Traum-Zeit. Josie Hallbach

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Название Traum-Zeit
Автор произведения Josie Hallbach
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754183755



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gemeistert habe.

      Diese mangelnde Kompetenz kam jetzt zum Tragen. Florians Mimik verfinsterte sich augenblicklich. „Wer ist der Kerl?“

      Meine Nervosität wurde an dieser Stelle unüberhörbar. „Niemand, den du kennst.“

      „Ist es etwas Ernstes?“

      Mir lag auf der Zunge zu beichten, dass ich ihn letzte Nacht geheiratet hätte, doch ich schluckte es hinunter und begnügte mich mit einem vieldeutigen Schweigen, der Einheit für Fortgeschrittene. Um der peinlichen Stille zu entkommen, beginnt sich der Gesprächspartner normalerweise um Kopf und Kragen zu reden. Hatte zumindest die Leiterin des Kurses behauptet.

      Diese Lektion muss Florian entweder geschwänzt haben, oder er hält nichts von klassischen Regeln. Stattdessen begann er ruckartig seine Sachen zusammenzustellen, obwohl sein Teller noch halbvoll war, starrte mich vernichtend an und würgte „Ich hätte dich für klüger gehalten“ hervor. Anschließend rauschte mein nunmehriger Ex-Freund erhobenen Hauptes davon und ließ mir seine Essensreste samt der neugierigen Blicke umliegender Tischnachbarinnen zurück.

      Um meinen Appetit stand es von da an auch nicht mehr zum Besten. Mit fest auf die Marmorfliesen gehefteten Augen und einem doppelbödigen, überfüllten Tablett begab ich mich zur Abgabestelle.

      Ich fühlte mich so lange schlecht, schuldig und minderwertig, bis pfeifend eine Nachricht auf meinem Handy eintraf. Es war ein unmissverständliches Ikon, welches jegliche christliche Erziehung vermissen ließ. Florian musste dafür extra recherchiert und es sich heruntergeladen haben, denn auf meinem Handy fand ich nichts Derartiges hinterlegt.

      Ich mochte es zwar nicht offen zugeben, aber von da an empfand ich in erster Linie Dankbarkeit, dass man, bessergesagt Mann, mir die Entscheidung abgenommen hat. Im Schluss machen fehlt mir wie es aussieht die Übung.

      Beim Gesprächskreis glänzte Florian ein weiteres Mal durch Abwesenheit und mir stand ein halbwegs entspannter Abend bevor. Bei der anregenden Diskussion zum Thema Glaube und Zweifel vergaß ich sogar zwei Stunden lang meine momentane Misere. In dieser Runde fühle ich mich heimisch und gut aufgehoben. Einen Drang über die vergangenen Erlebnisse zu reden, verspürte ich trotzdem nicht, obwohl ich vor meinen „frommen Mitgeschwistern“ wenig Geheimnisse habe. Sie wissen, wann man Dinge besser für sich behält. Nur, wie sollte ich meine aktuelle Verfassung erklären?

      Dabei sind Christen eine Menge gewohnt. Wer an die Präsenz eines unsichtbaren, allmächtigen Gottes glaubt und sein Leben nach einem 2000 Jahre alten Buch ausrichtet, den dürften seltsame Träume kaum schockieren.

      Was aber meine Zukunft ohne Florian betraf, konnte ich davon ausgehen, dass diese Neuigkeit sie sowieso bald erreichen würde. Sie wunderten sich eh schon, warum ich in letzter Zeit vorzugsweise allein aufkreuzte.

      Kapitel 3:

      Ein kleiner Teil von mir hoffte, als ich mich zu später Stunde auf den Heimweg begab, dass ich erstens Florian nie wieder treffen müsse und zweitens in der kommenden Nacht meinem Fast-Bräutigam begegnen würde. Beides war ungefähr in gleichem Maße unrealistisch.

      Ich wohne im obersten Stock eines fünf Parteien-Hauses ohne Aufzug. Die dazugehörige Straße befindet sich in einem etwas heruntergekommenen Teil unserer Kleinstadt und zeichnet sich durch Überalterung und einen hohen Ausländeranteil aus. Doch diese Wohnlage war das gewesen, was wir uns nach Paps Tod hatten leisten können. Außerdem hatte sich das berufliche Betätigungsfeld meiner Mutter im Prinzip direkt vor unserer Haustür befunden.

      Obwohl sich mir später mehrfach Gelegenheiten boten, in eine hochwertigere Umgebung zu ziehen, hänge ich an dieser Wohnung. Sie ist konkurrenzlos günstig und meine Mitmieter gehören fast zur Familie. Ich entdecke zumindest ständig Aufmerksamkeiten vor meiner Wohnungstür. Im Gegenzug übernehme ich kleine Besorgungsdienste und putze samstags das Treppenhaus durch. Als Dankeschön habe ich freien Eintritt in der Eisdiele meiner italienischen Untermieter, die von deren erwachsenen Kindern betrieben wird.

