Die Brücke zur Sonne. Regan Holdridge

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Название Die Brücke zur Sonne
Автор произведения Regan Holdridge
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754170441



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die Führung zu übernehmen. Sie hatte nicht nur äußerlich sehr viel Ähnlichkeit mit ihrer Mutter, auch im Wesen waren ihre Parallelen nicht abzustreiten. Das unerschütterliche Selbstbewusstsein und die ausgeprägte Arroganz waren wohl die beiden herausstechendsten Eigenschaften, doch ihre faszinierende Schönheit machte es möglich, dass weder Patty, noch Rachel jemand diese übelzunehmen schien. Ihre äußerliche Makellosigkeit blendete ihre Mitmenschen und zog sie gleichzeitig in ihren Bann. Jedes Mädchen wollte so schön und begehrenswert sein wie Patricia van Haren und genauso von den Jungs angehimmelt werden. Natürlich gab es auch Neiderinnen, doch die konnten Pattys Selbstverliebtheit nicht im Mindesten beeinträchtigen. Sie hatte sich vorgenommen, in dem einen Jahr in den Staaten das beliebteste Mädchen der Schule zu werden und das würde ihr auch gelingen.

      Das Gegenteil zu ihrer jüngeren Schwester war hingegen Jean. Mit Erleichterung stellte sie fest, dass Amy in ihre Klasse ging und sie sich erst einmal an die Rancherstochter halten konnte. Diese machte sie mit allen Mitschülern bekannt und so brauchte Jean nicht selbst auf die Klassenkameraden zuzugehen, was ihr ohnehin mehr als schwergefallen wäre.

      Meistens verbrachte sie auch die Zeit nach der Schule mit Amy und fuhr mit ihr auf die Arkin Ranch, wo sie gemeinsam Hausaufgaben machten und danach zum Reiten gingen oder sich um die Pferde kümmerten. So entstand zwischen Jean und Patty eine noch größere Kluft, als sie ohnehin bereits vorhanden war. Beide sahen sich nur noch selten und wechselten auch nur noch wenige Worte miteinander. Es blieb beim oberflächlichen Austausch der wichtigsten Informationen ihrer beider Leben, ohne, dass die eine sich mehr um die Angelegenheiten der anderen kümmerte als notwendig.

      * * *

      Im offenen, aus großen, rauen Steinen erbauten Kamin knisterte das herunterbrennende Feuer und hüllte den Raum in rauchige Wärme. Draußen hatte die Dunkelheit die Sonne vertrieben und die Cowboys waren längst entweder nach Hause, zu ihren Familien gegangen oder in der Unterkunft verschwunden. Durch das Fenster seines Arbeitszimmers, neben dem mächtigen, antiquarischen Bücherregal konnte der Ranchbesitzer sehen, dass Licht im Bunkhouse brannte – wie beinahe jeden Abend spielten die Männer noch Karten. Amy hatte sich in ihr Zimmer zurückgezogen und Abigail, ihre Haushälterin, hatte längst Feierabend und war nach Silvertown, zu ihrem Mann in ihr kleines Häuschen zurückgefahren.

      Konzentriert saß Ben hinter seinem riesigen Mahagonischreibtisch über einer Reihe Rechnungen, die sich im Laufe der vergangenen Woche angesammelt hatten. Bisher war er nicht dazu gekommen, sie abzuarbeiten. Auch heute Abend war er im Grunde viel zu müde, um sich ihnen noch lange zu widmen. Den Nachmittag hatte er bei der Stadtratsversammlung in Silvertown verbracht, wo die letzten großen Beschlüsse zum Start der Touristensaison gefällt worden waren. Wie immer waren Stunden darüber vergangen und jeder der Stadträte hatte seine Ansichten und Kommentare mindestens zweimal wiederholt, bevor endlich eine Entscheidung getroffen worden war. Bisweilen fiel ihm diese Aufgabe auf die Nerven. Wieso konnte dies alles nicht unkomplizierter und ohne große Debatten geregelt werden?

      Erschrocken zuckte Ben aus seinen Überlegungen hoch – es klopfte leise scheppernd an der Haustür.

      „Ach, richtig!“ Ahnend ging er zur Türe und trat erfreut einen Schritt beiseite. „Guten Abend, Matt! Komm rein!“

      Die beiden Männer schüttelten sich kurz die Hand.

      „Zu lange kann ich leider nicht bleiben, sonst schöpft meine Frau am Ende noch Verdacht“, bedauerte der Arzt und verzog entschuldigend das Gesicht. „Sie weiß ja, wann Feierabend ist und zur Zeit ist sie nicht gerade bester Laune. Der Architekt arbeitet ihr nicht schnell genug. Eine Diskussion ertrage ich heute beim besten Willen nicht mehr! Es war ein verdammt harter Tag!“

      „Das wollen wir natürlich nicht riskieren!“ Ben ging ihm voraus ins Arbeitszimmer. „Cognac?“

      „Oh – ein Gläschen nach einem anstrengenden Arbeitstag dürfte auch einem Chirurgen nicht schaden.“ Dankend nahm Matt nach einer auffordernden Handbewegung des Ranchbesitzers in einem der beiden schwarzen, tiefen Ledersessel vor dem Kamin Platz.

