Название | RoadMovie |
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Автор произведения | Hans-Joachim Mundschau |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783844253122 |
Sie strich eine lange, etwas fettige Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie war keine Schönheit. Ihr Lächeln, das zuweilen in ein Grinsen überging, hatte etwas Schelmisches.
„Ich habe gerade was mit dem Fahrer, der mir die Tiefkühlkost bringt. Jeden Donnerstagnachmittag. Du wirst es nicht glauben, seine Frau ist dahinter gekommen und hat ihm neue Unterhosen gekauft, damit sie sich nicht schämen muss, wie sie sagt. Menschen sind manchmal komisch.“
Mir war bis dahin noch nicht aufgefallen, dass sie einen leichten englischen Akzent hatte.
„Mein Mann war Lehrer am Gymnasium in der Kreisstadt. Wir haben uns kennen gelernt, als er Assistant Teacher in Brighton war. Ich bin mit ihm nach Deutschland gegangen.“
„Hast du es jemals bereut?“ wollte ich wissen.
„Vielleicht. Manchmal. Ich weiß nicht.“
Eine Weile tranken wir schweigend unseren Kaffee.
„Kommst du mal wieder vorbei?“ fragte sie dann. Ihre Stimme klang unsicher.
„Kann schon sein. Ich habe was in Münster zu erledigen. Kann ein paar Tage dauern. Auf dem Rückweg. Vielleicht können wir dann was nachholen.“
Ich küsste sie auf den Mund. Sie schien gierig nach Zärtlichkeit. Ich war versucht, meine Hand in ihren Morgenmantel gleiten zu lassen, diese großen Brüste zu betasten. Ich tat es nicht.
„Ich glaube, ich muss jetzt los.“
Nachdem ich meine Rechnung gezahlt hatte, ging ich auf mein Zimmer und packte meinen Koffer. Wir umarmten uns noch einmal, bevor ich das Haus verließ. Sie suchte meinen Mund und küsste mich gierig, fast gewalttätig, vergrub ihre Zunge tief in mir. Ich riss mich los, winkte ihr und stieg in mein Auto.
Der Tag war sonnig, die Luft war wunderbar klar, fast würzig. Jetzt sah ich, dass ich mich in eine grüne, hügelige Landschaft verirrt hatte. Ich fuhr die Bundesstraße zurück zur Autobahn. Bis Münster war es nicht mehr weit. Kurz vor Münster musste ich auf die Autobahn Richtung Dülmen, von der ich die Abfahrt Gumpingen nehmen wollte.
*
Ich hatte bisher nicht über Einzelheiten nachgedacht. Es gab in meinem Kopf eine grobe Planung, wie ich mich Patrizia annähern würde. Ich hatte aber bisher keine Strategien entwickelt, wie ich es vor Ort angehen würde.
Zunächst brauchte ich ein Basislager. Ich dachte an eine kleine Pension, vielleicht ein Privatzimmer, zur Not durfte es auch ein kleines Hotel sein. Ich würde mich als jemanden ausgeben, der ein paar Tage ausspannen, seine Ruhe haben wollte. Doch zuallererst brauchte ich noch ein, besser zwei Paar Schuhe. Ich hatte eine ganz bestimmte Vorstellung wie sie aussehen sollten: leichte, schwarze, geflochtene Schnürschuhe, möglichst italienische. Ich richtete mich also nach dem weißen Verkehrsschild, das den Weg zur Innenstadt anzeigte. Direkt am Eingang der Fußgängerzone fand ich einen Parkplatz, hatte aber kein Kleingeld für den Parkautomaten. Ich stellte das Auto einfach ab. Würde schon nichts passieren.
Wie in den meisten Fußgängerzonen in Deutschland gab es ein Schuhgeschäft neben dem anderen. Ich vermied Deichmann und Görtz und betrat einen kleinen boutiquenähnlichen Laden. Die Schuhe standen nicht in Regalen, sondern ringsum an den Wänden auf braunen Schuhkartons. Aus unsichtbaren Lautsprechern erklang sanfte Musik. Zwei, drei Kundinnen wurden auf Polstern sitzend von Verkäuferinnen beraten. Ich drückte mich an der Wand entlang, beschaute mir die Schuhpaare. Damen- und Herrenschuhe standen ohne sichtbare Ordnung nebeneinander. Die Farbpalette war sehr ungewöhnlich, von den üblichen Farben bis zu gelb, lila und hellblau. Alles in Leder. Es gab auch solche geflochtene, wie ich sie suchte, in einem eleganten Stahlblau. Es gab sie auch in Größe 46. Ich nahm einen Schuh in die Hand, befühlte ihn innen und außen. Er war wunderbar weich. Ich nahm auch den zweiten und schaute mich suchend nach einem freien Polster um, als eine Verkäuferin mich fragte, ob sie mir helfen könne. Sie trug Jeans und ein ärmelloses Top in demselben Braunton wie die Schuhkartons. Ich schätzte sie auf etwa fünfundzwanzig. Ihre kräftig ausgebildeten Oberarme verrieten ihre häufigen Besuche im Fitnessstudio. Sie trug ihre ebenfalls braunen Haare sehr kurz, fast zu kurz. Ich fragte mich, ob sie die Haare passend zur Uniform gefärbt hatte. Die Augen waren grell geschminkt, ein Nasenflügel trug einen winzigen Brillistecker.
