Die Brücke zur Sonne. Regan Holdridge

Читать онлайн.
Название Die Brücke zur Sonne
Автор произведения Regan Holdridge
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754170441



Скачать книгу

und Bäumen, sogar auf den Grashalmen hing glitzernder Tau. Das Radio spielte leise die Countrymusik des Lokalsenders, während auf der gesamten Tischplatte Jeans Schulunterlagen verstreut lagen. Aus dem Mathematikordner gähnte sie das leere, weiße Karoblatt an und wartete auf die Bearbeitung der Hausaufgaben. Völlig in Gedanken versunken starrte Jean vor sich hin.

      Für den morgigen Tag hatte ihre Mutter angekündigt, ihre beiden Töchter mit zu einer Modenschau nehmen zu wollen. Jean graute ein wenig bei der Vorstellung, neben ihrer Mutter und Patty und weiteren Snobs, Smalltalk halten zu müssen. Insbesondere, da sie keinerlei Interesse daran hatte, welches Kleid gerade modern war oder auch nicht. Sie wollte einfach nur zu Amy auf die Ranch und reiten!

      Nachdem Rachel vor drei Tagen plötzlich aufgefallen war, dass sie ihre Familie über all ihren anderen Tätigkeiten ein wenig vernachlässigt hatte, bestand sie nun auf gemeinsamer Freizeitgestaltung. Jean seufzte unglücklich. Erst am vorigen Abend hatten sich ihre Eltern deshalb wieder lautstark gestritten. Die halbe Nacht waren ihre Stimmen durch das Haus gedrungen und heute Morgen hatte Patty ihrer älteren Schwester erklärt: „Eigentlich bist nur du daran Schuld, dass ich kein Auge zugetan habe. Bei dem Krach…“

      „Wieso ich?“, hatte Jean gefragt.

      „Na, weil Paps auf deiner Seite steht und Mom nicht möchte, dass du dich noch länger mit diesem Gesindel auf der Ranch herumtreibst – verständlicherweise.“

      Jean seufzte noch einmal und legte den Stift beiseite. Sie fürchtete um ihre Reitstunden und die Zeit mit Amy auf der Arkin Ranch. Hoffentlich würde ihr Vater sich nicht von Rachel unterbuttern lassen! Sie wollte nichts anderes machen in ihrer Freizeit und Amy war ihre beste Freundin, die beste, die sie je gehabt hatte!

      Das laute Knattern eines Automotors ließ Jean aufspringen. Eilig lief sie zum Fenster neben der Haustüre und schob den weißen Vorhang zurück.

      Der alte, knallrote Pickup mit dem rostenden, eingedellten Dach bog durch die Einfahrt im Gestrüpp. Ruckartig kam das uralte, klapprige Gefährt mitten im Hof zum Stehen. Amy stöhnte schmerzhaft auf.

      „Ich möchte bloß einmal wissen, was du immer mit der armen Rostbeule anstellst!“ Sie rieb sich das Steißbein, das durch die holprige Fahrt von der Ranch herüber auf dem harten, durchgesessenen Sitz äußerst mitgenommen worden war.

      Beleidigt schob Trey sich den Hut aus der Stirn. „Nächstes Mal darfst du gerne hinterherlaufen!“

      „Nimm es mir nicht übel“, bat Amy mit entschuldigendem Achselzucken, „aber bei den anderen bockt er wirklich nicht wie eine junge Kuh. Warte hier.“ Schnell stieg sie den hohen Absatz auf die gefrorene Erde hinunter. „Ich bin gleich zurück!“

      Ahnend verzog Trey das Gesicht. „Das behaupten Frauen immer!“ Er stellte den Motor ab.

      Gut gelaunt eine Melodie vor sich hin summend, rannte Amy zur Hütte hinüber, nahm die beiden Stufen vor dem Eingang mit einem Satz und schlug mit der Hand gegen die Tür. Ungeduldig trat sie von einem Bein aufs andere, während sie kleine Wölkchen in die beißend-kalte Luft hauchte. Als sich auch nach einigen Sekunden nichts rührte, donnerte ihre Faust erneut gegen das Holz.

      „Hey!“, schrie Trey kopfschüttelnd vom Wagen herüber. „Du solltest den armen Leuten wenigstens Zeit geben, bis zur Tür zu gelangen, bevor du sie einschlägst!“

      „Das kannst gerne du übernehmen!“, rief Amy zurück. „Ich kuck mal ums Haus!“

      „Aber pass auf, dass du nicht in die Fänge der Giftschlange gerätst!“, warnte der junge Mann. Rachels Ruf als schöne, aber unerbittliche Leiterin des Modevereins hatte sich innerhalb weniger Wochen herumgesprochen und sie wurde zwar überall respektvoll behandelt, aber nur die wenigstens hatten wirklich das Bedürfnis, mehr Zeit als nötig mit ihr zu verbringen. „Mit mir als rettendem Helden wirst du nicht rechnen können!“

      Amy kümmerte sich nicht um ihn, sondern lief rechts um das Blockhaus herum und hätte in ihrer Aufregung und Vorfreude beinahe das offenstehende Fenster übersehen. Erstaunt hielt sie inne. Flink blickte sie um sich, ehe sie sich kurz entschlossen hineinbeugte. Unverkennbar – das waren Jeans Schulsachen, die dort lagen und aus dem Radio drang noch immer leise Musik. Ohne lange darüber nachzudenken schwang Amy ihre Beine aufs Fensterbrett und kletterte auf allen Vieren über den Tisch.

