Das Ziada Projekt. Enza Renkal

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Название Das Ziada Projekt
Автор произведения Enza Renkal
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754953945



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GPS manuell ausschalten konnte. Aber dafür müsste ich an das Gehäuse und das setzte voraus, dass ich die Uhr abnahm. Ich legte sie nicht beim Duschen, Schwimmen oder Schlafen ab. Die vollkommene Überwachung. Mit den richtigen Zahlen auf dem Konto stellte man keine Fragen. Ich begann mich vor mir selbst zu ekeln und das Gefühl war schlimmer als jegliche körperlichen Schmerzen.

      Ich drehte die Musik lauter und legte an Tempo zu. Es begann zu dämmern und den letzten Kilometer wollte ich joggend zurücklegen. Doch die letzten Meter rannte ich mir die Seele aus dem Körper. Das Bedürfnis etwas hinter mir zu lassen, war erdrückend. Doch das etwas war viel zu groß und schien mich an unsichtbaren Fäden zurückzuziehen. Nach Atem ringend blieb ich vor dem Volvo stehen, öffnete die Fahrertür und legte mein Gepäck neben mir auf dem Beifahrersitz ab. Ich schloss die Autotür und versuchte mich zu beruhigen. Schon zum dritten Mal an diesem Tag musste ich das Bild des Sees hervorrufen, um mich wieder wie einen real existierenden Menschen zu fühlen.

      Nachdem ich den Schlüssel in das Zündschloss gesteckt hatte, schaltete ich mein Handy aus und umgriff mit beiden Händen das Lenkrad. Ich starrte mein eigenes Spiegelbild in der Windschutzscheibe an. Die Person, die heute zum ersten Mal nach fast einem Jahrzehnt seinen Kindernamen gehört hatte. Die zum ersten Mal in ihrem Leben einer 1./ begegnet war. Die in einem Verhör über Erinnerungen saß. Die ihren Chef krankenhausreif verprügelt und ihren einzigen Freund verloren hatte. Ich wandte den Blick nach unten auf das Lenkrad, um mich nicht mehr ansehen zu müssen. Die Stirn auf dem weichen Leder des Lenkrads ablegend, begann ich zu weinen. Und die Tränen taten ihren Dienst. Sie ließen die Realität vor meinem Auge verschwimmen und spülten mein Inneres sauber. Zumindest für den Moment. Es war eine Illusion zu glauben, dass es mir damit langfristig gut ging. Mit einer einzigen Frage im Kopf und in einer äußerst unbequemen Stellung schlief ich ein. Wer war ich?

      6.

      Das Bedürfnis, mich zu erleichtern, weckte mich auf und ich stieg unbeholfen aus dem Volvo. Es war noch dunkel. Viel hatte ich nicht geschlafen, aber ich fühlte mich heute schon deutlich besser. Ich streckte meine Muskeln, verrichtete die Notdurft zwischen den Autos und musterte meine Umgebung, so gut es in der Dunkelheit ging. Zurück im Auto überprüfte ich die Uhrzeit über die Cockpit-Uhr des Volvos. 5.39. Ich kontrollierte die Alufolie an meinem Handgelenk, startete den Motor und parkte aus. Den anderen Bedürfnissen nach Essen und Trinken würde ich erst nachgehen, wenn ich einen ordentlichen Abstand zur Stadt bekommen hätte.

      Ich ließ das Radio aus, genoss die Stille und die noch leeren Straßen. Ein leichtes Unbehagen kam auf, dass ich nicht bereits gestern Linberg noch verlassen hatte, aber den Schlaf hatte ich dringend gebraucht. Ich kontrollierte meinen Rückspiegel öfters als nötig, aber auch nach eineinhalb Stunden Fahrt war ich immer noch ein einsames Auto auf der Landstraße. Wo fuhr ich eigentlich hin? Weit genug weg von der Stadt war ich, oder? Als auf der rechten Seite ein Waldweg abzweigte, hielt ich kurz an und kramte aus dem Handschuhfach eine Karte.

      Der nächste größere Ort war ungefähr zwanzig Minuten von mir entfernt. Im Umkreis von mehreren Kilometern war keine einzige Ortschaft. Hier war ein guter Ort, um vorerst unter-zutauchen. Ich bog in den Waldweg ab und fuhr nach ein paar Kurven, so dass ich mir sicher sein konnte, von der Straße aus nicht mehr gesehen zu werden, auf ein Stück Waldboden, das relativ stabil aussah. Sich hier und jetzt festzufahren, wäre ziemlich doof. Ich nahm mein Gepäck vom Sitz neben mir und öffnete den Kofferraum. Vor mir lag nun eine ganze Menge an Utensilien, denn das Auto war zu jedem Zeitpunkt bereit gewesen, mich nicht nur aus der Stadt zu bringen, sondern auch mit Allerlei zu versorgen.

