Dorf, Stadt Fluss. Sabine Lehmbeck

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Название Dorf, Stadt Fluss
Автор произведения Sabine Lehmbeck
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742770387



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mit zwölf kochte ich häufiger für die ganze Familie und machte das auch sehr gerne. Aber aus Knäckebrot, zwei Teelöffeln Margarine und etwas Marmelade konnte ich nichts zaubern.

      „Wieso haben die Typen denn nichts eingekauft?“, fragte ich ungläubig.

      Mone grinste nur und schlug mir vor, eben was „vom Türken“ zu holen. Aber darauf hatte ich keine Lust.

      Im Hause Brockmeyer gab es so gut wie immer frische Zutaten. Selten mal wurde etwas aus der Truhe geangelt. Und natürlich war die Kühltruhe immer gut gefüllt, größtenteils mit Schätzen aus dem eigenen Garten.

      Meine Oma Bertha hatte stets alles auf Vorrat da. Ihre Töchter traten, was das betraf, in ihre Fußstapfen. Die einzige regelmäßige Ausnahme blieb bei uns sonnabends das Grillhähnchen mit Pommes vom Rastplatz-Imbiss.

      Einmal die Woche machte meine Mutter ihren Großeinkauf im Supermarkt in der Kreisstadt. Alles andere besorgte sie bei Hildegard. Es kam vor, dass meine Mutter Rieke und mich auf dem Rückweg vom Aldi oder Penny bei Freundinnen abholte. Oft rief sie, wenn sie irgendwo in der Auffahrt stand, durch das Autofenster: „Mach zu, Ela, ich habe noch Hack im Auto!“

      Rieke und ich machten uns daraus immer wieder einen Spaß und brüllten in den unpassendsten Situationen, indem wir die Stimme unserer Mutter nachahmten:„Ich glaub es haaaackt!“

      Mone und ich entschieden uns schließlich auf den Markt zu gehen.

      Wir kauften frisches Gemüse, Hähnchenfleisch, Obst, Brot, Eier und Käse.

      Das Hähnchenfleisch briet ich an und wir ließen es uns mit Möhren und Erbsen schmecken. Mone amüsierte sich darüber, dass ich zu Möhren „Wurzeln“ sagte. Das Wort „Feudel“ kannte sie auch nicht. Ich hingegen konnte mit dem „Aufnehmer“ nichts anfangen; dachte da eher an eine Taste meines Kassettenrekorders.

      Mone zeigte mir nachmittags ein bisschen was von Aachen.

      Den Dom haben wir aber nur von außen gesehen. Die Führung war uns viel zu teuer und wir hatten keine große Lust auf alte Gemäuer. Es war ein heißer Tag. Trotzdem stürzten wir uns mit anderen Teenies in die Klamottenläden und durchwühlten Tische mit billigen T-Shirts und Shorts.

      Nach zwei Stunden waren wir vollkommen verschwitzt und erledigt.

      Wir setzten uns mit einem Softeis an einen Springbrunnen und zogen Schuhe und Strümpfe aus, um die Füße ins Wasser zu halten. Mone erzählte mir, dass ihr Ex-Freund in Aachen jobbte. Sie war zwei Jahre älter als ich und hatte schon mit vierzehn ihren ersten festen Freund gehabt.

      Aachener Printen haben wir damals nicht gegessen. War ja auch Sommer.

      Ich hatte mich mit einem Kokos-Sonnenöl eingerieben. Meine Mutter und TT benutzten es immer. Meine Mutter hatte es mir für meine Fahrt zu Mone gekauft. Ich fand das Zeugs total eklig. Es stank penetrant und hatte sich auf meiner Haut mit dem Staub der Stadt vermischt.

      Lachend zeigte Mone auf meine Arme, auf denen massenhaft Gewittertierchen klebten. Auch sie hatte genau wie ich einen üblen Sonnenbrand.

      Abends saßen wir nach einer kühlen Dusche lange auf dem Balkon und laberten über Gott und die Welt, während über Aachen die Sonne unterging.

      Mone hatte ihrer Mutter am Telefon erzählt, dass alles in Ordnung sei und es auch Maike gut ging. Nach dem Aktuellen Sportstudio wollten wir in unsere Schlafsäcke schlüpfen, da kam Gernot herein und fragte uns, ob wir noch Lust hätten auf eine kleine spontane Fete bei den Leuten in der Wohnung über uns. Ich zögerte. Mone war sofort begeistert und zog mich mit.

      Wir brachten eine Flasche Eierlikör aus Maikes Bestand mit nach oben. Die Leute auf der Party waren alle rund zehn Jahre älter als ich. Eine Frau mit Batik-Klamotten stillte auf einem Küchenstuhl ein Baby. Ich saß nur da und glotzte, schlug die Beine übereinander und hielt mich an einer Apfelschorle fest. Man bot mir Zigaretten und Bier und härtere Sachen an, aber ich lehnte das alles ab. Im Wohnzimmer machten Leute zu Reggaemusik wilde Verrenkungen. An dem Abend hatte ich keine Lust zu tanzen, obwohl mir die Songs gefielen und ich mich eigentlich gern zu Musik bewegte. Mir war heiß und etwas schwindelig. Ich hatte wohl einen Sonnenstich.

