Traum-Zeit. Josie Hallbach

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Название Traum-Zeit
Автор произведения Josie Hallbach
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754183755



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konntest du mir vorenthalten, dass du dich verliebt hast?“, kam es empört von ihren Lippen, nachdem ich mich minutenlang jeglicher verbalen und nonverbalen Kommunikation entzogen, mit Inbrunst meinem Essen gewidmet und so gut es ging die Ahnungslose gespielt hatte.

      Augenblicklich bekam ich Mühe, zu schlucken. Ich kaute extra lange, was mir ein bisschen Zeit zum Denken verschaffte. Aber irgendwann ist ein Bissen weicher Nudelteig mit Hackfleischsoße ausgereizt und man muss seinen Wortschatz und die Gehirnzellen bemühen.

      „Wie kommst du denn darauf?“ war das kreativlose Ergebnis meines Kau- und Denkmarathons. Ich sollte mir demnächst eine andere Notfall-Floskel ausdenken. Sie verliert allmählich ihre Wirkung.

      „Schau dich im Spiegel an, Mädchen. So sieht man nicht aus, wenn man frisch mit jemandem Schluss gemacht hat, ohne dass ein Neuer im Spiel ist.“ Mona besitzt in diesem Punkt etwas Erfahrung. Jochen ist mit Abstand ihr bisher langmonatigster Freund. Für sie spielen klassische Werte, wie ein Familienmodell, das aus einem verheirateten Paar samt den genetisch dazu passenden Kindern besteht, keine wirkliche Rolle. Sex gehört für sie so unverkrampft zum Leben, wie ihr Yoga-Kurs mittwochabends. Warum sich unsere Freundschaft trotz der unterschiedlichen Lebensphilosophien derart lange gehalten hat, ist eigentlich ein Rätsel. Wahrscheinlich liegt es daran, dass Mona gleichzeitig offen, geradlinig und hundert Prozent treu ist, zumindest mir gegenüber.

      „Da gibt es niemand Konkreten, äh ich meine Reellen“, probierte ich eine letzte Ausflucht, aber keine sonderlich ernstzunehmende, weil ich nebenbei gegen ein akut aufsteigendes, pubertäres Kichern ankämpfen musste. Wie jedes Mal, wenn ich an bestimmte Aspekte meines zurückliegenden Traumes dachte.

      „Erzähl mir keinen Mist. Ich kenne dich besser als jede andere. Außerdem weiß ich zufällig, dass man als Christ nicht lügen darf.“ Mona hat es zwar selbst nicht mit Religion, was aber keinesfalls heißen soll, dass sie nicht bestens Bescheid wüsste. „Entweder du kiffst inzwischen, was ich mir bei dir schwer vorstellen kann oder da ist ein Mann im Spiel, der interessanter Weise nicht Florian heißt.“

      Daraufhin beging ich meine nächste Inkonsequenz, bereits die zweite innerhalb von 24 Stunden. Obwohl ich gestern noch der Überzeugung gewesen war, dass Schweigen angesichts irrer, wenig plausibler Erlebnisse mit Gold belohnt wird, verlagerte sich meine Haltung jetzt spontan Richtung Silber. In mir schwappte das Bedürfnis hoch, etwas von dem, was mir widerfahren ist, in Worte zu fassen, um herauszufinden, ob das überhaupt funktionierte oder sich genauso verrückt anhören würde, wie das, was ich empfand.

      Während ich über den Tisch gebeugt, flüsternd meine nächtlichen Erinnerungen vor meiner ambitionierten Hobby-Analytikerin auszubreiten begann, fing ihr Gesicht verräterisch an zu zucken. Der linke Mundwinkel und das entsprechende Augenlid waren betroffen, ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie sich amüsierte.

      Die erste Zwischenfrage bestätigte es mir. „Und wie war‘s?“

      Mein Bericht hatte mittlerweile die Stelle erreicht, wo mein vermeintlicher Bräutigam zu mir ins Bett stieg. „Was?“

      „Na, ihr seid doch hoffentlich zur Sache gekommen.“ Der Humor brach sich endgültig Bahn. Ihr Gesicht sprühte förmlich vor Belustigung. Die Gabel stieß unterstützend mitten in die Gurkenscheiben und pikste eine davon mitleidlos auf. Mona liebt plastische Gesten! Vielleicht wollte sie meine Geschichte aber auch bloß abkürzen, weil wir in einer viertel Stunde an unserem Arbeitsplatz eintreffen sollten.

      „Natürlich nicht. Er war überaus rücksichtsvoll“, glaubte ich meinen Schein-Ehepartner verteidigen zu müssen. Nebenbei schaute ich mich peinlich berührt nach ungebetenen Lauschern um. Mir ist vorher nie aufgefallen, wie durchdringend Monas Stimme sein konnte.