      Ich entleerte zunächst den Rucksack und sortierte den Inhalt auf die entsprechenden Stapel, die ich angelegt hatte. Auf dem Stapel für medizinische Versorgung lagen nun drei erste Hilfe Kasten, zwei dünne Decken, eine Signalrakete und eine eingeschweißte Liste mit den wichtigsten Telefonnummern. Auf den Stapel für Klamotten konnte ich nur die Wolldecke legen, aber er war bereits ausreichend umfangreich. Zu dem Stapel mit Verpflegung kam nun das Essen und Trinken dazu. Ich wollte mir von beidem etwas nehmen, aber ich genehmigte mir nur einen Schluck Wasser. Erst musste alles seine Ordnung haben. Ich sortierte den Inhalt der Sporttasche auf die Stapel, griff dann nach einem Müsliriegel und setzte mich auf die Kante des Kofferraums.

      Mit langsamen Bissen aß ich den Riegel auf und zerknüllte dann das übrig gebliebene Plastik. Ich stopfte es in meine Jackentasche und runzelte die Stirn, da meine Finger ein Stück Papier streiften. Was war das? Den Inhalt aus meiner Tasche fischend, breitete ich ihn im Kofferraum aus. Zu der zerknüllten Müsliverpackung gesellte sich das Bild des Ziels und das Stück Papier, das ihm aus der Brusttasche gefallen war. Ich führte das Porträt näher an meine Augen. Ich scannte sein Gesicht mehrfach. Sah mir jede kleine Falte an und konzentrierte mich so sehr, dass es beinahe schon weh tat. Aber die Mühe wurde nicht belohnt, sein Gesicht war mir vollkommen unbekannt. Da konnte ich das Bild noch Stunden anstarren; es gab keine Erinnerung.

      Ich schielte auf das gefaltete Papier und wägte ab, wie weit ich eine potenzielle Privatsphäre verletzen würde, wenn ich auch das Papier näher untersuchen würde. Aber da der Besitzer meinen Namen kannte, warf ich meine Bedenken über Bord und faltete es auseinander. Es war ein Brief, der bis auf drei handschriftliche Wörter am Computer verfasst wurde. Auf den Inhalt konnte ich mich nicht konzentrieren, da mich die drei Wörter aus zwei Gründen förmlich ansprangen.

      Erstens, es war mein vollständiger, alter Name. Emille Lillan Falk. Und zweitens, während ich das Gesicht des Ziels auch nach minutenlangem Anstarren nicht erkannte, dauerte es nun keine Sekunde, bis sich ein vertrautes Gefühl in mir beim Anblick der Handschrift breit machte. Sie kam mir bekannt vor. Wenn ich die Handschrift des Ziels kannte, musste es eine Verbindung geben. Aber wieso erinnerte ich mich nicht an ihn? Wieso war mir alles andere an ihm unbekannt? Wieso gab es keine Erinnerungen? Nur seine Handschrift löste in mir etwas Unspezifisches, aber Positives aus. Ich fuhr mir frustriert mit der Hand durchs Haar und blickte erneut auf den Brief und auf das Porträt.

      »Wer bist du?«, flüsterte ich das Bild an.

      Ich verstaute den Brief und das Porträt wieder in meiner Jackentasche, schlug den Kofferraum zu und setzte mich wieder ins Auto. Hier im Wald würde ich auf diese Frage keine Antwort erhalten. Ich konnte mich nicht weiter abkapseln. Leander war so oft Teil von meinen Lösungen. Ich brauchte ihn.

      Endlich mit einem Plan in der Hand nahm ich die Alufolie von der Uhr. Sollten sie mich doch orten, in zwei Minuten war ich hier weg und hatte einen ordentlichen Vorsprung. Die Folie hatte nicht nur das GPS gehindert, sondern auch den Empfang neuer Nachrichten, denn kaum hatte ich die Folie entfernt, vibrierte sie und signalisierte mir neue Nachrichten.

      Ich bringe dich um, Vite. R.M

      Wenn er das noch schreiben konnte, schien es meinem Chef ja bestens zu gehen.

      Habs mir anders überlegt. Habe deine Ortung manuell deaktiviert bis morgen Abend. Hab mich selbst aus dem Krankenhaus entlassen. Müssen reden. Morgen 12 Uhr, Treffpunkt ST7M. R.M

      Ich blickte auf die Uhrzeit. Die Nachricht war gestern Abend abgeschickt worden. Wenn ich Ric Vertrauen würde, dann hätte ich bis heute Abend Zeit, das Problem an der Uhr zu lösen, bevor es wieder aktiv war. Er wollte sich heute mit mir treffen.

      Der Treffpunkt ST7M war eine Abkürzung für das siebte Straßenviertel. Über ganz Linberg lag gewissermaßen ein Schachbrett und jedes Feld hatte eine Nummerierung. Im betreffenden Feld war mit dem letzten Buchstaben dann der exakte Treffpunkt angegeben. In diesem Fall stand das M für die Machiavelli-Brücke. Ich schrieb eine Antwort.

      Reden ist ok. Treffen nicht. Bin nicht mehr in Linberg. L.A

      Keine 30 Sekunden nach dem Absenden, kam eine neue Nachricht, allerdings nicht von Ric. Mein Herz machte einen Stolperer als ich sah, dass sie von Leander war.

      Komm zurück. Ric und ich treffen dich heute Mittag am Treffpunkt. Bitte. L.L

      Hastig schrieb ich ihm zurück.

      Bist du allein? L.A

      Ich wollte mit Leander telefonieren, um zu hören, wie es ihm ging, aber nicht, wenn er in der Gegenwart unseres Chefs war. Diesmal brauchte die Antwort länger.

      Nein,