Die Erzählerin von Arden. Carola Schierz

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Название Die Erzählerin von Arden
Автор произведения Carola Schierz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738019827



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das könnte passieren?“

      „Nun, einmal im Monat vielleicht.“

      Der frische Keim der Hoffnung zog sich jäh wieder in seine Wurzeln zurück. Zügig stieg Lillian hinter Helen die Treppe hinauf. Die Korridore schienen endlos lang zu sein. Die gewölbte Decke über ihnen war mit zahlreichen, handgemalten Deckengemälden verziert, auf denen ausschließlich Jagdszenen zu sehen waren. Durch eine Fensterfront, mit Blick auf den Innenhof des Gebäudes, fielen die Strahlen der frühen Nachmittagssonne, so dass man die kleinen Staubpartikelchen darin tanzen sah. Unter ihren Schuhen spürte Lillian den roten dicken Teppich einsinken.

      „Hier ist es“, sagte Helen. Dort stand, durch einen schweren Vorhang verdeckt, ein Tisch mit einer beachtlichen Anzahl Tassen und Tellern. Sie luden alles in den Korb und machten sich auf den Rückweg. Da öffnete sich plötzlich eine der großen Eichentüren. Zu ihrer Enttäuschung musste Lillian feststellen, dass es sich weder um König Aron, noch um seinen Sohn handelte, sondern um Clark, den Kammerdiener seiner Majestät, der ihnen den Weg versperrte.

      Mit einem herablassenden Lächeln trat er vor sie hin. „Oh, unsere begnadete Erzählerin! Welch angenehme Überraschung dich hier zu sehen.“

      Das Mädchen musterte ihr Gegenüber kurz. Mit seinen blonden, ordentlich zusammengebundenen Haaren und der gutsitzenden, sauberen Dienstuniform, war er ein durchaus ansehnlicher Mann. Aber irgendetwas an ihm missfiel ihr. Seinen Augen fehlte jegliche Wärme und Güte.

      „Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Clark und ich bin ein großer Freund deiner Kunst. Ich hoffe, du gestattest mir, mich heute Abend erneut zu euch zu gesellen?“

      Lillian antwortete zögernd aber freundlich: „Natürlich! Es darf schließlich jeder kommen, der will. Und vielen Dank für das freundliche Kompliment.“

      Seine kalten Augen musterten sie und sie fühlte sich unwohl dabei.

      „Oh, das ist nur die reine Wahrheit“, säuselte er. „Einen schönen Tag noch, die Damen!“

      Er sah ihnen süffisant lächelnd nach. 'Wäre doch gelacht, wenn ich nicht schon heute Nacht im weichen Heu bei dieser kleinen Hexe liegen würde …'

      Helen schüttelte sich übertrieben. „Da hast du dir ja einen tollen Verehrer an Land gezogen. Immer wenn ich ihm in die Augen sehe, ist mir so, als würde mir jemand einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf gießen. Lass dich lieber auf nichts mit dem ein.“

      Lillian machte große Augen. „Wo denkst du nur hin. Das würde mir nicht mal im Traum einfallen!“

      Helen zuckte mit einer Schulter. „Dann ist es ja gut.“

      Böses Spiel

      Raven hatte den Tag mit einem kurzen Ausritt ins Umland begonnen. Als er zurückkam richtete ihm eine Zofe aus, dass sein Vater auf seine Anwesenheit beim Mittagessen bestand. Raven war alles andere als erfreut und entließ das arme Dienstmädchen mit einem unfreundlich gebrummten Kommentar. Als er sich schließlich zu Tisch begab, wartete sein Vater bereits etwas ungehalten.

      Raven sah ihn an. Er hatte immer noch diese machtvolle Aura, die jeden in seiner Nähe einschüchterte. Das Haar des Königs war einst genauso nachtschwarz gewesen wie das seines Sohnes. Jetzt, im Alter von fünfzig Jahren, bekam es einen Silberschimmer, der seine tiefdunklen Augen noch mehr zur Geltung brachte. Es lag voll und schwer auf den breiten Schultern. Der schmale Mund wurde von einem gepflegten Bart umrandet. Als er aufstand, um seinen Sohn zu begrüßen, befanden sich beide Männer auf Augenhöhe. Raven war eine jüngere Version seines Vaters, nur trug er keinen Bart und sein Mund hatte einen weicheren Zug als der des Älteren.

      „Schön dich wohlauf zu sehen, mein Sohn. Ich habe ein paar wichtige Dinge mit dir zu besprechen.“ Aron forderte ihn mit einer Geste auf, sich zu setzen.

      Als das Mahl aufgetragen war, entließ er die Dienerschaft nach draußen.

      „Dein Onkel James hat mir geschrieben. Er und seine Frau werden bald für ein paar Wochen zu uns kommen.“

      Das waren durchaus gute Nachrichten, denn Raven mochte seinen stets zum Scherzen aufgelegten Onkel sehr gern.

