Merveille du monde - Das Geheimnis der zweiten Welt. Yvonne Tschipke

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Название Merveille du monde - Das Geheimnis der zweiten Welt
Автор произведения Yvonne Tschipke
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783738006094



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auf der anderen Seite eine kleine Tür mit einer geschwungenen Klinke aus blau-grünem Metall. Die war allerdings für Zwerge gemacht, überlegte Tara schmunzelnd.

      Denn obwohl sie nicht besonders groß für ihre 13 Jahre war, hätte sie wahrscheinlich nur hindurch gepasst, wenn sie auf allen Vieren gekrochen wäre. Vorausgesetzt, sie hätte die etwa einen halben Meter hohe Tür irgendwie öffnen können. Denn obwohl Tara an der Türklinke rüttelte und zog, blieb sie fest verschlossen.

      Dabei gab es seltsamerweise weder ein Vorhängeschloss, noch ein Schlüsselloch, in das man einen Schlüssel hätte stecken und die Tür aufschließen können. Als würde sich daran etwas ändern, wenn sie ein paar Mal um die Hütte herum lief, drehte Tara noch drei Runden und suchte dabei das alte Gebälk nach einem anderen Eingang ab. Aber immer, wenn sie wieder an der winzigen Zwergentür angekommen war und an der Klinke rüttelte, musste sie enttäuscht feststellen, dass sie sich nicht öffnen ließ.

      War das eine Jagdhütte? Wem gehörte sie? Was befand sich darin? Und wieso hatte Tara sie in den vergangenen zwei Jahren nicht gesehen? Oder bemerkt. Neu schien sie jedenfalls nicht zu sein, denn das Holz sah bereits ziemlich schäbig aus. Mit einem flüchtigen Blick zum Himmel beschloss Tara, nach Hause zu gehen. Es dämmerte schon. Die Sonne war mittlerweile hinter dem Wald untergegangen und die Nacht hatte damit begonnen, die Lücken zwischen den Sternen mit Dunkelheit auszufüllen.

      Tara musste sich beeilen – sie spazierte nur ungern im Dunkeln allein durch den Wald. Sie würde das Geheimnis der Hütte an diesem Tag sowieso nicht lösen können. Vorausgesetzt, es gab überhaupt eins. Aber morgen war ja auch noch ein Tag. Und ganz sicher würde die Hütte dann auch noch hier versteckt mitten im Gebüsch stehen. So, wie wahrscheinlich schon in all den vergangenen Jahren. Und wenn Tara, die fast jeden Tag hier war, sie nicht bemerkt hatte, dann würde sie auch in Zukunft niemand entdecken.

      Das Rauschen, das Tara begleitete, seit sie die Hütte erkundet hatte, wurde leiser je mehr sie sich von der Hütte und den Drachenfelsen entfernte. Bald war es ganz und gar verschwunden. Und die gewohnte Traurigkeit und Schwermut vertrieb das kleine Stück Geborgenheit aus ihrem Herzen, je weiter Tara den Wald hinter sich ließ.

      Sobald sie die ersten Häuser der kleinen Stadt erreicht hatte, wurden Taras Schritte langsamer. Die Laternen warfen ihr mattes Licht auf die Straße und gaben Tara so etwas wie Sicherheit. Sie war nicht ängstlich – nein, eigentlich wirklich nicht. Und doch hatte die Dunkelheit, die sich mittlerweile um sie herum ausgebreitet hatte, für Tara etwas Bedrohliches an sich. Hinter jedem Baum und jeder Ecke schienen Spukschatten zu lauern, die sich in die Seele und die Gedanken der Menschen fressen wollten, um ihnen Angst einzujagen.

      Kapitel 2

      In der kleinen Wohnung, die Taras Zuhause war, hatte sich Stille ausgebreitet.

      Alles schien zu schlafen. Dabei war es noch nicht einmal acht Uhr und in den Häusern ringsherum zog gerade das Familienleben ein.

      Aber es war nicht die Art Stille, die einen ruhig stimmte. Nicht die Art Stille, die man suchte nach einem langen, hektischen Tag. Es war keine gemütliche Stille, die zum Entspannen und Verweilen einlud. Sie glich eher der Ruhe vor dem Sturm – einem Moment, in dem man mit bangem Herzen das erwartete, was bald darauf folgen könnte.

