Der kleine Mordratgeber. Michael Nolden

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Название Der kleine Mordratgeber
Автор произведения Michael Nolden
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738002799



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die Schlüssel.«

      Maria überreichte ihm drei Schlüssel. »Rot ist für das Tor, blau für die Baracke, grün für die Werkzeughütte. Der Hund wird morgen eingeschläfert«, kicherte sie leise.

      »Wie hast du das geschafft?«, fragte Max angewidert von ihrer Begeisterung.

      »Ich habe denen gesagt, die Töle hätte mich gebissen.« Maria Deller zog den Ärmel ihres linken Unterarms hinauf. Im spärlichen Licht im Eingang des Kohlenkellers erkannte Max einen mit Blut durchtränkten Verband. »Hab ich selbst gemacht«, sagte Maria stolz. »Hat weh getan. Tut's noch. Aber das isses mir wert. Die verflixte Tetanusspritze auch! Cornelius hat nichts dagegen unternehmen können.«

      Auf einmal schien keinem der beiden mehr daran gelegen, die eigene Stärke als Schild vor sich herzutragen. Plötzlich sahen beide alt und müde aus. Sie nickten sich abschließend zu und gingen, nachdem sie sich vergewissert hatten, dass keiner den Hof beobachtete und sich hinter den zahllosen Fenstern der umliegenden Stockwerke nichts rührte, schleichend davon. Max Heiliger verzichtete darauf, sie daran zu erinnern, dass sie nach Erledigung der Arbeit nicht 500, sondern 1500 Euro an ihn zu entrichten hatte. Das würde er zu gegebener Zeit nachholen.

      In den letzten beiden Jahren hatte Max Heiliger diese ungewöhnlichen Gedanken gehabt. Böse Gedanken. Wie ein zartes Pflänzchen hatten sie sich durch die Asphaltdecke gegraben, die seine gemütliche Sozialisation bildete, und waren dann zu einem stattlichen Baum geradezu emporgeschossen. Jünger wurde er nicht, doch je älter er wurde, desto mehr verschoben sich die Werte, desto geringer wurden die Gewissenbisse, ein Umstand, der ihm häufiger aufgefallen war, den er allerdings stets erfolgreich an die Rückwand seiner Gedankenwelt gedrängt hatte, denn die Bosheit war zu jenem Zeitpunkt noch unwillkommen. Nach einer Weile ersetzte er Bosheit durch Eigennutz, Rücksichtslosigkeit, giftig glänzenden Egoismus. Ich muss essen, dachte er, auch im Alter. Nun wollen sie mir – uns, verbesserte er sich – die Grundlagen vorenthalten. Was soll mir schon passieren, lautete der nächste Gedanke. Max Heiliger beobachtete Verbrechensfälle und Gerichtsprozesse. Er schaute, wer welche Strafe für welche Tat erhielt und wie alt diese Verbrecher waren. Zwar plante er nun einen Mord, nur war er weit davon entfernt, sich mit diesen Verbrechern in einen Topf zu werfen. Ich bin nicht wie die! Diese Feststellung klang bei jedem Gedanken als Untertitel mit. Die, das waren diejenigen, die sich nie bemüht hatten. Die von Natur aus verkommen waren. Schlechte Menschen waren, wie sein Schwager Jupp. Ewige Drückeberger, die immer die Schuld auf andere schoben. Die das eigene Versagen auf andere schoben. Ein unbequemer Geistesblitz schoss durch Max’ Hirn. Das eine Wort – Versagen – blendete mit der Schärfe und der Endgültigkeit eines Fallbeils vor den übrigen dunklen Gedanken auf. Versagen! Dieses eine Wort verbreitete eine größere apokalyptische Stimmung als das andere unbequeme Wort – Gefängnis –, das Max dem Versagen folgend immer weniger Furcht einflößte. Gefängnis. Ein scheußlicher Ort, mit allerlei Geschichten behaftet, meist grauenhaft, so dass das Wort Gefängnis in seiner Gedankenwelt stets eine schwer vergitterte, aus rußgeschwärzten Steinblöcken bestehende Trutzburg war, hinter deren Mauren unbeschreibliche Dinge geschahen, in Räumen, die im Gegensatz zur Gigantomanie des Gebäudes so klein waren, dass sie es einem Insassen nur erlaubten, sich um die eigene Achse zu drehen und im Stehen zu schlafen. Wie lange mag's dauern, bis ich darin zugrunde gehe, überlegte Max und kam zu einem klaren Ergebnis. Bei besonderer Schwere der Schuld belief sich das gängige Strafmaß für Mord auf maximal 25 Jahre Haft. Die schaffe ich sowieso nicht mehr, zog Max sein Fazit. Und mehrere Morde? Im Zweifelsfall drohte ihm nach der Haft eine Sicherungsverwahrung. Darüber, wie er diesen Gedankensprüngen mit großer Ernsthaftigkeit einst gefolgt war, war ihm mittlerweile schleierhaft, und er konnte sich heute ein Grinsen über sein damaliges Unbehagen nicht mehr verkneifen. Ein Grinsen, das ihm mit der Planung über den bevorstehenden Mord gleich wieder verging. Ich kann das, dachte Max mit der Widerborstigkeit des von seiner Aufgabe Besessenen.

