RoadMovie. Hans-Joachim Mundschau

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Название RoadMovie
Автор произведения Hans-Joachim Mundschau
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844253122



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ich. Ich bestellte bei der Kellnerin das Wiener Schnitzel und einen halben Liter Bordeaux. Als sie den Wein brachte, schaute ich sie mir genauer an. Sie war blond, sah atemberaubend aus. Sie trug eine enge, weiße Bluse, die verriet, dass sie sehr große Brüste hatte. Sonst war sie schlank und bewegte ihre braungebrannten Beine in diesen birkenstockartigen Schuhen, wie viele Kellnerinnen sie tragen, elegant wie eine Gazelle. Ihr Lächeln war freundlich, nicht aufgesetzt.

      Während ich auf das Schnitzel wartete, schaute ich mir die paar Menschen im Lokal an: Ein Paar in den Fünfzigern, sich anschweigend. Ein jüngeres Pärchen, sie mit einem gewagten Ausschnitt in einem krätzegrünen Pullover, er im dunklen Zwirn, entsetzliche Hornbrille, stocksteif. An einem großen Tisch in einer Ecke saßen, dem Dialekt nach, fünf Einheimische, Männer in mittleren Jahren, die schon einiges getrunken hatten. Ihre Gesichter waren gerötet, und meistens redeten mehrere gleichzeitig.

      Ich hielt nach einer Zeitung Ausschau, konnte aber keine sehen, also richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf die Kellnerin. Sie hatte verschiedene Tische zu bedienen, warf aber immer einmal wieder einen Blick zu mir herüber. Zuerst dachte ich, es sei der berufsmäßige Blick, mit dem Kellnerinnen überprüfen, ob ein Gast etwas nachbestellen will. Doch sie lächelte zu auffällig, wenn sich unsere Augen trafen. Ich bekam schon wieder dieses mulmige Gefühl im Magen, das sich immer einstellte, wenn ich die Kontrolle in der Begegnung mit einer Frau zu verlieren drohte.

      Das Wiener Schnitzel kam, sie stellte den Teller und den Salat mit einem animierenden Lassen Sie es sich schmecken! vor mich hin. Es war genau so, wie ich es gerne hatte, goldbraun, Bratkartoffeln dabei und Gurkensalat mit einfachem Weinessig angemacht.

      Die nächste halbe Stunde vertiefte ich mich ganz in die Verarbeitung des Schnitzels. Ich hatte den halben Liter Bordeaux schnell getrunken und bestellte eine neue Karaffe. Ich verspürte schon Wirkung und machte mir Gedanken, wie ich nach Hause kommen sollte. Mit dem Auto konnte ich nicht mehr fahren. Als die Kellnerin das Geschirr abräumte, fragte ich sie, ob das Haus auch Zimmer vermietete. Ich meinte an der Hauswand „Hotel-Restaurant“ gelesen zu haben.

      „Ich werde mal nachfragen, ob wir noch etwas frei haben“, sagte sie und kam kurze Zeit später mit einer positiven Antwort zurück. „Ja, wir hätten noch ein Zimmer allerdings nur mit fließendem Wasser und zur Straße hin. Wollen Sie das nehmen?“

      Ich nickte, weil ich wirklich nicht mehr fahrtüchtig war, und bestellte mir eine Zigarre, Dominikanische Republik, und einen Grappa. Eine wohlige Wärme breitete sich in mir aus. Ich spürte die Hitze in meine Wangen steigen, meine Ohren waren wohl auch schon gerötet. Der Grappa tat noch ein Übriges. Ich trank ihn in ganz kleinen Schlucken. Er erwärmte meine Speiseröhre wie heißer Tee. Der Rauch der Zigarre stand über meinem Tisch, meine Sinne waren ein wenig benebelt. Ich rief die Kellnerin noch einmal an meinen Tisch, fragte sie nach den Frühstückszeiten und ob sie das Essen auf die Zimmerrechnung schreiben könne. Ich rauchte die Zigarre nur halb fertig. Es war schade darum, denn sie hatte ein ausgezeichnetes Aroma. Aber ich fürchtete, dass mir übel würde.

      Am Tresen bekam ich den Schlüssel von ihr.

      „Zimmer 23, zweite Etage“, sagte sie, wieder mit einem netten Lächeln. „Gute Nacht, schlafen Sie gut!“

      „Danke, bis morgen.“

      Ich sagte nur so wenig, weil ich fürchtete, dass ich meine Sprache wegen des vielen Alkohols nicht mehr unter Kontrolle hatte. Ich stieg die Treppe hinauf, musste mich am Geländer festhalten. Oben wollte ich den Lichtschalter suchen. Das Licht ging jedoch von selbst an. Aha, Bewegungsmelder dachte ich. Die Zimmer mit den ungeraden Nummern waren auf der linken Flurseite. Allerdings war das erste Zimmer die Nummer 29. Der Flur war sehr niedrig, das Haus war ein altes Fachwerkhaus, der Boden an einigen Stellen uneben. Ich schwankte, und auf der Höhe von Zimmer 27 stolperte ich über den Läufer, der über einer Bodenerhöhung lag und schlug der Länge nach hin. Es rummste gewaltig. Ich blieb erst einmal liegen um abzuwarten, ob jemand kommen würde. Als es still blieb und als keine zu Tode erschrockene, schreiende alte Dame aus einem der Zimmer gestürzt kam, richtete ich mich vorsichtig auf. Alles schien in Ordnung zu sein, die Knie vielleicht ein wenig aufgeschürft, es brannte leicht. Natürlich hatte ich den Schlüssel bei dem Sturz verloren. Also wieder auf die Knie und mit den Händen den Teppich absuchen, denn das Licht war nicht allzu stark und beleuchtete nicht jede Ecke des Flurs. Er lag da, wo ich ihn vermutet hatte, zwischen Teppich und Fußleiste.

