RoadMovie. Hans-Joachim Mundschau

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Название RoadMovie
Автор произведения Hans-Joachim Mundschau
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844253122



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dir, wenn du versuchst sie festzuhalten. Manches kommt doppelt und dreifach zurück, wenn du es loslässt.“

      So oder so ähnlich sagte er es, und dann aßen wir Frankfurter Grüne Soße und tranken eine Menge Pinot Grigio von Aldi Süd.

      Ich besuchte ihn öfter in der nächsten Zeit, weil er mir gut tat. Die Suche nach einer Wohnung vernachlässigte ich wieder. Ich kam nicht in Bewegung.

      An Patrizias Geburtstag schrieb ich ihr eine Karte mit einem Zitat aus einem Beatles-Song:

      There’s nothing you can make that can’t be made.

      Nothing you can save that can’t be saved.

      Nothing you can do but you can learn

      how to be you in time

      it’s easy.

      (All you need is love, täterättätä)

      Der Text triefte nur so von Ich werde immer für dich da sein und natürlich baute ich auch unseren Satz aus Salz auf unserer Haut ein: Dakar ist überall, oder so ähnlich.

      Ich hatte es gehofft, aber nicht erwartet. Sie antwortete mir. Ich ließ mich gleich wieder einfangen. Sie schrieb, sie fände es schön und sie sei dankbar, dass ich trotz allem so schöne Worte für sie gefunden hätte. Ich bin mir nicht sicher, ob sie wusste, von wem der Text eigentlich war.

      Auf diesen Brief hin schrieb ich wieder einen Brief, und noch einen, und noch einen. Es fiel mir nicht auf, dass sie nicht mehr antwortete. Ein winziger Funken Hoffnung hatte mein klares Denken wieder abgeschaltet. Es war unglaublich, wie sehr sich Hoffnung – auch wenn sie noch so vage war – auf mein Befinden auswirkte.

      Johannes würde sagen: „Auch das ist ein Geschenk, wenn so wenig notwendig ist, um dich positiv zu stimmen.“

      Ich entwickelte Bilder, von dem was kommen würde. Ich hatte das alles schon einmal in Kitschromanen gelesen, was ich mir da zusammenmodellierte. Das richtige Leben ist viel überraschender.

      Ich saß kurz nach der Mittagspause am Schreibtisch im Büro, als meine Frau anrief. Ich merkte an ihrer amüsierten Stimme, dass etwas Außergewöhnliches vorgefallen sein musste.

      „Da war gerade ein interessanter junger Mann bei mir, ein Herr Belmonte, der dich sprechen wollte.“

      Mir blieb fast das Herz stehen. „Das ist der Mann von Patrizia“, sagte ich. „Was wollte er denn?“

      „Er sagte, er kennt dich von einem Seminar. Er sei gerade hier in der Nähe gewesen, und da wollte er dich mal besuchen.“

      „Der will etwas ganz anderes, aber ich weiß nicht was. Sonst hat er nichts gesagt? Hat er gesagt, ob er nochmal kommt?“

      „Nein, hat er nicht. Er hat mir aber gut gefallen.“

      Ich konnte mir ihr Grinsen vorstellen. Ich beendete das Gespräch, weil ich wütend auf sie wurde, und rief Patrizia an. Sie nahm nach dem ersten Klingeln ab. Ihre Stimme traf mich wieder direkt im Bauch.

      „Hallo Peter“, säuselte sie.

      Ich erzählte, was ich gerade gehört hatte, ob sie sich das erklären könne.

      „Ja, er hat meinen Schreibtisch aufgebrochen und deine Briefe gefunden.“

      „Und was will er von mir“, fragte ich.

      „Wahrscheinlich will er dir sagen, du sollst mich in Ruhe lassen.“

      „Das kann er schriftlich haben“, rutschte mir heraus.

      Ich wollte das gar nicht sagen, aber ich war so voller Zorn auf sie und auch auf diesen eifersüchtigen Italiener.

      Ich sagte noch: „Ich habe Angst!“ und verabschiedete mich dann von ihr mit „Tschüs.“

      Das war unser letzter Kontakt.

      Ich hatte mich schon vor lange zuvor zu einem Seminar angemeldet, das ich fast vergessen hatte. Ich kann mich nicht einmal mehr an das Thema erinnern. Es muss etwas mit Arbeit und Perspektive und soziale Beziehungen am Arbeitsplatz zu tun gehabt haben.

      Ich fuhr hin, gleiches Seminargebäude, gleicher Seminarraum, andere Leute, aber ich war nicht wirklich interessiert. Die ersten beiden Tage sagte ich fast gar nichts. Es gab wohl Partner- und Kleingruppenarbeit, aber alles ging an mir vorbei.

