Merveille du monde - Das Geheimnis der zweiten Welt. Yvonne Tschipke

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Название Merveille du monde - Das Geheimnis der zweiten Welt
Автор произведения Yvonne Tschipke
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783738006094



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du einen hättest, dann könnten wir zu viert ... na, du weißt schon“. Sie sah Tara beleidigt an.

      „Nein, weiß ich nicht!“ Tara lief schneller. „Los, komm jetzt, ich will nicht schon wieder dafür verantwortlich gemacht werden, weil wir zwei zu spät kommen!“ So war es nämlich immer. Nina, die Tochter des angesehenen Hals-Nasen-Ohren-Arztes Dr. Landau, war in den Augen der Lehrer nie daran schuld, wenn sie und Tara die ersten Minuten des Unterrichtes verpassten. Nein, das Kind der ... Tara musste schlucken bei diesem Gedanken ... das Kind der Säufer war an allem Schuld.

      „Tara, warte doch“, keuchte Nina hinter ihr.

      Tara blieb stehen und drehte sich um. „Und außerdem, so eine wie mich will sowieso keiner als Freundin. Also schlag es dir gleich mal aus dem Kopf, dass wir mal was

      z u v i e r t machen könnten, was auch immer du dir darunter vorstellst“, schleuderte sie Nina entgegen und stieß die Tür zum Schulhaus auf.

      Am Nachmittag regnete es schon wieder. Tara zog den Reißverschluss ihrer bereits klatschnassen Jacke bis zum Kinn. Sie war alleine auf dem Weg zu den Drachenfelsen. Nina wollte nicht mit, Titus und sie hatten was anderes vor. Im ersten Moment war Tara darüber sauer. Doch wenn Tara ganz ehrlich war, machte es ihr eigentlich nichts aus, dass Nina an diesem Nachmittag nicht dabei war. Vielleicht war es wirklich besser, wenn sie allein hier her kam und das Geheimnis der Hütte weiter erkundete.

      Tara war aufgeregt. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Hoffentlich funktionierte es wieder. Hoffentlich hatte sie sich das alles nicht nur eingebildet. Die Sehnsucht nach dem gemütlichen Zimmer, diesem frischen blumigen Duft, der in jede kleinste Nische des Raumes gekrochen war und nach dem Gefühl der Geborgenheit, das sie dort erfüllt hatte, ließen ihr Herz beben. Ja, das Zimmer in dieser alten kleinen Hütte hatte ihr das Herz gewärmt, den Kopf befreit, die Ketten um die Seele gesprengt.

      Tara schob sich durch das Gebüsch. Und da stand sie, als hätte sie schon immer dort gestanden – die kleine alte Holzhütte.

      Es war still hier. Nur die feinen Tropfen des Nieselregens machten leise Geräusche, als sie auf den Blättern der Bäume landeten, sich dort mit vielen anderen zu größeren Tropfen sammelten und dann gemeinsam auf den weichen Waldboden fielen.

      Tara blieb noch einen Augenblick stehen und lauschte. Sie konnte es wieder hören. Das leise Rauschen war wieder da, genau wie an den anderen Tagen auch. Tara setzte sich langsam in Bewegung und lief auf die kleine Hütte zu. Das Rauschen wurde immer stärker, je näher sie der Hütte kam. Und auch dieses warme Gefühl, das sie verspürte, wenn sie sich in der Nähe der Hütte aufhielt, konnte Tara wieder spüren. Schnell lief sie um die Hütte herum, zu der Stelle, wo sich die kleine Tür befand. Voller Erwartung stand Tara davor und zögerte noch einen kleinen Augenblick. Was, wenn es doch nur Einbildung gewesen ist? Was, wenn sie langsam aber sicher verrückt wurde? Manchmal wünscht man sich etwas so sehr, dass man glaubt, es wäre in Wirklichkeit da.

      Vielleicht hatte ihr die wilde Fantasie, Ursprung all der Geschichten, die sie sich ausdachte, einen Streich gespielt. Aber was, wenn es doch wirklich geschehen war? Was, wenn es das Zimmer in der Hütte wirklich gab? Dann wäre jede Sekunde, die sie hier draußen zögernd herum stand eine vergebene Chance, dieses kleine Glück zu erleben.

      Auf einmal wurde die angenehme Stille jäh unterbrochen. Tara, noch ganz in Gedanken, zuckte zusammen. Ninas Stimme plärrte durch den Wald: „Tara! Taaaraaa! Ich bin`s, Nina! Titus hatte doch keine Zeit! Tara, bist du hier?“

      Einen Moment lang dachte Tara darüber nach, zu ihr zu gehen. Vielleicht sollte sie ihrer besten und einzigen Freundin von dem Zimmer erzählen. Und von den guten Gefühlen, die es in ihr ausgelöst hatte.

      Doch nur einen kurzen Augenblick später kroch sie auf allen Vieren auf die kleine Tür zu. Nein, Tara war sich ganz sicher, dass Nina ihr nicht glauben würde. Sie würde sie für bescheuert halten. Sie würde sie vielleicht sogar auslachen.

