Die Brücke zur Sonne. Regan Holdridge

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Название Die Brücke zur Sonne
Автор произведения Regan Holdridge
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754170441



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von zwei hellbraunen Pferden gezogene Kutsche über den schmalen Pfad im Präriegras. Auf den beiden hintereinander angebrachten Sitzbänken fanden jeweils zwei Personen Platz. Das schwarze Leder war bereits abgegriffen und zeugte von der jahrelangen, häufigen Nutzung. Gekonnt lenkte Ben die beiden Pferde den grasüberwucherten Weg entlang. Wann immer es ihm die Zeit und das Wetter erlaubten, spannte er seine Pferde vor einen der Wagen. Immer, wenn die Nachbarrancher ihn damit sahen, lächelten sie ihm ein wenig verständnislos hinterdrein – und stiegen in ihre Autos. Ben dagegen bevorzugte seine historischen Kutschen statt der Motorengeräusche. Ihm fehlte das Gefühl der Verbundenheit zu seinem Land, wenn er hinter dem Steuer des Wagens saß. Er hatte im Alter von fünf Jahren sein erstes Gespann gelenkt und die Zügel in seinen Händen schienen mit ihnen verwachsen zu sein, so sauber und fein gab er den Pferden die nötigen Hilfen.

      Seit sie die Ranch verlassen hatten, schwieg Amy hartnäckig. Sie hatte sich trotzig auf dem Sitz neben ihrem Vater zusammengekauert und die Unterlippe nach vorn geschoben – ein sicheres Zeichen, dass sie beim geringsten Anlass ihrem Unmut Luft machen würde.

      Irgendwann hielt Ben das angespannte Schweigen nicht länger aus. „Erzähl mir doch mal, wie es heute in der Schule gewesen ist“, schlug er vor und lächelte seine Tochter aufmunternd an.

      „Das fragst du sonst nur, wenn Klausuren anstehen“, erwiderte Amy patzig und richtete sich auf. „Da vorn ist eine geeignete Stelle zum Wenden!“

      „Wir werden nicht umdrehen.“

      „Ich habe immer geglaubt, du könntest mich verstehen! Aber jetzt – nach allem, was passiert ist, auch noch das!“ Düster und vorwurfsvoll starrte Amy ihren Vater an.

      „Wieso bist du in dieser Angelegenheit nur so stur?“, wollte Ben wissen und trieb die Pferde mit leisem Schnalzen an.

      „Das, was ich bisher von Miss Patty van Haren kennengelernt habe, genügt mir vollkommen!“, erwiderte Amy mit Nachdruck. „Ich will sie niemals wiedersehen, außer, es lässt sich nicht vermeiden – wie in der Schule! Aber das habe ich dir ja schon alles erklärt!“

      Kopfschüttelnd nahm Ben die Zügel in eine Hand, während die beiden Hellbraunen ruhig voran trabten. „Du hast doch gesagt, ihre Schwester sei ganz in Ordnung?“

      „Jean? Ja, ich glaube, mit der könnte man auskommen.“

      „Dann gib Patty doch auch noch eine Chance!“

      „Patty ist eine verrückte Halbwilde, die sich einbildet, die geborene Prinzessin dieser Erdkugel zu sein!“

      „Na, na!“ Beschwichtigend hob Ben die Hand. „Kannst du nicht verstehen, was in ihr vorgehen muss?“ Er machte eine kurze Pause, ehe er betont eindringlich fortfuhr: „Sie wird gegen ihren Willen, wie ich vermute, aus allem herausgerissen: Aus ihrem Zuhause, ihrer Schule, ihrem Freundeskreis…und kurzerhand hierher umgesiedelt, ob sie das wollte oder nicht! Wahrscheinlich ist ihr Verhalten nur eine Art Schutzmaßnahme. Sie fühlt sich bei uns unwohl und fremd, vielleicht auch allein gelassen – und das nicht nur von ihren Eltern. Sie hat hier ja niemanden!“

      „Du kannst leicht reden! Du hast sie ja nicht erlebt!“, widersprach Amy verbissen. „Sie ist ganz einfach oberflächlich und bösartig!“

      Ben seufzte. Es würde keine leichte Aufgabe werden.

      Lustlos und mit halbgeschlossenen Lidern lag Patty auf dem dunkelroten Ledersofa und starrte in den Fernsehapparat, der in der Ecke des Raums auf einem Schränkchen stand. Wenigstens an diese Anschaffung hatte ihr Vater gedacht. Die Qualität der laufenden Bilder ließ allerdings sehr zu wünschen übrig – die Antenne auf dem Hausdach empfing die Signale auf solch weite Entfernung zur Sendeanstalt nur mit flimmernden Unterbrechungen. Irgendeine Nachrichtensendung lief soeben und der Sprecher erzählte von den Ergebnissen der letzten Baseballspiele. In der Küche wusch ihre Schwester gerade klappernd das Geschirr, wobei sie ein Lied völlig falsch und sehr laut trällerte.