      Mein Magen revoltierte inzwischen heftig. Ich raffte mich auf, schloss das Zimmer auf, gleich links war ein Waschbecken. Ich übergab mich ausgiebig. Wenigstens hatte ich genug gegessen. Es gibt nichts Schlimmeres als Kotzen, wenn man nichts gegessen hat dachte ich. Als es vorbei war, wusch ich mir das Gesicht mit kaltem Wasser. Ich tastete nach einem Handtuch neben dem Waschbecken, trocknete mir Gesicht und Hände und suchte dann nach einem Lichtschalter im Zimmer. Über dem Waschbecken ertastete ich einen Allibert und fand auch den Schalter. Zuerst tat mir das Licht in den Augen weh. Mein Spiegelbild gefiel mir überhaupt nicht. Die Haare hingen mir wirr ins Gesicht, die Wangen waren stark gerötet, die Augen schauten mich entsetzlich müde an. Ich wendete mich ab und schaute mir das Zimmer an: ein großes französisches Bett, ein kleiner Schreibtisch, zwei Sessel, ein Fernseher, ein Kleiderschrank. Alles nicht mehr ganz neu, aber nicht schäbig. Ich suchte die Minibar. Es gab keine. Dafür stand auf dem kleinen Nachttisch ein Kühler mit einer Flasche echtem Champagner. Es war zwar nicht das, was ich jetzt brauchte, aber besser als nichts. Ich öffnete die Flasche vorsichtig, so dass der Korken nicht knallte, weil es mittlerweile nach Mitternacht sein musste. Um den üblen Geschmack aus meinem Mund wegzubekommen, nahm ich einen großen Schluck aus der Flasche.

      Er schmeckte besser als erwartet. Ich setzte mich auf das Bett und goss mir eines der beiden auf dem Nachttisch stehenden Gläser voll. Ich stellte das volle Glas ab, zog meine Schuhe aus und legte mich in den Kleidern auf den Rücken. Die Lampe über dem Waschbecken gab ein angenehm gedämpftes Licht. Ich starrte zur Decke, von der mich eine Art siebenarmiger Lüster anstarrte. Fünfziger Jahre schätzte ich.

      Ich erinnerte mich an ein Schlafzimmer, in dem ich mit meiner Großmutter bei ihrer Taufpatin im tiefsten Bayern immer übernachtete, wenn wir dort zu Besuch waren. Wir waren jeden Sommer da, eine oder zwei Wochen. Das erste Mal 1952, nachdem ich meine Scharlacherkrankung überstanden hatte. Das letzte Mal muss 1962 gewesen sein. Die Patin war schon gestorben, ihre androgyne Tochter, die mein Großvater Eiserner Gustav nannte, weil sie ein Pferdefuhrgeschäft betrieb und rauchte und trank wie ein Mann, verlor langsam den Boden unter den Füßen.

      Meine Großmutter hatte immer dafür gesorgt, dass unter dem Bett ein Nachttopf aus Porzellan stand. Der Weg zum Klo, das eigentlich nur ein Brett mit einem Deckel über einer Röhre war, war weit und dunkel. Dieses Schlafzimmer hatte allerdings außer der Tür, die vom Flur Zugang verschaffte, eine weitere Tür, die direkt in das Schlafzimmer einer Nachbarfamilie führte, in das der Familie Neser, die zur Miete im Haus wohnte. Manche Namen vergesse ich nicht, besonders wenn sie zu interessanten Menschen gehören. Frau Neser hatte eine spitze Nase und erinnerte mich an die Windliese aus Peterchens Mondfahrt. Diese Tür war natürlich immer verschlossen und mit allerlei Kisten und Kartons verstellt. Meine Großmutter hatte die menschenfreundliche Idee, den Nachttopf dick mit Papier auszulegen, um den Schlaf von Herrn und Frau Neser nicht durch unser geräuschvolles nächtliches Wasserlassen zu stören. In Wirklichkeit genierte sie sich bei dem Gedanken, dass jemand sie dabei hören könnte.

      Ich konnte es mir nicht verkneifen, unter meinem Bett nachzuschauen, ob sich nicht vielleicht ein Nachttopf darunter befände. Es war natürlich keiner da. Da ich nun schon mal aufgestanden war - oder eher - neben dem Bett kniete, beschloss ich nun doch, mich meiner Kleider zu entledigen. Ich hängte meine Lederjacke in den Schrank. Sie hatte nichts abbekommen am Waschbecken. Die Hose hängte ich über den Sessel. Und dann klopfte es.

      Ich hasse es, genau in diesem Aufzug auf Klingeln oder Türklopfen reagieren zu müssen. Ein Mann in Hemd mit Krawatte, Unterhosen und schwarzen Socken bietet einen bemitleidenswerten Anblick. Darüber hinaus war ich in einer Stimmung, die nicht auf Besuch eingestellt war. Also sagte ich laut „Einen Moment bitte!“ und sprang schnell wieder in meine Hose. Dann ging ich an die Tür