      Tara wollte in die Hütte. Sie wollte in dieses wunderschöne Zimmer. Und sie wollte dieses kleine Glück spüren, dass sich am Tag zuvor in ihrem Herzen einen Platz gesucht und mit einem Mal alle großen klaffenden Wunden auf ihrer verletzten Seele verarztet hatte.

      Das Rauschen schwoll in Taras Ohren zu einem Sturm an. Um Tara herum wurde es mit einem Mal hell. Ein gleißender Lichtstrahl schoss ihr entgegen.

      Sie war offen - die Tür hatte sich tatsächlich wieder geöffnet und Tara lief, wie schon am Tag zuvor, durch den Tunnel.

      Kapitel 8

      Es war alles genau so, wie sie es bei ihrem ersten Besuch vorgefunden hatte. Das Bett, der Schrank, sogar der Monitor des Computers flimmerte wieder.

      Tara drehte sich um und sah durch die Glastür nach draußen. Erschrocken fuhr sie einen Schritt zurück. Ihr stockte der Atem. Auf der anderen Seite der Tür stand Nina direkt vor ihr. Konnte sie Tara sehen? Verlegen hob Tara die rechte Hand und winkte Nina zu. Doch die schaute nur mit verwirrtem Gesicht geradeaus.

      „Sie kann mich nicht sehen“, flüsterte Tara verwundert und drehte sich ziemlich verstört um, als jemand hinter ihr sagte: „Natürlich nicht. Was auch immer sie sieht – du bist es nicht.“

      Tara hatte gar nicht bemerkt, dass jemand durch die Tür an der gegenüberliegenden Seite ins Zimmer gekommen war.

      Eine Frau, so um die Vierzig, stand im Raum. Sie hatte halblanges dunkelblondes Haar, trug eine enge Jeans und ein bequemes Shirt und – sie lächelte Tara fröhlich an. Ja, genau. Diese Frau stellte sich anscheinend überhaupt nicht die Frage, woher dieses fremde Mädchen kam, das da völlig verdutzt im Zimmer stand, zerstrubbelt und nass geregnet. Nein, sie lächelte, kam auf Tara zu und umarmte sie herzlich.

      Und da war es wieder – das kleine Glück. Tara hatte plötzlich das Gefühl, dass sie diese Frau kannte. Verwirrt schloss sie für eine Sekunde die Augen.

      „Tara, wo warst du? Und wie siehst du aus? Geh doch ins Bad und zieh dich um. Wir wollen gleich essen.“ Tara zog die Augenbrauen nach oben. Wie bitte? Geh ins Bad und zieh dich um, wir wollen gleich essen? Doch Tara kam gar nicht dazu, der Frau irgendwelche Fragen zu stellen, denn die schob das Mädchen vor sich her, aus dem Zimmer heraus in den Raum direkt gegenüber – das Bad, wie sich heraus stellte. Zuerst war Tara nicht in der Lage, sich zu rühren. Stocksteif blieb sie auf der Stelle stehen, nachdem sich die Tür hinter ihr wieder geschlossen hatte.

      Alles erschien ihr so unwirklich. Sie sah sich um. Hier war alles so ... so sauber. Keine Spur von Dreck und Chaos. Tara ging zum Waschbecken und ließ ihre Finger versonnen über die blitzende Keramik wandern.

      Sie besah sich im Spiegel und strich ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht. Sie war immer noch Tara, bemerkte sie verwundert. Na sicher, warum denn auch nicht? Tara schüttelte den Kopf und sah sich weiter um.

      Auf einem Hocker lag ein Stapel frischer Klamotten, genau in Taras Größe, wie sie später bemerkte. Und ein kuschelig weiches Handtuch. Unter dem Spiegel standen auf einer schmalen Ablage aus Glas vier bunte Becher mit Zahnbürsten. Über den vier Handtuchhaken neben dem Waschbecken klebten kleine bunte Namensschilder – das Mädchen riss die Augen weit auf. In verschnörkelten Buchstaben stand dort neben JOSIA, FELIX und MARIE auch TARA.

      Tara kroch eine Gänsehaut über den Rücken. Sie spürte plötzlich, dass die kalte Nässe des Regens in jede Faser ihres Körpers gekrochen war. Doch sicher waren nicht nur ihre feuchten Klamotten schuld daran, dass sie fror. Trotzdem streifte sie schnell ihre Kleidung ab, stellte sich unter die Dusche und ließ sich mit geschlossenen Augen den angenehmen warmen Wasserstrahl auf die Haut prasseln. Ihr wurde nicht nur am ganzen Körper augenblicklich warm, sondern auch ums Herz.

      Und auf einmal fühlte es sich für Tara so an, als ob zwei Leben miteinander verschmolzen. Das alte, das sie vor der Hütte lebte und das neue, das sie in der Hütte lebte. Fast so, als wenn jemand das Wachs von zwei verschieden farbigen Kerzen in eine Form goss. Es entstand eine völlig neue Kerze, doch die Farben der beiden alten Kerzen waren noch immer zu erkennen, wenn auch sehr schwach.

      Nachdem