      Einen Menschen zu töten, ist für einen Menschen, der nicht durch äußere wie innere Umstände dazu gezwungen wird, kein leichtes Unterfangen, hatte Oberst Utz Entle ausgeführt. Zwänge, entstanden aus Notlagen, Krankheiten, aus Leidenschaft, Hass, politischer Indoktrination und weiteren sehr unterschiedlichen Motiven, überdecken stets die natürliche Abneigung der menschlichen Psyche gegen Gewalt. Und es wäre ein Fehler zu glauben, eine rationale Entscheidung könne die Tötung eines Menschen beim ersten Mal vereinfachen, erklärte der schweizerische Offizier weiterhin. Für Entscheidungshilfen zur Tat siehe auch A wie Angst beziehungsweise F wie Furcht, G wie Gefängnis, G wie Gewissen, L wie Lampenfieber und P wie Polizei. Überwiegend aber verzichtete Oberst Entle darauf, seinen Leser von der Tat abzubringen. T wie Tat. Siehe auch M wie Mordtat. T wie Tat ausführen. M wie Morden. T wie Tötungsabsicht. T wie Tatort. Seite 820. In einer 8–Punkt–Schrift abgedruckt, also winzig und für Max Heiliger nur mit Lesebrille und Lupe gleichzeitig zu lesen, hatte sich der Auftragsmörder in spe über die richtige Wahl des Tatortes informiert. Die Beschreibung überzog mehrere Seiten.

      Max Heiliger hatte sich für den Schrottplatz entschieden. Der Hund, ein großer Rottweiler, auf dem Gelände meist freilaufend, bereitete ihm nun auch keine Probleme mehr. Maria Deller hatte für die Hinrichtung des Tieres gesorgt. Cornelius Deller sollte erstochen werden. Das war beschlossene Sache. Zweifellos kein schöner Tod, immerhin aber glaubte Max Heiliger, es werde außerordentlich schnell vonstatten gehen und für Cornelius Deller keine Qualen bedeuten. Von der wirklichen Todesursache würde am Ende nichts nachweisbar sein. S wie Schwäche. Jeder Mörder wies eine Schwäche auf. Niemand war in seinem Verhalten, in seinem Auftreten, geistig wie körperlich perfekt. Oberst Utz Entle formulierte Schwäche als potentielle Fehlerquelle. Dann, resümierte Max Heiliger, bin ich eine einzige Fehlerquelle. Max besaß nicht die Kraft, um in einem Kampf gegen den vierschrötigen Cornelius Deller zu bestehen. Ihm blieb nur U wie Überraschung, das Überraschungsmoment. Nur eine einzige Gelegenheit. Mehr nicht. Kalter Schweiß trat auf Max' Stirn. Er hatte das Buch in aller Sorgfalt durchgeblättert, doch nirgends gab es den Hinweis, den wirklich praktischen Rat, wie man es bewerkstelligte, eine Schwäche in eine Stärke zu verwandeln. So, wie es oft propagiert wurde. Mit diesen Gedanken kehrte Max in die Wohnung zurück, wo er Emilie wach im Türrahmen zum Schlafzimmer stehend vorfand, leicht benommen und desorientiert. Ihre blassen Augen glommen im einfallenden Mondlicht des Deckenfensters.

      »Max?«, fragte sie in einem Tonfall, der ihm das Herz zerriss. »Ich weiß nicht, wo ich bin.« Sie legte eine Hand vor den Mund. »Ich weiß nicht, wann ich bin«, stammelte sie.

      »Es ist Nacht, mein Schatz«, antwortete Max und fühlte mehr, als er es selbst sah, wie ihre blinden Augen einen Kontakt herzustellen versuchten. »Du bist in unserer Wohnung und es ist noch viel zu früh, um aufzustehen. Komm, ich bringe dich wieder ins Bett.«

      »Du warst nicht da«, stellte sie enttäuscht fest.

      »Ich musste mal«, sagte er, während er sie Schritt für Schritt zum Bett führte.

      »Mit Jacke?«, fragte Emilie über seinen Ärmel tastend. Die Enttäuschung in ihrer Stimme schwoll immer mehr an.

      Max Heiliger überlegte kurz, wie er mit ihrem Misstrauen umgehen sollte. Er antwortete nicht, aus falschem Stolz heraus, denn schließlich unternahm er diese Aufgabe für sie beide, und er wollte ihr darüber keine Rechenschaft ablegen.

      Keiner der beiden sagte ein weiteres Wort bis zum nächsten Morgen. Max Heiliger brannte für seine Aufgabe, die all sein Denken in Anspruch nahm. In dem Moment, da er Emilie versorgt wusste, gab er sich ganz der Lösung des Problems, wie er es insgeheim nannte, hin. Der Schrottplatz war für Cornelius Deller nicht der hauptsächliche Broterwerb. Längst wusste seine Stiefmutter über die wesentlich einträchtigere Beschaffung und Hehlerei von Kupfer und anderen Metallwaren Bescheid. Die Polizei hatte vor mehreren Monaten eine Durchsuchung durchgeführt, allerdings hatte der gewitzte Cornelius Deller entweder keine Hehlerware auf dem Gelände oder sie war gut versteckt gewesen.

      »Gut versteckt«, hatte Maria Deller berichtet, »und ich weiß auch wo.« Sie hatte Max Heiliger die Verstecke gezeigt. Unter alten Schrottkarosserien verborgen. Lediglich über den Kran ließen sich die Verstecke öffnen und schließen. Auf dem matschigen Boden des Geländes, auf dessen Beschaffenheit Cornelius Deller aus diesem Grund peinlich genau achtete, genügten einige Runden mit einem Transporter,