Die Erzählerin von Arden. Carola Schierz

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Название Die Erzählerin von Arden
Автор произведения Carola Schierz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738019827



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ältere rundliche Rufus einen vertrauenerweckenden Eindruck.

      Er verband ihr die Augen. „Das ist leider notwendig, da du den genauen Weg nicht wissen sollst. Es ist ein geheimer Zugang zu den privaten Gemächern meines Herrn. Diese Maßnahme dient nur zu deinem Schutz.“

      Sie liefen durch verschiedene Gänge und kamen bald zu einer Treppe. Diese stiegen sie nach oben und blieben dann stehen. Nachdem Lillian ein Klopfzeichen gehört hatte, vernahm sie Schritte, die sich entfernten und war allein. Sie hörte das Geräusch, einer sich öffnenden Tür und hielt vor Aufregung den Atem an. Eine Hand griff nach ihrem Arm, und zog sie nach vorn.

      „Du kannst die Augenbinde jetzt abnehmen“, hörte sie Ravens angenehme Stimme.

      Lillian tat was ihr geheißen und bekam einen Schreck: Sie stand mitten in seinem Schlafgemach!

      Der Raum wurde von einem riesigen Bett dominiert. Die Wände waren kunstvoll mit Holz vertäfelt, was ihm eine schlichte Eleganz verlieh. Es gab zwei hohe Flügeltüren. Lillian vermutete hinter der einen den Privatsalon und hinter der anderen das Ankleidezimmer des Prinzen. Der geheime Zugang, durch den sie hineingelangt war, musste in der Vertäfelung versteckt sein. Das Mobiliar schien, abgesehen vom Bett, eher praktisch gewählt. Ein Tischchen mit zwei gedrechselten Stühlen und ein edel gepolsterter Zweisitzer waren die einzigen größeren Gegenstände. Raven stand ein paar Meter von ihr entfernt gegen die Wand gelehnt und sie stellte trotz ihrer Angst fest, dass er einer der schönsten Männer war, die sie je gesehen hatte. Doch das hieß noch lange nicht, dass sie mit ihm ...

      Er seinerseits musterte sie völlig gelassen aus seinen schönen pechschwarzen Augen. Sie schienen von einem traurigen Schatten überzogen zu sein.

      Schließlich löste er sich aus seiner Starre. „Dein Name ist Lillian, nicht wahr?“

      Als er auf sie zukam, wich sie automatisch zwei Schritte zurück und spürte plötzlich die Wand im Rücken. Ein spöttischer Zug legte sich um seinen Mund und gab ihm einen leicht arroganten Ausdruck.

      „Ich sagte dir doch, es würde dir nichts geschehen. Bei aller Bescheidenheit. Ich habe es nicht nötig, über kleine Küchenmägde herzufallen … im Gegensatz zu anderen.“

      Also wusste er davon. Immer noch misstrauisch behielt sie ihn im Auge.

      „Versteh mich nicht falsch! Du bist ein hübsches Ding, aber ich bin wählerisch. Sagen wir es mal so: Ein Huhn ist durchaus schmackhaft, aber wenn man seinen Tisch mit Fasanen und Rebhühnern decken kann, wird man doch nicht losgehen, um sich ein kleines Hühnchen zu rupfen.“ Er wandte ihr den Rücken zu, um sich einen Branntwein einzuschenken.

      Das war dann doch zu viel für Lillian. Sie ein Hühnchen!? Empörend! „An diesem Hühnchen würdet Ihr Euch gehörig den Magen verderben“, rutschte ihr zornig heraus.

      Er hatte sie verstanden und musste lächeln, ließ sie aber nichts davon merken. Gut so! Sie war wütend. Also nicht mehr ängstlich. Er hatte sein Ziel erreicht.

      „Was wollt Ihr wirklich von mir?“, fragte sie. „Ich wüsste nicht, wozu Euch ein Hühnchen von Nutzen sein könnte, wenn nicht als Mahlzeit!“

      Ihr wurde klar, dass sie mit dem zukünftigen König des Landes so nicht reden durfte und sie presste die Lippen aufeinander.

      Raven seinerseits genoss die Szene. Das Mädchen hatte so etwas Ehrliches und Unverdorbenes an sich. Attribute, welche man unter den Höflingen suchen musste. Sie war auf ihre ganz eigene Weise bezaubernd, mit den unschuldigen Augen eines Kindes, das schon vom Leid des Lebens kosten musste. „Ich will, dass du mich regelmäßig hier aufsuchst. Sagen wir dreimal die Woche – bei Sonnenuntergang.“

      Lillian öffnete den Mund und wollte etwas erwidern. Mit einer Geste gebot er ihr zu schweigen.

