraf, waren seine Stiefel nur noch Matschbrocken; Leos Laune war auf dem Nullpunkt.

      „Sie kommen allein? Wo sind die anderen?“, begrüßte ihn Fuchs, wobei er mit einer ausladenden Geste deutlich machte, dass Leo nur bis zu dem Absperrband treten durfte. Wer sollte um die Uhrzeit außer der Polizei zum Fundort der Leiche wollen? Leo sah auf seine Uhr: 17.30 und es war stockdunkel. Hatte Fuchs dieses Absperrband etwa nur für die Kollegen angebracht? Seit dem letzten Fall mit den Holzperlen war Fuchs noch schlimmer geworden und hatte mit Hilfe des Chefs durchgesetzt, dass bis zur Tatortfreigabe einzig und allein Fuchs und seine Leute das Sagen hatten, was vor allem Fuchs bis aufs Äußerste ausreizte und sichtlich genoss.

      „Die anderen sind noch in der Besprechung, sie kommen danach sofort hierher,“ murmelte Leo, der keine Lust hatte, sich vor diesem Fuchs zu rechtfertigen. „Um was handelt es sich?“

      „Wenn Sie sich hierher bemühen würden,“ sagte Fuchs und ging auf der anderen Seite der Absperrung neben Leo her. „Eine Leiche in einem seltsamen Kostüm. Sehen Sie selbst. Es handelt sich um eine Frau.“

      Leo war erschrocken und konnte kaum glauben, was er vor sich sah: eine Gestalt in einem traditionellen Ulmer Narrenkostüm, die er schon so oft gesehen hatte. Nicht, dass Leo scharf auf Fasching, Karneval oder wie man das auch immer nennt, wäre. Trotzdem kam man in manchen Gegenden nicht drum herum, davon Notiz zu nehmen. Seit seiner damaligen Versetzung zur Ulmer Polizei wurde er jährlich mit dem riesigen Faschingsumzug durch die Ulmer Innenstadt konfrontiert und er hatte beruflich ab und an mit dem einen oder anderen Narren zu tun. Dieses Kostüm vor seinen Füßen kannte er gut, denn es handelte sich dabei um ein traditionelles Kostüm der Ulmer Narrenzunft, welches genau, wusste er nicht. Aber er konnte seine langjährige beste Freundin Christine Künstle später dazu befragen, denn sie war sogar Mitglied in dieser Ulmer Narrenzunft. War sie nicht sogar in der Vorstandschaft? Fuchs wurde ungeduldig und räusperte sich mehrfach, wodurch er Leo aus seinen Gedanken riss.

      „Ich bin mit meinen Leuten erst seit knapp einer Stunde hier, die Altöttinger Polizei hat uns gerufen. Zum Glück waren die Kollegen vorsichtig und haben uns nicht den ganzen Fundort zerstört. Mir kamen mehrere Punkte sehr merkwürdig vor und ich spürte, dass hier etwas nicht stimmt, deshalb habe ich die Mordkommission gerufen. Äußerlich konnte ich keine Gewalteinwirkung feststellen. Die Altöttinger Kollegen gingen sofort von einem Selbstmord aus, woran ich meine Zweifel habe. Kein Abschiedsbrief, keine persönlichen Dinge wie Handy, Geldbeutel oder Papiere. Und keine Fußspuren. Was aber vor allem fehlt ist ein Hinweis darauf, mit was sich die Frau umgebracht haben soll. Wir haben alles abgesucht, aber hier ist absolut nichts, alles sauber. Keine Medikamentenverpackungen, Spritzen, Giftampullen, Messer, spitze Gegenstände – einfach nichts! Verstehen Sie jetzt den Grund meines Anrufes?“

      „Allerdings.“

      „Die Maske war fest fixiert und ich kann Ihnen versichern, dass ich sie vorsichtig abgenommen habe. Zum besseren Verständnis und um zu verdeutlichen, wie die Tote vorgefunden wurde, habe ich die Maske nur lose aufgelegt. Ich hatte eigentlich mit mehr Publikum gerechnet, aber wenn außer Ihnen niemand kommt, dann muss ich wohl mit Ihnen vorlieb nehmen. Also was ist, können wir? Sind Sie bereit und aufnahmefähig?“

      Leo