Merveille du monde - Das Geheimnis der zweiten Welt. Yvonne Tschipke

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Название Merveille du monde - Das Geheimnis der zweiten Welt
Автор произведения Yvonne Tschipke
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783738006094



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Während ihre Finger versonnen über die Buchrücken wanderten, streiften Taras Augen langsam die Poster von Musikern und Schauspielern, die sie von den Wänden anlächelten. Komisch – es waren dieselben, wie sie auch in ihrem Zimmer hingen. Ohne Frage – sie stand hier im Zimmer eines Mädchens.

      Auf dem Schreibtisch am Fenster flimmerte ein Computerbildschirm. Wieso lief der PC? War die Bewohnerin des Zimmers nur kurz weg gegangen? Was, wenn sie gleich zurückkommen und Tara hier vorfinden würde? Würde sie sich nicht fragen, was diese Fremde hier in dem Zimmer zu suchen hatte. Vielleicht sollte sie am besten schleunigst wieder verschwinden.

      Trotzdem hockte sich Tara auf den Fußboden und ließ ihre Finger gedankenverloren über den hellen flauschigen Teppich gleiten. Irgendwie fühlte sie sich hier wohl, warum auch immer das so war. Vielleicht lag es daran, dass es hier so gut duftete. Dass es so sauber war, so gemütlich.

      Langsam drehte sich Tara zu der Tür um, durch die sie in dieses Zimmer gekommen war. Nichts erinnerte mehr an den Minieingang der Hütte. Tara sah eine große gläserne Tür. Sie schlich auf Zehenspitzen – um keine unnötigen Geräusche zu machen – dorthin und starrte durch das Glas. Aber zu ihrem Erstaunen war da kein Tunnel. Alles, was sie sah, war der Wald, die Felsen, das stachlige Gebüsch. Und sie sah Nina, die mit entsetztem Gesicht suchend auf und ab lief. Blitzschnell drehte Tara sich wieder um. Aber es war noch immer da: das helle, große, gemütliche Zimmer. Langsam bewegte sie ihre rechte Hand zum linken Arm. Wie in Trance kniff Tara sich selbst. „Autsch!“ Nein, sie träumte nicht – ganz und gar nicht. Das hier war absolut wahr, wirklich echt. Wie auch immer das sein konnte.

      Aber – wer wohnte hier? Und wie war sie hier hergekommen? Durch die Tür der Hütte, das wusste sie. Aber wie, fragte sie, konnte das passieren? Ein Traum, das musste ein Traum sein.

      „Tara? Bist du oben?“ Plötzlich schallte eine Frauenstimme bis in das Zimmer. Das Mädchen erschrak. Wer war das? Und überhaupt – woher kannte die Frau ihren Namen? Blitzschnell drehte sich Tara um und ging wieder zum Eingang.Sie wollte gar nicht wissen, was passierte, wenn diese Frau sie hier vorfinden würde. Wahrscheinlich würde sie Tara für eine Einbrecherin halten. Noch ein letzter Blick in das große helle Zimmer, dann öffnete sie die Tür schob sich nach draußen, noch bevor die andere Tür geöffnet wurde und eine Frau ins Zimmer trat.

      Kapitel 6

      Tara stand wieder mitten im Wald bei den Drachenfelsen. Hinter ihr war die kleine alte Hütte. Es nieselte immer noch.

      Verwundert sah sie sich um. Komisch, dachte sie, auf ihrem Weg zurück war der Tunnel alles andere als hell. Je näher sie dem Wald gekommen war, umso dunkler wurde es um sie herum. Und je näher sie dem Wald gekommen war, umso dunkler wurde es auch wieder in ihr.

      Es hatte sich für Tara angefühlt, als wäre sie stundenlang unterwegs gewesen. Dabei waren wohl tatsächlich nur einige Sekunden vergangen.

      Tara schüttelte sich, fast so als könnte sie dabei all die wunderbaren und doch so seltsamen Eindrücke der kurzen vergangenen Zeit abschütteln. Und all die Angst, die Zweifel, die Trauer, die Wut. Ja, sie war traurig und wütend, weil all das nur ein wunderbarer Traum gewesen sein schien.

      „Tara?“ Plötzlich stand Nina neben ihr. „Wo warst du? Ich bin hier vielleicht fünfzehn Mal um die Hütte herum gerannt, aber du warst nirgends zu sehen. Warum hast du nicht geantwortet, als ich dich gerufen habe?“ Tara konnte an Ninas Tonfall hören, dass ihre Freundin ziemlich sauer war.

      „Ich ... ich war doch hier“, log Tara. Naja, es war ja nicht ganz gelogen. Obwohl sie es selbst noch gar nicht so richtig glauben konnte, dass sie tatsächlich weg gewesen sein musste.