      „Lass mich ausreden!“, sagte er etwas barscher als beabsichtigt. „Bitte!“, fügte er schließlich freundlicher hinzu. „Ich wünsche, dass du mir in dieser Zeit die Freude machst, deiner Erzählkunst lauschen zu dürfen.“

      Mit wirklich allem hätte Lillian gerechnet, aber dass ein erwachsener Mann - solch ein Mann! - den Wunsch nach „Gutenachtgeschichten“ verspürte – nein, damit nicht!

      „Bei allem Respekt, Hoheit, aber ich war der Meinung, dass Ihr andere Ablenkungen vorziehen würdet.“

      Offensichtlich war sie zu weit gegangen. Seine Gesichtsmuskeln spannten sich an und die schwarzen Augen wurden zu funkelnder Lava. „Das - geht dich rein gar nichts an!“, wies er sie zurecht. „Entweder du entschließt dich, meine Bedingungen anzunehmen oder ich sage Clark, dass ich mich wohl doch getäuscht und ein anderes Mädchen mit der Reinigung des Leuchters beauftragt hätte. Er wäre sicher froh, dich als Diebin überführen zu dürfen.“

      Lillian war ganz elend zumute. „Aber Ihr wisst doch, dass ich nichts stehlen wollte!“

      Er zuckte mit den Schultern und grinste provozierend. „Es liegt in deiner Hand.“ Er machte ein paar Schritte auf sie zu. „Du sollst es auch nicht umsonst tun. Wenn du deine Aufgabe zu meiner Zufriedenheit erfüllst, würde ich mich mit einer angemessenen Summe erkenntlich zeigen. Sagen wir monatlich? Ich erwarte natürlich absolutes Stillschweigen!“ Mit vor der Brust verschränkten Armen stand er vor ihr. „Und? - Nimmst du an?“

      Es entstand eine Pause.

      „Entscheide dich! Jetzt!“

      Lillian überlegte angestrengt. „Aber was sage ich den anderen, wenn sie fragen wo ich mich abends herumtreibe? Sie werden es bemerken.“

      Er zuckte mit den Schultern. „Egal! Lass dir irgendwas einfallen. Schließlich bist du hier die Geschichtenerzählerin! Hauptsache du sagst niemandem die Wahrheit. Aber ich halte dich für klug genug, das zu lassen. Denn solltest du es jemandem erzählen, schadest du nur dir selbst. Niemand würde dir glauben, dass du nur in mein Schlafzimmer kommst, um mir unschuldige Geschichten zu erzählen. Du weißt, was das für deinen Ruf bedeuten würde.“

      Bei Gott! Daran hatte sie noch gar nicht gedacht! „Warum tut Ihr mir das an. Selbst wenn ich es geheim halte, was ist, wenn mich jemand hier sieht. Jeder würde mich für eine …, eine ...“ Sie bekam das Wort nicht über die Lippen.

      „Genau das! Aber keine Sorge, keiner wird dich sehen. Dafür sorge ich schon. Also?“

      Was blieb ihr großartig für eine Wahl. Entweder sie wurde sicher als Diebin gebrandmarkt oder sie ging das Risiko ein, bei Entdeckung für die Geliebte des Prinzen gehalten zu werden.

      „Und wie lange muss ich Euch zur Verfügung stehen? Einen Monat oder zwei?“

      Er hob die dunklen Brauen. „Das hängt vom Erfolg unseres Experimentes ab. Sagen wir, maximal ein Jahr?“

      Lillian riss die Augen auf. Er musste völlig verrückt sein! Aber was blieb ihr übrig? Sie sollte ja nur Geschichten erzählen, was auch immer ihn dazu bewog. Und ein Nebenverdienst war sicher auch nicht zu verachten.

      Lillian atmete tief durch. „Gut! Ein Jahr und keinen Tag länger! Ab heute. Und Ihr schwört mir, nichts zu tun, was meiner Ehre schaden könnte.“

      Er zögerte, ganz so, als müsse er darüber erst nachdenken. Dann holte er tief Luft und reichte ihr seine Rechte, um den Packt zu besiegeln. Seine Hand fühlte sich kräftig und warm an. Lillian hielt sie länger fest, als nötig gewesen wäre. Als ihr das klar wurde, zuckte sie auffallend schnell zurück. Er bemerkte die Röte auf ihrem Gesicht und unterdrückte ein Lächeln.

      „Darf ich mich für heute zurückziehen?“, fragte sie und versuchte ihre Unsicherheit abzuschütteln.

      „Ja, du darfst.“ Er nahm das Tuch in die Hand, das ihr vorhin als Augenbinde gedient hatte.

      „Du erlaubst?“ Es war mehr ein Befehl als eine Bitte. Er trat hinter sie und verband ihr wieder die Augen. Sie konnte seine Körperwärme spüren, so dicht stand er hinter ihr. Entgegen ihrer Vernunft, empfand sie es als äußerst angenehm.

      „Woher wisst Ihr eigentlich, dass ich das kann.