      „Die scheinen dich in der Klinik ja dringender zu brauchen, als erwartet!“ Ben reichte Matthew das volle Glas. „Bist du zufrieden?“

      „Es ist natürlich ein gewaltiger Unterschied zu dem, was ich aus London gewöhnt bin. Bei der nächsten Gelegenheit werde ich unserem Leiter mal ein wenig unter die Arme greifen, aber es ist sehr viel zeitraubender, in einem kleinen, nicht so anonymen Krankenhaus arbeiten zu können. Man verbringt viel mehr Zeit mit den einzelnen Patienten.“ Er stockte. „Und die einzelnen Fälle berühren einen wesentlich tiefer, als ich das je zuvor erlebt habe.“

      Verständnisvoll nickend ließ Ben sich ihm gegenüber, im anderen Sessel, nieder. „Der Mensch ist anpassungsfähig – jedenfalls wenn er will.“

      Matt zog die Brauen hoch. „Wenn er will, ja.“ Nachdenklich starrte er in sein Glas. „Rachel hat damit keinerlei Mühe, jedenfalls inzwischen nicht mehr. Sie hat sich gestern einen neuen Cadillac gekauft, in marineblau mit passenden Ledersitzen! Und sie möchte die Damen von Summersdale für die neueste Mode begeistern und einen Verein gründen!“

      Bei dieser Vorstellung musste Ben schmunzeln. „Beides äußerst interessante Aspekte. Bis zum Wintereinbruch kommt sie mit diesem Auto ohne Probleme zu eurer Hütte hinaus. Bei Schnee wird sie allerdings wohl oder übel ihre Beine benutzen müssen!“

      Matthew verdrehte Augen. „Falsch! Dann werde ich meine Kondition trainieren dürfen und sie wird meinen Jeep in Beschlag nehmen!“

      „Ich bin ja gespannt, ob sie unsere Damen hier mit Mode begeistern wird können. Die meisten haben keinen Gebrauch dafür“, meinte Ben, wie nebenbei, und nahm einen kräftigen Schluck des Cognacs.

      „Hmm.“ Matt legte den Kopf schief und überlegte kurz. „Sie steckt schon mitten in ihren Planungen für diesen Club, mit dem sie durch ganz Amerika reisen will. Manchmal bekomme ich sie tagelang nicht zu Gesicht. Rachel findet schnell Leute, in deren Gegenwart sie sich gut aufgehoben fühlt.“ Er stockte. „Und bei Patty ist es nicht viel anders.“

      „Tja“, machte Ben und schürzte die Lippen. „Sie hat eindeutig die Gene ihrer Mutter.“

      „Sie ist das Abbild ihrer Mutter in jungen Jahren“, verbesserte Matt rasch. „Zum Glück ist Jean bodenständiger und bei Amy in besten Händen!“

      „Ich dachte“, gestand Ben und kam sich dabei fast lächerlich vor, „ich könnte deiner jüngeren Tochter auch die Natur und unser Land näherbringen und sie vielleicht sogar ein wenig dafür begeistern, genau wie Jean. Sie hat sehr viel Talent fürs Reiten, weißt du das?“

      „Ach – der Ausflug, als Rachel und ich einen dreistündigen Gewaltmarsch hinter Stevie Bentley her, quer durch ganz Silvertown absolvieren durften!“ Matt lachte leise auf und probierte das teure Getränk, das ihm schon nach dem ersten Schluck im Hals brannte. „Manchmal frage ich mich ernsthaft, ob Patty je erfahren hat, was das Wort Erziehung überhaupt bedeutet.“

      „Damals schien sie sich jedenfalls nur dunkel daran zu erinnern“, meinte Ben ungeniert und verzog das Gesicht zu einem versöhnlichen Lächeln.

      „Details solltest du mir meinen Nerven zuliebe besser ersparen!“

      „Na, wenigstens hast du mit Jean ein wenig mehr Glück“, warf Ben schmunzelnd ein. „Sie passt ja irgendwie so gar nicht zum Rest deiner Familie…“

      „Wahrhaftig nicht!“ Matthew seufzte tief und hörbar. „Sie hat zu viel von mir mitbekommen. Das ist in unserer Gesellschaft nicht gut. Sie hat sich dort noch nie zurechtgefunden und ich fürchte, sie wird es auch niemals ernsthaft tun.“

      „Hmm...“ Bens Gedanken arbeiteten angestrengt. „Dann hat sie zumindest jetzt die Möglichkeit, ihren eigenen Weg zu finden. Oder glaubst du, Patty wird sich später viel von deiner Frau unterscheiden?“

      Nur ungern ging Matt auf dieses Thema ein. Es bereitete ihm häufig genug Kopfzerbrechen und er hatte sich angewöhnt, es beiseitezuschieben und bestmöglich zu verdrängen.

      „Manchmal