      Okay, Familienintegration hat auch Nachteile. Die rumänische Oma, deren Wohnung im zweiten Stock liegt, versucht mich seit Jahren unbeirrbar mit ihrem Enkelsohn aus Bukarest zu verkuppeln, damit dieser die deutsche Staatsbürgerschaft erhält und bei uns studieren darf. Sie mochte Florian von Anfang an nicht und prophezeite mir in schöner Regelmäßigkeit eine düstere Zukunft an seiner Seite.

      Mein Ex fing mich schwankend vor der Haustür ab. Nachdem er mich in eine Ecke gedrängt und beschimpft hatte, begann er zu grabschen. Dabei lallte er etwas von Fehlinvestition und Auszahlung mit Zinsen. Er macht seinen Job in der Bausparkasse schon recht lang.

      Zum Glück war er dermaßen betrunken, dass er keine ernsthafte Gefahr darstellte und ich ihn abschütteln konnte. Eigentlich tat ich sogar ein bisschen mehr als das. Der große Bruder einer Freundin aus meinem ehemaligen Jugendkreis war lange Jahre im Jiu-Jitsu gewesen und hatte mir an einem sonnigen Nachmittag einige praktische Kniffe beigebracht, die man als alleinstehende Frau gut gebrauchen kann. Durch Florian hat sich der lehrreiche Unterricht endlich bezahlt gemacht. Morgen würde sich mein Ex vermutlich fragen, woher seine schlechte Verfassung und die körperlichen Male stammten. Doch ein paar Erinnerungshilfen konnten kaum schaden und sollten ihn in Zukunft von weiteren, alkoholisierten Eskapaden abhalten.

      Und dann gab es sogar noch eine unerwartete Zugabe, geliefert von einem übergewichtigen, in Feinripp-Unterhemd und Jogginghose gekleideten Senior. Herr Maifeld führt gegen eine reduzierte Mietgebühr Hausmeistertätigkeiten bei uns im Gebäude durch. Weil er diesen Job sehr ernst nimmt und sein Tätigkeitsfeld zudem weit fasst, hatte er sich zur Unterstützung einen Minigolf-Schläger mitgebracht. Bestimmt wird dieser seit Jahren irgendwo schmerzlich vermisst. Gekonnt und recht eindeutig schwang er ihn in der Hand. Auch ein alkoholisiertes Hirn versteht eine solche Sprache.

      Als Florian endlich schimpfend um die Ecke verschwunden war, begleitete mich mein glatzköpfiger Schutzengel schweratmend bis direkt vor meine Wohnungstür. Obwohl ich ihm ununterbrochen beteuerte, dass mir nichts passiert sei, würden morgen alle im Haus Bescheid wissen, unter Garantie.

      Mehr oder weniger unbeschadet in meinen vier Wänden angekommen, schloss ich sorgsam ab und empfand echte Dankbarkeit, dass es nie zu einem Schlüsselaustausch zwischen Florian und mir gekommen war.

      Trotzdem brauchte ich eine ganze Weile, bis sich meine Nerven beruhigt hatten. Rein therapeutisch bemühte ich darum meinen Einfallsreichtum, um im Schlaf ins vorige Jahrhundert enteilen zu können, in dem die Welt samt ihren Männern noch in Ordnung war. Doch was den Tag über ohne Probleme funktioniert hatte, scheiterte jetzt kläglich. Ich erwachte vermeintlich traumlos am nächsten Morgen.

      Dafür begegnete mir noch vor der ersten Kaffeepause ein vorwurfsvoller Blick aus grünen, von perfektem Mascara umhüllten Augen. Als Mona auf dem Weg zur Toilette an meinem Schreibtisch vorüberschlenderte, konkretisierte sich dieser Eindruck, indem sie: „Ich bin voll enttäuscht von dir“, zischte.

      Florian schien das unstillbare Bedürfnis verspürt zu haben, sich bei ihr auszuheulen, bevor er seinen Kummer in Alkohol ertränkt hatte, um mir danach, von jeglichem guten Benehmen enthemmt, an die Wäsche zu gehen. Sein angestammter Sitzplatz neben dem begehrten Fenster des nahegelegenen Büros war heute Morgen verwaist, wie ich mit stiller Genugtuung feststellte. Vermutlich kühlte er gerade wesentliche Teile seines Unterleibs.

      Bis zur Mittagspause konnte ich Mona hinhalten, dann zerrte sie mich hinter sich her in die Kantine. Weitere Interessenten, die sich uns anschließen wollten, ihr Freund Jochen vorne dran, grenzte sie kategorisch aus.

      „Wir kennen uns seit der Grundschule…“, begann sie, Berge von Salat vor sich aufhäufend, weil sie zum gefühlt zwanzigsten Mal in diesem Jahr auf Diät war. Dabei besitzt sie schlimmstenfalls Normalgewicht. Für einen neidisch-hungrigen Blick auf meine Lasagne reichte es dennoch.

      Wenn sich meine Freundin auf gemeinsame Kindheitserlebnisse beruft, ist das kein gutes Zeichen. Ich wappnete mich für Unangenehmes. Mona kann nämlich kultiviert blättrige Kost in sich reinschieben und einen parallel wie eine Verräterin