Traum-Zeit. Josie Hallbach

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Название Traum-Zeit
Автор произведения Josie Hallbach
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754183755



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Atemrhythmus zurückzufinden versuchten. „Was hältst du davon, wenn wir jetzt schlafen? Du wirkst erschöpft.“

      Ich starrte ihn verblüfft an und Marie sprach ausnahmsweise die passenden Worte dazu, so in ungefähr zumindest: „Werden Sie…? Äh… Willst du nicht…? Ich meine…“

      „Wir haben genug Zeit, eine ganze Ehe lang. Leg dich nieder. Du fühlst dich eiskalt an.“

      Marie rutschte zögernd nach unten, sorgsam darauf bedacht, dass ihr Nachthemd diese Reise mit antrat.

      Danach wurden die Kerzen ausgeblasen und das letzte Stück Vorhang zugezogen. Zum Schluss rückte unser Bettnachbar neben sie. So dicht, dass auch ich ihn spüren konnte. Eine Hand glitt in der Dunkelheit um unsere Taille und verblieb dort.

      Obwohl sonst tatsächlich nichts passierte, wirkte Marie wie erstarrt. Ihr Herz schlug schmerzhaft von innen gegen die Rippen. Sie misstraute ihrem Ehemann. Das war anhand ihrer Reaktion klar. Aber warum?

      „Keine Angst, dir wird nichts geschehen. Ich will dich bloß wärmen. Schlaf gut, Marie.“ Er drückte seine Lippen auf ihren Scheitel, umschlang sie noch etwas fester und schlief irgendwann ein, wie ich an seinen tiefer werdenden Atemzügen erkennen konnte.

      Positiv zu vermerken war, dass er im Gegensatz zu Florian nicht schnarchte. Ich weiß dies, seit ich ihn einmal nach einem feuchtfröhlichen Männerabend auf dem Sofa bei Monas Freund vorgefunden habe. Das sägende Geräusch hätte mich auch blind zu seiner Schlafstätte geführt.

      Marie und ich lagen in dieser Nacht noch lange wach. Mit einem Pulsschlag von über hundert, schafft man es schwer einzuschlafen. Dadurch bekam ich ausreichend Gelegenheit, über diese Situation nachzudenken.

      Das, was gerade passierte, war total verrückt. Wie konnte es sonst sein, dass man im Schlaf mitten in die Geschichte zweier Menschen geriet, ohne jegliche Distanz wahren zu können und sich gleichzeitig vom Verstand und seinen Sinnen hellwach fühlte? Inzwischen fand ich diesen Traum aber gar nicht mehr übel. Deshalb beschloss ich, jede weitere Sekunde auszukosten.

      Ich meinte sogar den Geruch unseres Bettgefährten wahrnehmen zu können. Natürlich benutzte er kein Deo oder Aftershave. Auch Dusch- und Körperlotionen dürften damals unbekannt gewesen sein. Dennoch roch er frisch und angenehm bodenständig. Ein wenig nach Wald. Wie eine Mischung aus Holz und Erde mit einem Hauch Zitrone. Auf jeden Fall anders als sämtliche Männer, die ich kannte.

      Das war das letzte, was sich mir einprägte, bevor ich eingeschlafen sein musste, denn als ich aufwachte, lag ich in meinem Bett, allein, in meiner mir vertrauten Welt und mein Wecker zeigte, dass es höchste Zeit war aufzustehen.

      Kapitel 2:

      Manchmal, wenn man etwas Schlimmes erlebt und endlich einschläft, ist man beim Aufwachen unsicher, ob man alles bloß geträumt hat. Beim Tod meines Vaters war es so gewesen. Ein Polizist stand eines Abends vor unserer Haustür und überbrachte die Nachricht, dass dieser mit dem Auto tödlich verunglückt sei. Man stünde vor einem Rätsel, denn die Straße verliefe an dieser Stelle schnurgerade und es wäre kein anderes Auto im Spiel gewesen.

      Als Achtjährige kapiert man manches nur bruchstückhaft. Aber ich wusste, dass meine Eltern häufig stritten, mein Papa seit über einem Jahr wo anders lebte und den Kontakt zu uns fast vollständig abgebrochen hatte. Es gab auch Probleme mit Alkohol. Vielleicht reagiere ich darum bei Florian so empfindlich darauf.

      Am Morgen nach dieser Schreckensbotschaft wachte ich auf und glaubte, es wäre ein Albtraum gewesen. Doch als ich Mutter mit rotverweinten Augen durch die Wohnung laufen sah, realisierte ich Stück für Stück, dass auch im Alltag grausame Dinge passieren können. Den praktischen Teil dieser Erkenntnis erhielt ich drei Tage später auf der Beerdigung.

      An diesem Montagmorgen ging es mir ähnlich, nur genau umgekehrt. Mein Traum war derart realistisch gewesen, dass ich kaum glauben konnte, alles habe sich lediglich in meinem Kopf abgespielt. Während ich Fertigmüsli in mich hineinlöffelte, meinte ich noch diese tiefe, warme Stimme im Ohr zu haben.

