Der kleine Mordratgeber. Michael Nolden

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Название Der kleine Mordratgeber
Автор произведения Michael Nolden
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738002799



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im Ende–Gut–Alles–Gut–Verlag«, murmelte Max vor sich hin, da er noch einmal ungläubig das Buch gewendet und schließlich das Impressum aufgeblättert hatte. »Zürich, Schweizerische Eidgenossenschaft.« Max trank einen Schluck Tee und warf den Kopf nach hinten, damit die kühle Flüssigkeit schneller aus dem Mund den Rachen hinunterlief. Er hätte den Tee aufwärmen können, wollte aber Strom sparen und seine Emilie nicht wecken. Es war bereits zwei Uhr nachts.

      »Über den Autor«, las Max leise, »Oberst Utz Entle wurde in den frühen 60er Jahren mit seinem 'Schweizer Armeehandbuch für Guerillataktiken' über die Landesgrenzen hinaus bekannt.« Max nickte. »Entle hat nun seine praktischen Erfahrungen aus dem Armeealltag in zivile Kreise übertragen.« Max nickte erneut. »Verrückt«, sagte er dann. »Ein Ratgeber für Mord.« Und sagte dann wieder: »Verrückt.« Und er sagte es, als wolle er sich nur selbst beruhigen.

      Max spürte die Anspannung in seinem Brustkorb. Seine Entscheidung über sein künftiges Vorgehen war längst gefallen. Max Heiliger mochte in die Jahre gekommen sein, vielleicht die letzten, doch vorbei war es erst, wenn es vorbei war. So selbstverständlich diese Gewissheit auch war, so sicher war auch, dass bis zum bitteren Ende Nahrung, Kleidung, Miete, Strom und vieles mehr zum Leben bezahlt werden wollte. Geld. Oberst Utz Entle schilderte in seinem Buch die relativ wenigen Motive, die sich hinter Gewaltverbrechen finden ließen. Geld stand neben Eifersucht gleich vorne an. Max hatte viel gerechnet in den letzten Tagen. Geld. Es reichte vorne und hinten nicht. Er hatte schon darüber nachgedacht, eine Bank zu überfallen, nur war an eine schnelle Flucht mit seiner Arthrose nicht zu denken. Einfacher war Mord. Max Heiliger war fest entschlossen, einen Menschen zu töten. Für Geld. Max Heiliger hatte für Geld die unterschiedlichsten Wege in seinem Leben beschritten. Gute und schlechte Pfade waren darunter gewesen. Solche, für die er sich schämte, überwogen kaum jene, über die er sich freute. Besonders in seinen jungen Jahren war er nicht zimperlich gewesen. Schnell hatte er bei seinen Fahrten auf dem Bock eines Lkws durch den Ostblock seine Lektionen gelernt. Es hatte nur eine Attacke gebraucht, um ihn erkennen zu lassen, lieber dem anderen zuerst eine aufs Maul zu geben, als selbst an Leib und Leben Schaden zu nehmen und am Ende noch seine Ladung zu verlieren. Getötet hatte er, in diesen längst vergangenen Tagen, nie, aber es waren nicht wenige Situationen an ihm vorbeigezogen, die sein Gewissen nur um Haaresbreite mit nicht mehr als ein paar gebrochenen Rippen belastet hatten. Den Tod eines anderen Menschen – eines Angreifers, wie er sich gerne einbläute – hätte er jederzeit verursachen können. Dem Zufall war es zu verdanken, dass es nie so weit gekommen war.

      Er legte das Buch mit einer fahrigen Bewegung aus der Hand, so dass es mit einem überlauten Knall in der nächtlichen Stille auf der Tischplatte aufschlug. Max horchte nach Emilie. Sie schlief weiter. Er hörte ihre Atemzüge. Sein Gehör hatte in den Jahren nicht gelitten und schien ihm zuweilen schärfer zu funktionieren als jemals zuvor. Ihre beiden Renten zusammengenommen finanzierten das Nötigste, besondere Ausgaben indes waren eine Unmöglichkeit. Geld. Max Heiliger hasste das Wort inzwischen. Geld. Er biss die Zähne zusammen. Der Winter hatte seine ersten Fühler ausgestreckt. Die Wände wurden kalt. Diese Kälte schob sich über seine Gewissensbisse. Mit klammen Fingern drehte Max die Leselampe zur Seite, damit kein Lichtschein über sein Gesicht fiel, sobald er sich zum Fenster wandte, um nach unten in den Hof zu schauen. Es war noch etwas zu früh. Um drei Uhr beabsichtigten er und Maria Deller, sich an der Tür zum Kohlenkeller in verschwörerischer Absicht zu treffen. Die Abenteuerlichkeit der Situation bereitete Max sogar ein wenig Freude. Emilie durfte nicht das Geringste davon erfahren, denn es bestand die Gefahr, sie könne falsche Schlüsse aus solch einem Treffen ziehen und glauben, er habe ein Verhältnis mit Maria. Max schmunzelte. Vorsichtig stand er vom Küchenstuhl auf, griff nach seinem Stock, ganz altmodisch schwarz glänzend, mit einem Griff aus Hirschhorn und metallener Spitze, die er nach der Lektüre des Ratgeberbuches zugefeilt hatte und nun, damit die Arbeit nicht litt, mit einem Korküberzug schützte. Bevor er in die Diele ging, warf er noch einen Blick ins Schlafzimmer. Emilie schlief tief und fest. Ihr weißes Haar bildete ein engelsgleiches Vlies auf dem Kissen. Vorsichtig zog er am Fußende des Bettes die Decke über ein paar vorwitzig freiliegende Zehen. Max verließ die Wohnung.

