Der kleine Mordratgeber. Michael Nolden

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Название Der kleine Mordratgeber
Автор произведения Michael Nolden
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738002799



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Spitze, dem Teufel und der Hölle hinterdrein und einem Gefängnis weit abgeschlagen auf dem letzten Platz. Max Heiliger sammelte allen verbliebenen Mut, da er wusste, dass der Moment der Tat in wenigen Augenblicken bevor stand.

      Cornelius Deller hielt an, besah sich den alten Kadett von der Motorhaube bis zum klaffenden Kofferraum.

      Max Heiliger maß die Entfernung, trat im perfekten Abstand hinter Cornelius Deller, stemmte den rechten Fuß in den Matsch und griff den Stock fest, die Spitze voraus.

      Der Riese drehte sich langsam um.

      Unter der Kapuze des Armeeponchos begegnete Max Heiliger Cornelius' Augen. Der alte Mann warf sich in die einstudierte Bewegung hinein und stach zu.

      Kapitel 2: Ein rostroter Kadett

      Die Polizei hatte im Viertel der Dellers und der näheren Umgebung für große Aufmerksamkeit gesorgt. Es waren Andeutungen, kurze Beschreibungen, die wellenartig durch die Straßen wogten. Jeder Anlauf brachte Neues, überwarf bisherige Informationen und über allem prangte die zögerliche Überschrift von Cornelius Dellers Tod. Max Heiliger hörte Satzfetzen von an ihm vorbei flanierenden Passanten, als er von einem schnellen Einkauf aus einem Discounterladen zurückkam. Im Durchgang zum Hinterhof unterhielten sich Nachbarn in der Nähe der abgestellten Mülltonnen. Max, der am Morgen nur mit Mühe aufgestanden war, noch niedergerungen vom nackten Grauen seiner vollbrachten Tat, wurde immer neugieriger. Das Buch – Der kleine Mordratgeber – hatte ihn ausdrücklich vor diesem Gefühl und einem daraus resultierenden Fehlverhalten gewarnt. Wider jede Vernunft machte er Emilie und sich für einen Ausflug fertig.

      »Das ist doch viel zu teuer«, hatte Emilie ihrem Max zugeflüstert, da dieser für zwei Kurzstreckenkarten drei Euro in bronzefarbenen Münzen auf das kleine Tablett des Busfahrers gelegt hatte. Max hatte ihr natürlich verschwiegen, dass sie sich den kleinen Luxus ausnahmsweise leisten konnten. Außerdem wollte er es ihr und sich nicht zumuten, durch den Feierabendverkehr zu schleichen. Er befürchtete auch, die Polizei werde mit ihrer Arbeit fertig sein, bevor sie anlangten. Ein wenig zeitlicher Spielraum schadete nicht. Es stimmte schon. Zeit war Geld. Und drei Euro wollte er für eine gesparte halbe Stunde Fußmarsch und ein geringeres Maß Erschöpfung gerne ausgeben.

      Jeder zweite aus der näheren Umgebung musste sich hierher aufgemacht haben, denn vor dem Eingang zum Schrottplatz herrschte ein Andrang wie bei einem Volksfest. Endlich einmal passierte etwas! Nahe der leuchtenden Absperrbänder, die von den ermittelnden Beamten vor den Bretterzaun und die rostige Schranke zum Tatortgelände gespannt worden waren, tummelten sich zahlreiche Zuschauer, deren Aufregung von Minute zu Minute beträchtlich nachließ. Das Fernsehprogramm war doch spannender. Hintergründig wurde immer wieder eine Frage gestellt. »Kannst du was sehen?« Gefolgt von: »Was tut sich?«

      »Kannst du was sehen?«, fragte auch Emilie ihren Max, noch überrascht von der Menschenmenge und der kurzen Erklärung, es müsse sich ein Verbrechen auf dem Schrottplatz ereignet haben, wenn die Polizei einen derartigen Aufwand betreibe. Die emotionslosen Rempeleien im Gedränge ließen sie beständig zusammenzucken.

      Schützend legte er seinen freien Arm um ihre Schulter. Sie antwortete, indem sie ihre Hand nach Halt suchend um seine Hüfte schob. Nun, auf seinen Stock gestützt und auf den Zehenspitzen balancierend, schaute Max über die Köpfe der anderen Schaulustigen hinweg. Zu seinem Leidwesen gab es nichts Nennenswertes zu sehen.

      »Du wolltest zum Laden«, sagte Emilie gerade laut genug, dass ihr Mann sie verstand. »Zum Laden. Müssen wir hier stehen bleiben? So was interessiert dich sonst nicht.«

      »Das ist der Platz vom Deller«, meinte Max Heiliger, als sei das bereits Erklärung genug. Der fehlenden Reaktion wegen fügte er hinzu: »Den kann doch keiner leiden.« Max starrte auf den Schrottplatz und wähnte sich in Sicherheit. R wie Rückkehr zum Tatort. Bei manchen Tätern, so führte es Utz Entle mit offensichtlicher wie auch unterschwelliger Süffisanz aus, herrschte ein starker Drang, den Tatort neuerlich zu frequentieren, mehrmals sogar und sich von der Tat wie vom Geleisteten zu überzeugen, sich an den Ermittlungen zu ergötzen und das Selbstbewusstsein daran zu stärken. Nur kleine Geister, so schrieb der Oberst a. D., verhielten sich so. Der professionell agierende Mörder werde nie zurückblicken, eher Vorausschau halten. Max Heiliger sah das anders. Er hielt sich nicht für einen Kleingeist, nur für einen Amateur, der noch lernen musste.