      Ernsthaft, sowas schaffe nur ich! Da verliebe ich mich zum ersten Mal Hals über Kopf und dann ist es gleich von vornherein komplett hoffnungslos, weil es erstens diesen Traummann gar nicht gibt, ich zweitens keine Möglichkeit habe, ihn wiederzusehen – wann träumt man schon Fortsetzungen? - und drittens und das ist der Gipfel alles Schlimmen, er eine gewisse Marie und nicht mich liebt und geheiratet hat. Das letzte, was ich gebrauchen kann, ist eine traumatische Dreiecksbeziehung.

      Auf dem Weg zu meinem Arbeitsplatz fühlte ich mich immer noch wie weggetreten. Trotzdem checkte ich heroisch meine aufgelaufenen Mails und sonstigen Nachrichten. Ich sollte besser rasch in meine Gegenwart zurückfinden und dazu gehört, dass man in meiner Generation über soziale Medien kommuniziert.

      Dummerweise bin ich keine typische Handynutzerin, was man mir in meinem Freundeskreis oft genug vorwirft. Weder bin ich dauerhaft online, noch trage ich es in Körpernähe. Meine Erreichbarkeit stellt sich von daher recht mäßig dar. Dies rächt sich, weil ich spontane Termine verpasse oder mich, wenn ich mein Handy einschalte, Unmengen von alten Nachrichten gegenübersehe.

      So wie jetzt. 24 WhatsApp-Botschaften, 11 E-Mails und 3 SMS überfluteten mich geradezu und ließen mein Handy brummen, pfeifen und klingeln, als wolle es samt Handtasche abheben.

      Die Busfahrt war zu kurz, um alle Defizite aufzuarbeiten, aber nachdem ich die unvermeidlichen Werbungen gelöscht hatte, sah ich, dass allein fünf Nachrichten von Florian stammten, inklusive zweier verpasster Anrufe. Drei gingen auf Monas Rechnung und ansonsten sollte ich mich dringend bei den Leuten von meinem Gesprächskreis melden. In der Gruppe wurde nach jemandem gesucht, der am Abend die Themeneinheit übernehmen konnte und bisher wussten alle nur, wer keine Zeit dazu besaß.

      Ich stellte im Nachhinein fest, dass es eine glückliche Fügung gewesen war, mein Handy gestern auf dem Küchentisch vergessen zu haben, als ich Oma im Altenheim besuchte.

      Von einem entspannten Treffen hatte dennoch keine Rede sein können. Meine Großmutter hatte mich nicht mal ansatzweise erkannt, obwohl ich sie möglichst häufig zu sehen versuche. Sie befindet sich seit etwas über einem Jahr auf einer Pflegestation für Demenzkranke und lebt phasenweise in einer abstrus eigenen Welt. Sämtliche Besucher werden in die aus ihrer Sicht passenden Rollen gepresst. Dieses Mal sprach sie mich zum Beispiel konsequent mit Marie an, wer auch immer das sein mochte. Optische Kriterien und zwingende Logik gibt es für Demenzkranke nun mal nicht.

      Wahrscheinlich hieß meine Braut heute Nacht deswegen so. Doch eigentlich kam ich damit noch ganz gut weg. Ein halber Tag auf einer Demenzstation hätte auch genug Stoff für einen Horrortrip geboten: Während ich meiner Oma die Abendmahlzeit in mundgerechte Happen schnitt, war neben mir ein distinguiert aussehender, grauhaariger Herr singend hin- und hergeschwankt. Ein paar Leute hatten sich um eine zerfledderte Babypuppe gestritten. Der verhältnismäßig junge, korpulente Mann vom Tisch gegenüber probierte unser Essen zu klauen, was hieß, dass ich Omas Brot hart verteidigen musste. Und im Hintergrund hatte eine verschrumpelte Greisin bei jedem lauten Geräusch verschreckt aufgeschrien und gegen unsichtbare Mächte zu kämpfen versucht. Die harmlosesten unter den Patienten sind eindeutig diejenigen, die still in ihren Rollstühlen vor sich hinvegetieren.

      Während ich im Großraumbüro einlief, das mir seit knapp zwei Jahren ein sympathisch stabiles Einkommen und einen geregelten Tagesablauf beschert, versuchte ich meine jüngsten Erinnerungen abzuschütteln. Es misslang. Meine Gedanken schweiften kontinuierlich ab, wie eine Herde störrischer Schafe.

      Ich merkte es jedoch erst, als Mona mir auf die Schulter tippte und meinte: „Na, hast du dich endlich mit Florian versöhnt?“ Sie musste sich heimtückisch von hinten an mich herangeschlichen haben.

      Vorsichtshalber fragte ich: „Wie kommst du denn auf die Idee?“

      „Du grinst ständig vor dich hin. Hach, es wurde auch Zeit. Der arme Kerl hat ja so gelitten.“ Meine Freundin seufzte theatralisch und zauberte ein schwülstig-wissendes Lächeln auf ihre roten Lippen.

      Ich