„Ich möchte dieses Paar gerne anprobieren. Haben Sie die vielleicht auch noch in schwarz?“
„Da muss ich im Lager nachschauen, Sie können schon mal da drüben in der Ecke Platz nehmen.“
Sie zeigte auf ein freies Polster und verschwand hinter einem Vorhang, den ich bisher nicht bemerkt hatte. Ich schlüpfte aus meinen schwarzen Halbschuhen, die ich nun schon seit drei Tagen trug. Ich konnte ohne Schuhlöffel in die Geflochtenen hineinfahren. Ich stand auf, ging ein paar Schritte, bewegte die Zehen. In einer plötzlichen Laune drehte ich mich um mich selbst, bekam dafür missbilligende Blicke von den anwesenden Kundinnen. Das störte mich nicht. Mittlerweile war meine Verkäuferin wieder hinter dem Vorhang hervorgekommen.
„Tut mir leid, in schwarz sind sie nicht mehr da. Aber ich habe etwas anderes gefunden, ich denke, die passen zu Ihrem Typ.“
Sie trug unter dem rechten Arm ein Paar vorne leicht angespitzte anthrazitfarbene Cowboystiefel. Ich schaute sie erstaunt an, weil sie so treffsicher meinen Geschmack erraten hatte.
„Entwickelt man mit der Zeit einen Blick für so etwas, oder was ist das?“ fragte ich sie und nahm einen Stiefel entgegen.
„Man bekommt ein Feeling dafür, vielleicht hat es auch etwas mit Intuition zu tun, vielleicht auch mit der Verarbeitung von vielen Informationen.“
Ich war sehr überrascht über ihre Ausdrucksweise. „Sie machen sich offensichtlich Gedanken über das, was Sie tun“, sagte ich. „Das ist heutzutage eher außergewöhnlich.“
„Das ist hier nur ein Nebenjob für mich, ich studiere Psychologie. Es macht Spaß, mit Menschen umzugehen. Und ich beobachte viel. Sie, zum Beispiel, passen irgendwie nicht in diese Stadt. Sie haben etwas Suchendes oder gar Gehetztes in Ihrem Blick.“
„Ja, natürlich, ich suche Schuhe und hetze seit zwei Tagen hinter meinem Zeitplan her“, versuchte ich zu scherzen.
Sie lächelte, als sie mich ansah: „Ich glaube, Sie wissen, was ich meine.“
Ich zog die blauen Geflochtenen wieder aus. „Die nehme ich auf jeden Fall.“
Auch die Stiefel waren aus weichem Leder und saßen wie eine zweite Haut.
„Ich behalte sie gleich an, verpacken Sie bitte meine eigenen Schuhe zusammen mit den blauen.“
„Klar doch, die Stiefel sind wirklich wie für Sie gemacht. Gehen Sie dann bitte rüber zur Kasse?“
„Eine Frage habe ich noch“, sagte ich hastig. „Sie kennen sich doch sicher hier aus. Kennen Sie vielleicht hier eine Pension oder ein kleines Hotel?“
„Für wie lange suchen Sie denn?“
„Genau weiß ich es noch nicht, vielleicht zwei, drei Wochen.“
„Ich wüsste da vielleicht etwas für Sie. Haben Sie große Ansprüche, was den Komfort betrifft?“
„Ich brauche eigentlich nur ein Bett und eine Dusche. Frühstücken kann ich auch woanders.“
„Ich habe mit einer Kommilitonin eine kleine Wohnung hier. Sie macht im Augenblick in Hamburg ein Praktikum. Ich könnte Ihnen ihr Zimmer vermieten.“
Sie lachte laut, als sie mein verdutztes Gesicht sah. „Sie sollen mich nicht heiraten, das Zimmer steht leer und ich hätte weniger Miete zu zahlen. Sie brauchen nur ja zu sagen.“