      „Du störst meine Fernsehsendung!“, schrie Patty nach einer Weile. „Wenn du schon singen musst, dann mach’s wenigstens draußen in dieser Pampas, wo dich niemand hört!“

      Sie hatte noch eine angebrochene Tüte Kartoffelchips vom Vorabend gefunden, über die sie sich hermachte. Immer eine ganze Hand voll schob sie sich davon in den Mund. Sie schmeckten nicht einmal besonders, aber immerhin stellte das Essen eine Beschäftigung dar. Ach, nun folgte die bekannte Wettervorhersage und was kam danach? Irgendeine Serie, wenn sie sich recht erinnerte, doch die Stimme des Sprechers wurde durch lautes Pochen an der Haustür unterbrochen. Erschrocken ließ Patty die Tüte zu Boden fallen und verschluckte sich gleichzeitig an den Krümeln in ihrem Mund. Hustend und schimpfend kroch sie vom Sofa und wischte ihre fettigen Finger an dem einzigen Gegenstand ab, der gerade greifbar war: Ihrer teuren, schwarzen Satinhose. Erneut wurde von außen heftig geklopft, diesmal ungeduldiger.

      „Ja, ja!“, rief Patty genervt. Eigentlich wollte sie niemanden sehen, denn sie und Jean waren wieder einmal alleine und sie verspürte wenig Lust auf Gesellschaft. Dennoch riss sie die Tür auf. Vor ihr stand, höflich lächelnd und den grauen Cowboyhut in der Hand, Ben Arkin und eine lange Minute starrte Patty ihn fassungslos an. Völlig verworrene, unzusammenhängende Gedanken durchzuckten sie und intuitiv legte sie den Kopf schief. Sie erwartete eine Zurechtweisung und mächtig Ärger wegen des vergangenen Nachmittags.

      „Hallo Patricia!“, begrüßte der Rancher sie übertrieben fröhlich und nickte ihr zu. „Weil heute so herrliches Wetter ist, dachten Amy und ich, wir zeigen dir und deiner Schwester heute gemeinsam ein wenig unsere Ranch!“

      Patty starrte ihn an, als wäre er nicht ganz bei Trost. Ihre Augen glitten hinüber zu dem zwei Jahre älteren Mädchen, das noch immer auf dem Kutschbock verharrte und den Blick stur auf das quietschende Windrad gerichtet hielt.

      „Ich glaube, ich habe von Ihrer holden Ranch mehr als genug gesehen, vielen Dank“, erwiderte Patty mit einem Blick, als spräche sie zu einem geistig Verwirrten. Ausgerechnet in dieser Sekunde erschien ihre große Schwester hinter ihr und Patty hätte sie am liebsten dafür erwürgt. Sie rollte die Augen.

      „Wer ist es denn? Oh, Mr. Arkin!“ Erfreut lächelnd lief Jean von der Küchentür herüber und schüttelte ihm die Hand. „Das ist ja schön. Kann ich Ihnen etwas anbieten?“

      „Nein, nein“, versicherte Ben. „Ich bin mit Amy gekommen, um euren gestrigen Ausflug fortzusetzen.“

      „Wirklich?“ Jean warf einen langen Blick zu der Rancherstochter hinüber, die noch immer, wie eine Statue, auf der Kutsche verweilte und konnte nicht verhindern, dass ihr Herz einen freudigen Sprung machte. „Dann können Sie mir ja vielleicht ein paar Rinder zeigen!“

      „Natürlich!“ Ben lächelte. „Wir haben ja eine Menge davon!“

      „Danke“, mischte Patty sich wieder ein, mehr als nur abgeneigt. „Mein Bedarf an Kühen ist gedeckt! Außerdem…“ Sie trat schutzsuchend einen Schritt zurück. „Unsere Eltern müssten bald zurückkommen. Sie sind nur kurz nach Summersdale etwas Essbares besorgen. Ich will nicht, dass sie sich Sorgen machen.“

      „Das dürfte das kleinste Hindernis sein“, entgegnete Ben Arkin unnachgiebig. „Schreib’ ihnen einen kurzen Zettel!“ Nachdenklich glitt sein Blick über Pattys Kleidung hinweg. „Es könnte ein wenig staubig werden…“

      „Ich schreibe schnell einen!“, rief Jean und lief zurück ins Haus, um nach Papier und Stift zu suchen. Der Blick ihrer Schwester, der ihr folgte, hätte sie auf der Stelle tot umfallen lassen müssen.

      „Scheinbar muss ich meine Planungen für heute Nachmittag nun doch über den Haufen werfen“, stieß Patty hervor, ohne ihre Lustlosigkeit und den Ärger darüber zu verbergen. Wirklich geplant hatte sie ja im Grunde genommen nichts – außer vor dem Fernseher zu liegen, aber eine weitere Fahrt in die Prärie war das Letzte, was sie brauchte! Weshalb konnte ihre Schwester sich nicht einfach aus allem heraushalten? Nur ihretwegen sah sie sich jetzt gezwungen, schon wieder auf dieses schauklige Gefährt zu steigen!

      „Los, hast du nicht gehört?“, stupste Jean sie im selben