RoadMovie. Hans-Joachim Mundschau

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Название RoadMovie
Автор произведения Hans-Joachim Mundschau
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844253122



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verwirrte mich.

      Ich untersuchte meine Kleider. Ich hatte es in der Nacht nicht mehr geschafft, den Schlafanzug anzuziehen, hatte dummerweise in Hemd und Hose geschlafen, die nun beide recht zerknittert waren. Wenigstens hatte ich mich beim Kotzen nicht besudelt. Die Lederjacke hing im Schrank und sah ganz passabel aus. Meine Schuhe musste ich etwas länger suchen. Sie waren in der Nacht irgendwie unter das Bett geraten. Sonst hatte ich nichts mitgebracht.

      Ich fuhr mir vor dem Spiegel mit den Händen über die nassen Haare, bis die Frisur einigermaßen saß. Ich hatte bisher noch nicht nach der Zeit gesehen. Meine Uhr zeigte kurz nach acht. Also bestand die Hoffnung, dass ich schon ein Frühstück bekommen würde. Ich schaute mich noch einmal in dem Zimmer um, das mir bei Tageslicht nun doch einigermaßen schäbig vorkam. Ich trat auf den Flur und hörte den Staubsauger im Nachbarzimmer. Offensichtlich waren die Fleißigen des Tages bereits am Werk. Ich sah auch die Bodenwelle, über die ich in der Nacht gestolpert war, machte einen großen Schritt darüber und ging die enge Treppe hinunter. Im Erdgeschoss trat ich ins Gastzimmer, hinter dem Tresen stand ein mir unbekanntes junges Mädchen und spülte Gläser.

      „Möchten Sie frühstücken?“ fragte sie mich mit einem Lächeln.

      „Ja, gerne, kann ich mir den Tisch aussuchen?“

      „Wir haben im Nebenzimmer für Sie gedeckt.“

      Ich betrat das Nebenzimmer durch die breite geöffnete Schiebetür. Ein kleiner Tisch in einer gemütlichen Fensternische war offensichtlich für mich vorbereitet. Ich schien doch der einzige Übernachtungsgast gewesen zu sein. Hatte Gesine geschwindelt, als sie sagte, späte Gäste seien noch gekommen?

      Ich setzte mich, ein Exemplar der Wetterauer Zeitung lag neben dem Gedeck. Das junge Mädchen war gekommen und fragte, ob ich Tee, Kaffee oder Kakao wolle. Ich bestellte einen doppelten Espresso und ein Mineralwasser. Frische Brötchen standen bereit. Als sie mir den Kaffee brachte, bestellte ich Rühreier mit Schinken. Meine Lebensgeister kamen langsam zurück.

      Als ich meine Eier fertig gegessen hatte, fragte ich, ob denn die Bedienung, die Gesine hieße, heute Morgen auch Dienst habe. Das junge Mädchen schaute mich erstaunt an.

      „Soweit ich weiß, gibt es bei uns keine Mitarbeiterin, die Gesine heißt. Ich will die Chefin noch mal fragen, ob wir vielleicht eine Aushilfe haben.“

      Sie verschwand in der Tür hinter dem Tresen, die wohl in die Küche führte. Ich fragte mich, während ich meinen Kaffee austrank, ob ich das alles geträumt hatte. Statt der jungen Bedienung kam eine Frau, etwa Ende vierzig, an meinen Tisch. Die Ähnlichkeit mit Gesine war verblüffend.

      „Tut mir leid, unsere Auszubildende kennt meine Tochter noch nicht. Gesine hat mich gebeten, Ihnen diesen Brief zu übergeben.“

      Sie legte einen hellblauen Umschlag neben meinen Teller.

      „Haben Sie alles zu Ihrer Zufriedenheit vorgefunden?“

      „Oh ja, danke, könnte ich dann bitte die Rechnung haben?“

      „Das ist schon erledigt“, sagte sie. „Nehmen Sie es als Geschenk für einen netten Menschen.“

      Ich war so überrascht, dass ich zunächst kein Wort herausbrachte. „Danke“, stammelte ich, „das ist sehr großzügig von Ihnen. Aber wie komme ich dazu?“

      „Meine Tochter findet Sie sehr sympathisch, und sie möchte, dass Sie sie in guter Erinnerung behalten.“

      „Werde ich sie heute noch sehen können?“ fragte ich.

      „Es steht alles in dem Brief, nehme ich an. Möchten Sie noch einen Espresso?“ fügte sie nahtlos hinzu.

      Ich nahm noch einen Kaffee. Dann, als die Mutter sich entfernt hatte, schaute ich mir den Brief an. Auf dem Umschlag war nichts geschrieben, auch nicht auf der Rückseite. Er war nicht zugeklebt und enthielt ein dreifach gefaltetes Blatt im selben Hellblau. Die Worte waren mit grüner Tinte geschrieben.