      „Mensch Ronja!“ Das Glitzern in ihren Augen erlosch und die Gabel samt der aufgespießten Gurkenscheibe erstarrte mitten auf dem Weg zum Mund. „Da träumst du schon mal von einer Hochzeitsnacht und könntest sogar als brave Christin ohne schlechtes Gewissen hemmungslosen Sex haben und was passiert? Dein Unterbewusstsein bastelt sich einen Spießer dazu, der auf Brüderchen und Schwesterchen macht.“ Die Gurke kehrte mit einem heftigen Klirren zu ihren Artgenossen zurück und Mona schob mit angewidertem Gesichtsausdruck ihren Teller von sich. „Oder sah er abgrundhässlich aus?“

      „Nein, du hättest ihn garantiert süß gefunden. Er erinnerte mich ein bisschen an „Legolas“, nur mit kürzeren Haaren und hübscheren Ohren.“ Wir haben in der Vergangenheit mal mit Freunden „Herr der Ringe“ geschaut. Der Elbenprinz liegt, wie ich weiß, auf Monas Beliebtheitsskala ganz vorne.

      Auf der sonst makellosen Stirn meiner Freundin bildete sich eine steile Falte. „Dann ist es schlimmer, als ich befürchtet habe. Was dir fehlt, ist offensichtlich. Flo sieht das genauso.“

      „Ach, hat er mir darum gestern betrunken aufgelauert?“ Eigentlich hatte ich den letzten Akt unserer unrühmlichen Beziehungsglosse mit ins Grab nehmen wollen, doch Mona schafft es immer wieder, mir meine letzten Heimlichkeiten zu entlocken.

      Das Geständnis machte sie einen Moment lang perplex. Dies zeigten ihre sich zusammenziehenden Pupillen. Ansonsten hatte sie sich erstaunlich gut unter Kontrolle.

      „Es ist nichts weiter passiert“, fühlte ich mich trotzdem genötigt zu erwähnen. „Zumindest mir. Flo traf es härter.“

      „Okay, das ergibt Sinn“, kam es zögernd von ihrer Seite. „Deswegen ist er heute krankgemeldet… Warum hast du eigentlich ausgerechnet jetzt mit ihm Schluss gemacht?“

      Eigentlich hatte ja Florian mit mir Schluss gemacht, doch für solche Detailfragen schien mir der falsche Zeitpunkt zu sein. „Es war längst überfällig. Wir passen nicht zusammen.“

      Mona gab zu meiner Überraschung ohne Widerspruch nach. „Vielleicht war das mit euch einfach mein Wunschdenken. Soll ich ihn mir vorknüpfen? Jochen will nachher ohnehin bei ihm vorbeischauen.“

      Ich schüttelte heftig den Kopf.

      „Na gut, er wird darüber wegkommen“, lenkte sie ein. „Möglicherweise ist er das sogar schon, denn er hat gestern dein Hintergrundbild von seinem Handy gelöscht und seinen Beziehungsstatus auf Facebook geändert.“ Anschließend hakte Mona das leidige Thema ab und schaltete auf Optimismus um. Irgendwo in ihrem Innern muss sich ein Knopf befinden, den man bei Bedarf betätigen kann. Langfristiges Sorgenmachen zählt nicht zu ihren herausragenden Eigenschaften. „Kopf hoch, Ronja. Da draußen wartet bestimmt ein netter, frommer Prinz auf dich. Ihr werdet eine perfekte Romanze haben, heiratet, bekommt einen Stall voll lockenköpfiger, rehäugiger Kinder und lebt christlich und zufrieden bis an euer Lebensende, während ich einsam und von meinen unzähligen Affären frustriert in einem Seniorenheim vor mich hinvegetiere.“ Wenn Mona bei diesen Worten nicht aufmunternd gegrinst hätte, wäre ich fast auf die Idee gekommen, sie könne ihre Worte ernstmeinen.

      So aber entgegnete ich nur: „Dann werde ich dich dort besuchen und meine Enkelschar zur Aufmunterung mitbringen.“

      Der Rest des Tages verlief für meine momentanen Verhältnisse halbwegs unkompliziert. Dennoch hatte ich am Abend eine kleine Existenzkrise und fragte mich, ob ich diesen Job und all das, was gerade mein Leben ausmachte, die nächsten zehn oder wieviel Jahre auch immer durchziehen wollte. Sich Tag für Tag mit einem mies gelaunten, nachtragenden Ex arbeitstechnisch konfrontiert zu sehen, stellt man sich schließlich keineswegs spaßig vor. Außerdem gestand ich mir ein, dass mich Bausparverträge beängstigend wenig interessieren. Und entgegen der optimistischen Prognose meiner Freundin rechnete ich auch nicht damit, demnächst einen, diesmal qualitativ hochwertigen und vor allem dauerhaften, Prinzen auftauchen zu sehen, der meinem Dasein neue Bedeutung verleihen würde. Aschenputtel ist zwar mein Lieblingsmärchen, doch inzwischen erreicht selbst mich ab und zu die Realität.

      Dabei hatte ich mich als kleines Mädchen stets bemüht, mir eine schöne, heile Parallelwelt aufzubauen.

      Es begann, als meine Eltern lautstark ihre Konflikte austrugen, die mit einer weinenden Mutter und einem die Tür zuschlagenden, das Haus verlassenden Vater endeten. Weil ich nicht fliehen konnte, zog ich mich in meine Gedanken zurück. Dort erschuf ich die perfekte Großfamilie, einen