      „Von wegen. Ich hab dich überall gesucht. Ich bin ein paar Mal um diese blöde Hütte gelaufen, aber du bist nirgends gewesenWarum hast du dich vor mir versteckt?“ Nina sah Tara mit ihrem besten Schmollmund an. „Ich denke mal, für`s Versteckspielen sind wir schon ein bisschen zu alt, oder?“

      Tara nickte nur. Was hätte sie denn sonst sagen sollen? Dass sie durch die Tür in die Hütte hinein gekommen war? Dass sie plötzlich wie durch ein Wunder in einem großen hellen Raum gestanden und eine Frau sie bei ihrem Namen gerufen hatte? Nina würde sofort einen Krankenwagen bestellen und Tara in die Klapsmühle bringen lassen.

      Tara war noch immer recht schweigsam, als die beiden Mädchen kurze Zeit später den Waldweg entlang zurück in die kleine Stadt liefen. Noch zweimal klingelte Ninas Handy. Noch zweimal strich sich Taras Freundin beim Telefonieren das glänzende blonde Haar hinter die Ohren. Und nicht zum ersten Mal in ihrem bisherigen Leben wünschte sich Tara, genauso hübsch auszusehen, wie ihre Freundin. Dann würden die anderen sie vielleicht auch mögen. Oder sie hätte vielleicht auch schon einen Freund. Jemanden, mit dem sie reden könnte, und lachen und ... jemanden außer Nina.

      Eigentlich ließ Tara diese Art Gedanken sonst nicht zu, doch heute dachte sie immer wieder darüber nach. Allerdings nur, um den anderen Gedanken aus ihrem Kopf zu spülen. Immer wieder schob sich die Hütte, das Licht, das eigenartige Rauschen und das gemütliche Zimmer hinter der Tür in ihren Kopf. Hatte sie geträumt? Oder war sie vielleicht tatsächlich verrückt geworden?

      Als Tara zuhause die Wohnungstür öffnete, schlug ihr eine dichte Mauer Zigarettenqualm und der Klang verwaschener lauter Stimmen entgegen. Leise zog sie die Tür hinter sich zu und schlich auf Zehenspitzen zu ihrem Zimmer.

      Sie hoffte, dass wie immer keiner gehört hatte, als sie gekommen war. Was sie jetzt in diesem Moment ganz und gar nicht gebrauchen konnte, waren die betrunkenen Bekannten ihrer Eltern, die ganz sicher nicht weniger benebelt waren als diese. Tara hasste es, wenn die Freunde ihrer Eltern sie vollquatschten und ihr dabei ihren alkoholgetränkten Atem ins Gesicht schleuderten. Deshalb verzog sie sich auch an diesem Abend lieber gleich in ihr Zimmer, trotz des starken Hungergefühls das ihr bereits Bauchschmerzen bescherte.

      Es klirrte. Tara blieb stocksteif vor Schreck auf der Stelle stehen. Sie hatte mit dem Fuß einige von den unzähligen Bierflaschen umgestoßen, die im Flur herum standen und darauf warteten, im Supermarkt in Pfandgeld umgetauscht zu werden. Gereizt verdrehte Tara die Augen. Konnten die ihre blöden leeren Flaschen nicht einfach mal woanders hin stellen? Genau das war einer der Gründe, weshalb sie Nina noch nie mit in die Wohnung genommen hatte. Überall stand dieses Zeug im Weg herum. Selbst wenn Tara hin und wieder versuchte, Ordnung in das Chaos zu bringen, es dauerte keinen Tag, bis es wieder genauso aussah, wie vorher.

      „Tara. Na, Kleine, wie geht es dir denn? Muss nur mal schnell auf`s Klo.“ Eine Frau kam aus der Küche in den Flur. Es war Bettina, eine Freundin ihrer Mutter. Tolle Freunde konnten die haben. Saßen den lieben langen Tag saufend und rauchend zusammen, anstatt ihnen mal die Meinung zu geigen, von wegen Verantwortung und so weiter. Denn dazu waren doch Freunde da? Oder nicht?

      Bettina kam auf Tara zu geschwankt und wollte sie umarmen. „Ach, lass mal lieber, Betti“, quetschte Tara zwischen den Zähnen hervor und schob sich an der Wand entlang bis zu ihrem Zimmer.

      „Ich war in der Hütte“, schrieb Tara nur einige Minuten später in ihr Tagebuch, nachdem sie die Tür ihres Zimmers von innen verschlossen hatte. „Aber es war echt krass, denn plötzlich war ich in einem wunderschönen Zimmer. Es war sauber, hell und duftete echt lecker.

      Doch etwas war seltsam: Eine Frau ist gekommen und hat mich gerufen - bei meinem Namen. Hallo? Woher wusste sie, dass ich Tara bin? Und überhaupt, woher wusste sie, dass ich dort bin?“

      Kapitel 7

      „Was? Du willst doch heute schon wieder in den Wald? Warum denn?“ Nina verzog angewidert das Gesicht. Klatschnass war sie am Vorabend nach Hause gekommen und musste sich eine Moralpredigt von ihrer Mutter anhören, weil sie sich mit der neuen Jacke im Wald herumgetrieben hatte. Das Kino mit Titus konnte sie vergessen.

      Tara tat so, als würde sie angestrengt nachdenken, dann antwortete sie: „Mal sehen: Vielleicht weil ich sonst nichts zu tun habe? Weil meine einzige Freundin Tag und Nacht am Knutschen und am Telefonieren ist?“