      Unweit von der Stelle, wo Emilie und er standen, waren an gegenüberliegenden Positionen Polizisten aufgestellt und nicht nur mit dem Zurückdrängen der Gaffer beschäftigt. Ab und an zückte der eine, mal der andere eine Kamera und fotografierte in die Menge. Der Grund für diese Maßnahme fand sich in den Warnungen und Verhaltensmaßregeln des Obersten: Die Beamten versuchten, den Täter in der Menge vor dem Schrottplatz zufällig abzulichten.

      Max Heiliger wusste Bescheid. Seine Gegenmaßnahme bestand in Emilie. Welcher Mörder kehrte mit einer blinden Frau zu einem Tatort zurück? Niemand, beantwortete sich Max die Frage selbst. Trotzdem duckte er sich möglichst unauffällig, sobald er das Objektiv des einen wie des anderen Polizisten in seine Richtung schwenken sah. Sein gesamter Körper befand sich in einer sanften Vibration, vor Anspannung und Konzentration. Max Heiliger genoss dieses Gefühl beinahe lustvoll.

      »Sollen wir nicht weiter gehen?«, fragte Emilie und rückte näher an ihn heran.

      Max drückte sie an sich. »Noch nicht. Noch nicht.« Er hob den Kopf. In der Zufahrt des Schrotthandels, die sich einige Wagenlängen bis hinein in das Gelände zog, kreuzten im Minutentakt Polizisten den Weg, trugen etwas herum. Einer tapste durch den Matsch, als wisse er nicht so recht, wie mit diesem widerwärtig bei jedem Schritt glucksenden Untergrund umzugehen sei. Mit einem Zeigefinger wies er unnötigerweise der nachfolgenden Maria Deller die Richtung. Hexengleich flatterte ein schwarzes Wintercape hinter ihr her, so dass es aussah, als schwebe sie über den Boden. Kurz trafen sich ihrer beider Blicke und Max wie Maria versuchten eine harmlose Miene aufzusetzen. Es gelang ihm besser als ihr. Wahrscheinlich, übertrieb Max Heiliger in Gedanken, weiß sie nicht einmal mehr, was das ist. Maria Deller verschwand mit dem voranschreitenden Polizisten hinter einem Stapel platt gepresster Autowracks. Ihre Fußabdrücke füllten sich langsam mit einer sämigen, hellbraunen Flüssigkeit.

      M wie Matsch. Oberst a. D. Utz Entle nannte den aufgeweichten Boden einen Segen und Fluch zugleich. Wer Matsch nicht den nötigen Respekt zollte, legte untrügliche Spuren zu seiner Verhaftung. Wer mit ihm umzugehen verstand, konnte sich nach getaner Arbeit unerkannt davon machen und jegliche Tat verbergen. Cornelius Deller hatte das gewusst und auf seinem Schrottplatz praktiziert. Max musste erst noch viel lernen, er hatte den Fluch am eigenen Leib erfahren. Über und über verschmutzt war er nach Hause zurückgekehrt und hatte seine Kleidung unter den forschenden Ohren seiner Emilie gesäubert und gesäubert und wieder gesäubert. Erst nach der dritten Trocknung, auch der Schuhe, glaubte er, nichts werde sich von normalem Straßendreck, wie er Stoffen stets anhaftete, unterscheiden. Max hatte das Waschen mit Hilfsbereitschaft erklärt. Das Herumrutschen in der Diele, auf der Spur, die er bis zum Badezimmer hinterlassen hatte, das Putzen der Wanne, der Waschmaschinentrommel, aus der seine Stimme so geisterhaft nach draußen geklungen und er eine Entschuldigung gemurmelt hatte, sorgte für Kopfzerbrechen bei seiner Frau. Als ihr Entschluss, sich über die Hilfsbereitschaft und Tatkraft ihres Mannes zu freuen, sich endlich freie Bahn schaffte, ging er mit Mopp und Wassereimer bewaffnet in den Hausflur hinaus. In Emilie Heiliger, geborene Mistel, aus gutem Hause stammend und Sauberkeit leidend, gewann der Zweifel erneut die Oberhand. Aber Max hatte sie anschließend beruhigt. Was bliebe ihm denn zu tun, lautete seine berechtigte Frage. Mit den Zähnen knirschend hatte er ihr gestanden, wie sehr ihn sein Gewissen mit dem Umstand belastete, ihr kein besseres Leben bieten zu können. Und das entsprach der Wahrheit.

      So zierlich und zerbrechlich! Die Erkenntnis traf Max zusammenhanglos. Unter seinen Fingern fühlte er noch durch den Stoff von Emilies Jacke die dünne Haut seiner über alles geliebten Frau. Er spürte ihr Frösteln und schalt sich einen Narren. Zuvor hatte er in seinem Plan, Emilie mit zur Tatortbesichtigung zu nehmen, noch einen Anflug von Genialität gefunden. Nun schämte er sich mit gleicher Intensität. Im nächsten Augenblick wurde er abgelenkt.

      »Der Conny ist tot«, sagte