      Es muss am dritten Tag gewesen sein, als meine Aufmerksamkeit geweckt wurde. Wir sollten uns von etwas verabschieden, von irgendeiner schlechten Erinnerung in irgendeinem wichtigen Arbeitszusammenhang. Das war zwar nichts für mich, aber es war eine Aufgabe, die ich in meinem Sinne verändern konnte.

      Ich schrieb Patrizias Namen auf einen Zettel und ging damit aus dem Haus, ein Stück in den Wald. Nach etwa zweihundert Metern gab es auf der linken Seite einen Durchgang auf eine rechteckige Wiese, die steil abfiel und auf allen Seiten von mannshohen dichten Büschen eingerahmt wurde. Ich war früher schon hier gewesen, und ich erlebte es jedes Mal wie das Betreten einer abgeschlossenen kleinen Welt. Ich schritt die Wiese am Rande ab, völlig unschlüssig, was ich tun sollte. Ich hatte diesen Zettel mit dem Namen, trug ihn mit beiden Händen vor mir her wie ein Messbuch. Was sollte ich damit anfangen?

      Ich ließ mich von meinen Beinen auf dieser Wiese fortbewegen, zunächst im Rechteck an den Büschen entlang. Dann begann ich neue Wege zu entdecken. Das Gras war längere Zeit nicht mehr gemäht worden, so dass meine Spuren da blieben, wo ich es umtrat. Ich versuchte, meinen Schritt nicht zu lenken. Es trieb mich im Kreis und kreuz und quer. Das Muster im Gras wurde immer dichter. In einer Ecke ganz unten am Hang kam ich zum Stillstand.

      Plötzlich wusste ich, was ich tun musste. Ich ging in die Hocke und grub mit meinen Händen ein etwa zwanzig Zentimeter tiefes Loch in den weichen Boden. Dann legte ich den Zettel hinein und füllte das Loch mit der Erde, die ich daneben aufgehäuft hatte, wieder auf. Ganz oben pflanzte ich die ausgerissenen Grasbüschel wieder ein.

      Dann erhob ich mich, wischte meine Hände am Taschentuch einigermaßen sauber und betrachtete mein Werk. Es hatte etwas von einer Beerdigung. Spätestens jetzt hatte auch mein Körper verstanden, dass es keine Hoffnung gab. Ich fühlte gleichzeitig unendliche Trauer und Erleichterung. Da war aber auch eine Ahnung, dass Platz geschaffen wurde für etwas Neues, für das es noch keine Anzeichen gab. Zuerst hatte ich mir vorgenommen, sie für immer zu vergessen. Ich merkte sehr schnell, dass dieser Ansatz falsch war. Ich musste nur Abschied von der Vorstellung nehmen, dass es ein Miteinander gäbe.

      Über diesen Sommer weiß ich nur noch sehr wenig. Ich weiß auch nicht mehr, wie sich die Verhältnisse in meiner damaligen Familie genau entwickelten. Es ist alles wie von einem gnädigen Schleier zugedeckt. Die wirklich deutlichen Erinnerungen beginnen etwa ein Jahr später wieder, als ich mich darauf vorbereitete, mit einer Gruppe unter Johannes’ Führung zum Wandern in die österreichischen Alpen zu gehen.

      Ich hatte mittlerweile eine eigene Wohnung. Es war nicht leicht gewesen, mich von meinen Kindern räumlich zu trennen. Mein Sohn war schon so verständig, dass ich mit ihm über meinen Auszug sprechen konnte. Ich fragte ihn eines Tages, was er denn davon hielte.

      Er drückte es sehr einfach aus: „Ich finde es schade, aber es ist gut, wenn dann nicht mehr so viel Streit im Haus ist.“

      Das machte es mir leichter. Ich fand, nachdem die innere Trennung vollzogen war, sofort eine Wohnung im selben Dorf, dreihundert Meter Luftlinie entfernt. Damals empfand ich es als Glücksfall, heute denke ich anders darüber. Die räumliche Nähe brachte eine Menge Schwierigkeiten, die ich mir hätte ersparen können.

      Ab und zu tauchen Erinnerungsfetzen auf. Manches Mal lag ich in der Nacht lange wach und trauerte. Erstaunlicherweise spielte der Alkohol keine Rolle. Ich trank meist wenig, ganz im Gegensatz zu der Zeit, als ich noch bei meiner Familie wohnte. Ich rauchte viel, meist Zigaretten, stieg aber dann nach und nach auf Zigarillos und Zigarren um. Zigaretten