      Meine Haut war krebsrot und schälte sich bereits. Zu allem Überfluss bekam ich Regelschmerzen. Mit Schüttelfrost und brennender Haut schlich ich mich nach einer Stunde zurück in Maikes Wohnung.

      Ich fischte mir noch eine Schmerztablette aus dem Badezimmerschrank und schlief auf der Stelle ein.

      Sehr früh wachte ich auf und las fast komplett Das Tagebuch der Anne Frank durch, das ich in Maikes Bücherschrank gefunden hatte. Anne Franks Schreibstil packte mich. Die schrecklichen Geschehnisse, die sie beschrieb, ließen mir gewaltige Schauer über den Rücken laufen.

      Wir hatten gerade in der Schule etwas über die Nazizeit gehört. Zu Weihnachten hatte ich zwei Jugendbücher über die HJ und die Weiße Rose bekommen. Ansonsten wusste ich fast nichts über diese dunkle Zeit.

      Mone hatte die Fete erst spät verlassen und sah am nächsten Mittag im Gegensatz zu mir kreidebleich aus. Ein paar Mal rannte sie wie angestochen zum Klo.

      Es stank in der ganzen Wohnung nach Kotze, Schnaps und Knoblauch.

      Am späten Nachmittag ging unser Zug zurück nach Hückelhoven.

      „Ela, warum weinst du denn?“, fragte mich Mone, als der Zug losfuhr. Sie guckte mich irritiert an. „Wärst du gerne noch länger geblieben?“ Sie gähnte.

      „Nein, ich habe im Tagebuch von Anne Frank gelesen und das macht mich einfach traurig“, sagte ich.

      „Ah, verstehe.“ Mone nickte müde. „Haben wir auch in der Schule gelesen.“

      Meine Brieffreundin schlief ein. Als sie wieder aufwachte, kniff ich ihr in die Wangen, damit ihre Haut rosiger aussah. Außerdem lieh ich ihr meine Sonnenbrille, damit ihre Mutter die Ränder unter ihren Augen nicht sehen konnte.

      Frau Reuser holte uns vom Bahnhof ab. Sie blickte ihre Tochter stirnrunzelnd an. Ich hätte mich auch gewundert, wenn mein Kind bei strömendem Regen mit einer Sonnenbrille aus dem Zug gestiegen wäre. Aber Mones Mutter sagte nichts dazu. Sie fragte nur, wie es dem Kanarienvogel ging.

      Mit Mone und ihrer Mutter war ich dann auch zwei Tage später in Köln.

      „So, Kinder, dann steigen wir da mal hoch!“, flötete Frau Reuser fröhlich und zeigte zu den Turmspitzen des Doms.

      „Nö, Mama, bitte nicht. Das haben wir schon sooo oft gemacht“, stöhnte Mone auf.

      „Ja, das macht man halt, wenn Besuch von auswärts kommt“, meinte ihre Mutter gleichmütig.

      „Ähm, ich will gar nicht hoch, bin überhaupt nicht schwindelfrei“, bemerkte ich kleinlaut.

      Frau Reuser gab nach und so standen wir nur auf der Domplatte ´rum und schauten zu den gigantischen Türmen hoch, kauften Ansichtskarten und schipperten eine Stunde lang mit einem Ausflugsdampfer auf dem Rhein herum.

      In Köln war alles wuchtiger als in Aachen. Der Himmel über dem Rhein war gigantisch, so schrieb ich es jedenfalls damals in mein Tagebuch. Ich habe wohl schon immer zu Übertreibungen geneigt, behauptete jedenfalls meine Mutter. Als ich aber vor ein paar Jahren mit meinem Mann wieder über die Hohenzollern-Brücke gefahren bin, kam es mir wieder so vor, als wäre das Wolkenbild über dem Rhein dramatischer als über der Elbe. Vielleicht katholischer?!

      Vor ein paar Jahren habe ich Ulla Hahns autobiographischen Romane und Elke Heidenreichs Alles fließt gelesen und fand in diesen Büchern, was den Rhein betrifft, Bestätigungen für meine Beobachtungen.

      Den Kölner Karneval und die Rosenmontagsumzüge, die sich TT und meine Mutter wahlweise mit Eierlikör oder Sekt vor der Glotze reingezogen haben, fand ich zu grell und zu laut. Und irgendwie nicht von Herzen. Eher aufgesetzt und langweilig.

      Kölle Alaaf interessierte mich null. Den 1.FC hingegen fand ich in jenem Sommer immer noch echt gut. Das war damals schon ein cooler Verein und ich habe so manche