      Hallo Nachtgefährte,

      leider kann ich unsere Verabredung heute nicht einhalten. Ich habe gespürt, dass du nicht bereit für mich bist. Dein Herz ist schwer, und es gibt vieles, was du bereinigen musst. Ich wäre dir jetzt nur im Wege. Ordne, was du ordnen musst. Pass’ auf, dass du dabei nicht Schaden nimmst. Du bist gefährdet. Wenn du nicht auf dich achtest, wirst du leicht ein Opfer.

      Deine tiefe Traurigkeit hat mich gerührt. Es hat mir gefallen, dass du nicht auf ein schnelles Abenteuer aus warst. Ich wünsche mir, dass du wiederkommst, wenn du bereit für mich bist.

      Gesine

      Ich war erschrocken. Wie konnte eine Frau, die mich gerade mal ein paar Stunden kannte, mir einen solchen Brief schreiben? Ich war wütend über die Intimität ihrer Worte und erstaunt zugleich, wie sie mich in ihrer Einschätzung so genau treffen konnte.

      Ich war auch enttäuscht, weil ich sie an diesem Tag nicht wieder sehen würde. Doch sie hatte Recht. Es gab so viele Dinge, die ich regeln musste.

      Als ich meinen Kaffee beendet hatte, verabschiedete ich mich von ihrer Mutter, die die ganze Zeit hinter dem Tresen gestanden und mich beobachtet hatte. Ich bedankte mich noch einmal und bat sie, ihre Tochter zu grüßen.

      Sie sagte noch: „Wir freuen uns, wenn Sie wiederkommen!“

      Die Auszubildende öffnete mir die Tür. Ich trat auf den nassen Butzbacher Bürgersteig hinaus.

      *

      Es war ein ungemütlicher Mittwochmorgen. Ich entschloss mich noch ein paar Sachen aus meinem ehemaligen Haus zu holen. Es war noch nicht einmal zehn Uhr, also konnte ich sicher sein, dass weder meine Frau noch meine Kinder im Haus waren.

      Als ich mein Auto abstellte, war niemand von den Nachbarn zu sehen. Ich war froh darüber. Ich schloss die Haustür auf und ging gleich ins Obergeschoss, um auf dem Dachboden meinen alten braunschwarzen Reisekoffer zu holen, den ich von meiner Großmutter geerbt hatte. Es war ein Modell aus den fünfziger Jahren, mit einem kaputten Schloss aber mit zwei Lederriemen zum Verschließen. Ich musste zuerst die Bücher ausräumen, die noch vom letzten Umzug darin verblieben waren. Dabei entdeckte ich ein altes Exemplar des Zauberbergs, das ich lange gesucht hatte. Ich ließ es im Koffer, stieg die steile Stiege hinunter und packte im Schlafzimmer wahllos einige Kleidungsstücke zusammen.

      Unten an der Haustür klapperte etwas. Ich befürchtete schon, dass meine Frau früher aus der Schule zurückkommen würde. Aber es schien nur der Briefträger zu sein, der den Deckel des Briefkastens fallen ließ. Ich wollte jetzt nichts erklären. Hastig raffte ich noch einiges zusammen und verschloss den Koffer. Ich schaute mich noch einmal im Schlafzimmer um. Dann trug ich den Koffer ins Erdgeschoss, stellte ihn im Flur ab und überlegte einen Augenblick, ob ich eine Nachricht hinterlassen sollte. Ich entschied mich dagegen.

      Ich verstaute den Koffer im Auto. Gegenüber stand Brunhilde, eine ältere Nachbarin, im Garten und hängte Wäsche auf.

      „Na, verreist du?“ fragte sie.

      „Ja, ich muss dienstlich weg“, log ich. „Tschüs“, sagte ich noch.

      Ich setzte mich ins Auto und fuhr weg. Ich spürte eine grenzenlose Erleichterung. Endlich hatte ich die Schwelle überschritten, die ich so lange vor mir gesehen hatte. Ich schaltete das Autoradio ein, um den Verkehrsfunk zu hören. Es lief gerade Free Electric Band von Albert Hammond. Es passte - irgendwie.

      In Herborn fuhr ich auf die A 45 Richtung Norden. Der Tag klarte auf, die Sonne zeigte sich, die Fahrbahn trocknete langsam ab. Genau wusste ich nicht, wie ich nach Gumpingen, Patrizias Wohnort, kommen würde. Ich wollte erst einmal Richtung Münster fahren. Das Weitere würde sich finden.

      Mir fiel ein, dass ich vergessen hatte, mich krank zu melden. An der nächsten Raststätte, rief ich im Büro an. Friede war am Telefon. Ich