      Unten am vereinbarten Treffpunkt wartete Maria Deller bereits auf ihn. Sie drückte sich in den Eingang zum Kohlenkeller, den Kopf eingezogen, allzu verständlich bei einer Größe von 1,80 Meter. Ihr Auftreten war garstig wie immer, ihr Blick stechend, erstechend beinahe, und hätte Max es nicht besser gewusst, hätte er annehmen können, auch sie wäre in den Bann des »kleinen Mordratgebers« geraten und beabsichtige ihn gleich hier auszuschalten, gab es doch noch eine Lebensversicherung, die auf Emilie wartete, falls er auf halbwegs natürlichem Wege aus dem Leben scheiden sollte. »Zu spät«, sagte sie mit patziger Zurechtweisung, »und du willst ...«

      »Still«, unterbrach Max ihre aufkeimende Litanei, die er nicht zum ersten Mal hörte. Sogleich bequemte er sich dazu, gut Wetter zu machen, denn sie war seine erste Auftraggeberin und sollte ihm noch weitere Kontakte vermitteln. »Ich bin da, du bist da, also ...«

      »Cornelius fährt in einer Woche in Urlaub«, fiel sie ihm nun ins Wort. »Es muss vorher passieren.«

      »Warum?« Max zog die Stirn kraus. Es war nie davon die Rede gewesen, die Angelegenheit übers Knie zu brechen. »Wenn er in Urlaub fährt, könnte die Sache doch umso besser vorbereitet werden können ...«

      »Weil«, fuhr sie dazwischen, »ich es nicht mehr mit ihm aushalte. Nicht mehr.« Sie trat aus dem Eingang heraus, behielt ihre gebückte Haltung dennoch bei. »Jeder Tag, den mich mein Sohn weiter bevormundet, ist eine Qual. Das ist kein Leben.«

      »Stiefsohn«, warf Max ein.

      »Sicher, Stiefsohn! Würde ich mein eigen Fleisch und Blut tot sehen wollen?«, antwortete Maria Deller mit herablassendem Flüsterton.

      Max Heiliger zuckte mit den Schultern. Es war ihm einerlei. Er musste über Cornelius Deller nur so viel wissen, wie er wissen musste. V wie Verschwörung, dachte er. Eine meist zeitlich begrenzte Verbindung von zwei oder mehr Personen zu gegenseitigem Nutzen, in aller Heimlichkeit ausgeführt, häufig um den Einflussbereich eines anderen zu untergraben. Oft zu finanziellem Vorteil, zu mehr Machtgewinn in der Geschichte praktiziert. Nicht weniger selten führte der Erfolg einer Verschwörung über den Tod einer oder mehrerer Personen oder Personengruppen.

      »Wach auf!«, schnauzte Maria Deller ihn viel zu laut an. »Schläfst du schon wieder? Was soll das werden? Du willst ein Auftragsmörder sein und schläfst schon im Stehen ein ...«

      »Ich schlafe nicht«, sagte Max, ganz die Ruhe selbst, »ich habe nachgedacht.« V wie Verschwörung. Mehr als zwei Verschwörer bilden ein unnötiges Risiko. Zwei können sich gegenseitig kontrollieren. Ein Verschwörer muss misstrauisch sein. Gutgläubigkeit führt geradewegs ins Verderben. Hier hatte sich Oberst Entle zu einer Gefühlsduselei hinreißen lassen, wie Max Heiliger fand, unter dem Strich war er jedoch mit dem schweizerischen Offizier einer Meinung. »Wenn es schneller ablaufen soll, kostet das mehr«, fuhr Max mit selbstbewusst klingender Stimme fort. »Weniger Zeit, höheres Risiko.«

      »Mehr? Wie viel mehr?«, zischte Maria Deller.

      »Das Doppelte«, erwiderte Max ungerührt.

      Ein Schütteln lief durch Maria Dellers hagere Gestalt. Ausdruckslos starrte sie ihn an. Endlich nickte sie.

      »Die Hälfte davon gleich«, sagte Max.

      »Ich habe nur das dabei, was vereinbart war. Glaubst du, ich renne in diesen Zeiten mit wer weiß wieviel Geld durch die Gegend?! Nachts?!« Die alte Frau griff in die Jutetasche.

      Max hörte Papier rascheln.

      »Hier«, meinte Maria Deller nach einer Minute, als sie sämtliche Geldscheine aus dem Beutel zusammengerafft hatte. »500 Euro. Mehr habe ich nicht dabei«, betonte sie noch einmal.

      Max Heiliger hoffte, Maria Deller werde nicht das Zittern in seinen Händen sehen. Umso mehr bemühte er sich um Festigkeit in seiner Stimmlage, eine Spur tiefer, dunkler, selbstsicherer. Der Effekt auf Maria war sofort sichtbar. Der Trick hatte ihm damals in Jugoslawien geholfen. In Rumänien ebenso. Sogar in der ehemaligen DDR. Dort noch besser, da man an den Verladestationen seine geknurrten Worte verstand. Überrascht