      „Jean?“, rief sie leise und sah sich neugierig im Inneren des Wohnraums um, bevor sie mit lautem Poltern zu Boden sprang. „Jetzt komm schon! Wo steckst du?“ Sie verharrte einen Augenblick. Da vernahm sie das leise Klappern einer Tür.

      In ihren gewohnten Bluejeans und einer Jacke über dem Arm kam Jean aus ihrem Zimmer geeilt. „Abfahrbereit!“

      „Sehr gut! Hast du Geld?“

      „Geld?“ Jean starrte sie verständnislos an. „Bevor meine Mutter mir Geld gibt, muss ich genau erklären, wofür ich es haben will! Außerdem: Was soll ich damit?!“

      „Auch egal!“ Amy packte sie am Arm. „Daddy hat mir nämlich eine ganze Menge Scheine mitgegeben und mir aufgetragen, für uns beide ein paar neue Klamotten zu besorgen. Wir fahren nach Silvertown zum Einkaufen! Trey bringt uns hin!“

      „Das ist ja spitze!“ Jean lachte. Sie klappte das Mathematikbuch zu und schloss das Fenster. „Ich zahle es dir zurück, sobald ich meinen Vater alleine erwische. Hoffen wir, dass niemand von meiner Familie so bald nach Hause kommt.“

      „Will deine Mutter immer noch Familientage einführen?“

      „Ich fürchte, ja!“

      Von draußen erklang ungeduldiges Hupen und Treys laute Stimme: „Hey ihr beiden! Die Geschäfte haben sogar in Silvertown nicht länger geöffnet wegen euch! Also, haltet euer Kaffeekränzchen auf der Fahrt ab!“ Demonstrativ drückte er noch einige Male auf die Hupe, die quietschend über den Hof trompetete.

      Jean kicherte. Die Vorstellung, nach Silvertown zu fahren und durch die Läden zu bummeln, gefiel ihr. Sie hakte sich bei Amy und gemeinsam rannten die beiden Mädchen hinaus in das kalte Frühjahr.

      Ostern kam und ging...

      Ostern kam und ging und bald darauf war Rachel wieder mit ihren eigenen Aktivitäten beschäftigt. Niemand kümmerte sich großartig um den anderen, wie es eben zuvor und in all den zurückliegenden Jahren auch schon der Fall gewesen war. Es änderte sich nichts daran, wie der eine mit dem anderen umging, nur war es inzwischen an Jean, sich von ihrer Familie immer mehr abzunabeln und ohne, dass es überhaupt jemandem groß aufzufallen schien. Matthew verbrachte fast immer sieben Tage die Woche in der Klinik und Patty hatte unter ihren Freundinnen einige gefunden, die gerne mit ihr in die größeren Städte in der weiteren Umgebung fuhren. Meistens fanden sich dafür ältere Geschwister, die bereits ein Auto oder zumindest einen Führerschein besaßen. Ebenso verhielt es sich mit entsprechenden Partys, über die Patty stets bestens informiert war.

      Das Verhältnis zwischen Jean und ihrer Schwester glich nur noch einer oberflächlichen Bekanntschaft. Wenn sie gemeinsam in der Hütte anzutreffen waren – was ohnehin sehr selten der Fall war – wechselten sie belanglose Worte miteinander und Jean war froh, den schnippischen, besserwisserischen Bemerkungen ihrer Schwester bald wieder entkommen zu können.

      Die ersten Sonnenstrahlen des frühen Sommers brachten schon bald wärmere Temperaturen und luden dazu ein, die Pferde zu satteln und hinauszureiten in die Weiten der Prärie. Jeans reiterliche Fähigkeiten waren mittlerweile so weit fortgeschritten, dass sie in Amys Gegenwart auf Lady, dem brävsten Pferd auf der Ranch, auch ausreiten durfte.

      Laut rufend rannte eine kleine Gestalt über den Ranchhof. Ausnahmsweise trug sie saubere Bluejeans und ein dunkelrotes, gebügeltes Hemd unter ihrer Lederjacke. Dazu passend steckte in den Schlaufen der Hose ein hellbrauner Ledergürtel und ein Cowboyhut in derselben Farbe hing an einem Lederband um ihren Hals auf die Schultern hinab. Als sie am Bunkhouse der Cowboys vorbeischoss, das offene, braue Haar wild hinter sich her fliegend, erklang unerwartet an der Ecke ein lauter Schlag. Trey stöhnte mit schmerzverzerrtem