      „Wie es aussieht, bleibt auch seine zweite Ehe kinderlos. Er denkt darüber nach, sein Erbe eines Tages dir zu vermachen, sofern sich daran nichts ändert. Das bedeutet, dass du, gesetzt den Fall er würde vor mir sterben, Herr über seine Ländereien wirst, noch bevor du dein Amt als mein Nachfolger antrittst.“

      Er machte eine Pause und holte hörbar Luft.

      „Raven! Du musst endlich aufwachen! Wenn du das nicht von alleine schaffst, werde ich dich dazu zwingen müssen. Erspare uns beiden diese Schmach. James weiß noch nichts von deinem Lebenswandel und wähnt sein Erbe bei dir in sicheren Händen. Du bist für ihn wie ein eigener Sohn.“

      Raven war der Appetit gründlich vergangen. „Ich habe nicht darum gebeten, als Thronfolger geboren zu werden, genauso wenig wie um das Erbe von Onkel James!“, erwiderte er zähneknirschend.

      Das war zu viel für die Geduld Arons. Er schlug mit der Faust auf den Tisch, so dass die Gabeln von den Tellern sprangen.

      „Es reicht!“, schrie er. „Du wirst deine Verantwortung in Zukunft wahrnehmen! Die einfachen Bauern hat auch keiner nach ihren Geburtswünschen gefragt. Sie meistern ihr Leben trotzdem, denn es bleibt ihnen nichts anderes übrig. Ihnen stellt keiner das Essen auf goldenen Tellern auf den Tisch und schüttelt ihnen die Betten auf. Sie arbeiten von früh bis spät, damit du ein Leben in Luxus und Verschwendung führen kannst. Du bist ihnen verdammt noch mal etwas schuldig. Und ich sorge dafür, dass du deine Schuld begleichst. Das schwöre ich, beim Andenken deiner Mutter!“

      Das wiederum war mehr als Raven verkraften konnte. So hatte sich sein Vater noch nie gebärdet. „Lass Mutter aus dem Spiel!“ Er sprang auf und verließ wutentbrannt den Raum.

      Krachend ließ er seine Schlafzimmertür ins Schloss fallen. Seine Halsschlagader pochte, als wenn sie platzen wollte. „Verflucht!“, schrie er, während er ein Glas an die Wand schmetterte. Das Schlimmste an allem war, dass sein Vater, mit jedem Wort, das er gesagt hatte, im Recht war. Und Raven wusste das leider nur zu gut. Er nahm einen kräftigen Schluck Branntwein. Heiß rann die bernsteinfarbene Flüssigkeit seine Kehle hinunter, um sich dann brennend in seinem leeren Magen auszubreiten. Irgendetwas musste geschehen, sonst ging er vor die Hunde.

      Da fiel ihm ein, dass er heute Abend noch etwas vorhatte und ein leises Gefühl der Vorfreude verdrängte seine Wut ein wenig. Als die Sonne unterging stieg er wieder aufs Dach. Diesmal hatte er eine Stelle gewählt, von der aus man direkt auf das Gesindehaus und die Menschen davor blicken konnte. Er wollte sehen wer die Frau war, zu der diese Stimme gehörte, die sich wie Balsam auf die Wunden seiner Seele legte. Vom Klang her schien sie fast noch ein Mädchen zu sein.

      Dann war der Moment gekommen, als die Unterhaltungen verstummten und nur noch sie zu hören war. Er kniff die Augen zusammen, um auf die Entfernung so viel wie möglich zu erkennen. Was er sah, stimmte mit seinen schönsten Vorstellungen überein. Ihr Gesicht wurde vom Feuer angeleuchtet. Er konnte es nur schemenhaft erkennen, aber es schien fein geschnitten. Was ihn am meisten beeindruckte, war die lockige Haarpracht, die das Mädchen einhüllte. Er hielt seinen Blick fest auf sie gerichtet, während er ihr zuhörte.

      John hatte Helen fest in den Arm genommen, während sie gemeinsam mit den anderen Lillians Geschichte lauschten. Nun, einige Zeit später, saßen nur noch die drei Freunde am Feuer, welches langsam niederbrannte. John flüsterte seiner Verlobten etwas ins Ohr und sie lächelte entschuldigend, mit einem Seitenblick zu Lillian. Die hatte es bemerkt und sagte verständnisvoll: „Nun geht schon ein Stückchen spazieren! Ich warte hier am Feuer auf euch.“ Sie lächelte ihnen zu.

      „Können wir dich wirklich alleinlassen?“, fragte Helen besorgt.

      „Was soll mir hier schon zustoßen?“, wehrte Lillian ab. „Jetzt geht schon!“

      Als die beiden in der Dunkelheit verschwunden waren, hörte sie