      Tara ging auf direktem Weg in die Küche. Ihr war die ganze Zeit über noch nicht aufgefallen, dass sie Hunger hatte, doch jetzt machte sich ihr Bauch mit einem lauten Knurren bemerkbar.

      Die kleine gelbe Lampe beleuchtete matt die übersichtliche Leere, die im Inneren des Kühlschrankes herrschte. Tara seufzte und schmierte sich ein Butterbrot – mehr war nicht da, abgesehen von der halb vollen Flasche Wodka, die auf einem der Gitter lag.

      Kauend ging sie hinüber ins Wohnzimmer.

      Der Fernseher lief. Tara riskierte einen kurzen Blick auf den flimmernden Bildschirm. Es kam eine von diesen Serien. Lauter schöne, reiche Menschen, die den ganzen Tag anscheinend nichts Besseres zu tun hatten, als sich gegenseitig ihre Probleme und Liebesgeschichten um die Ohren zu werfen. Die mussten nicht zur Schule, nicht zur Arbeit und höchstwahrscheinlich noch nicht einmal auf`s Klo. Es nervte Tara gewaltig, wenn die Mädchen in ihrer Klasse an jedem Morgen in kleinen Grüppchen zusammen standen und die Episode des Vorabends auswerteten – wer mit wem, wieso, weshalb, warum und so weiter. Das war nicht Taras Ding. So war das Leben einfach nicht – nirgends. Das Leben war ganz anders.

      Tara blickte sich um.

      Das war das Leben – oder besser gesagt: d a s war i h r Leben.

      Vor dem Bildschirm – in einem schäbigen Sessel - schnarchte ein Mann. Der Kopf hing ihm auf dem Brustkorb. Taras Vater war mal wieder im Sitzen eingepennt. Jedes Mal dasselbe.

      Sie musterte ihn mit einem angewiderten Blick. Ganz besonders sein Feinripp – Unterhemd. Das war vor Urzeiten mal weiß – vermutlich.

      Taras braune Augen wanderten durch das unaufgeräumte Zimmer mit den abgewrackten Möbeln und blieben auf der krümeligen Tischplatte hängen, wo sich Zeitungen neben leeren klebrigen Gläsern und dem übervollen Aschenbecher stapelten.

      Ja, so war das Leben – ihr Leben – und sie hasste es.

      Leise seufzend drehte sich Tara um und verschwand in ihrem Zimmer.

      Hier war ihr kleines Reich – ihre Insel mitten im Chaos.

      Bis vor drei Monaten hatte sie das Zimmer mit ihrer älteren Schwester teilen müssen. Irgendwie war es immer viel zu eng. Zwei Teenager brauchten eben Platz – ganz besonders Lena, die ihre Klamotten ständig über das ganze Zimmer verteilte. Aber wenigstens war immer jemand da – ganz egal ob zum Reden oder zum Streiten.

      Jetzt wohnte Lena bei Ricky, ihrem brandneuen Freund, und um Tara herum war es still. Zu still, fand sie, denn nichts fürchtete das Mädchen mehr, als die Ruhe der Einsamkeit. Sie fühlte sich klein und bedeutungslos. Und in ihrem Herzen wohnte Angst. Dabei wusste sie selbst nicht, weshalb das so war. Draußen im Wald – da liebte sie die Einsamkeit. Aber gleichzeitig sehnte sie sich auch nach jemandem, der hier in der Wohnung auf sie wartete und dem sie davon erzählen konnte, was sie den Tag über erlebt hatte. Sie sehnte sich nach jemandem, dem sie von ihren Ängsten erzählen konnte. Tara sehnte sich nach jemandem, der stolz auf sie war, wenn sie was Tolles erreicht hatte. Und auf den sie stolz sein konnte. Ja, Tara sehnte sich so sehr danach, dass es in ihr drin richtig schmerzte. Und es tat auch weh, wenn die anderen in der Klasse sie mieden. Wenn sie einen Bogen um sie machten und heimlich – oder auch nicht ganz so heimlich – hinter ihrem Rücken tuschelten und lachten.

      Endlich beachtet, endlich wahrgenommen werden, endlich dazu gehören – Tara konnte sich schon nicht mehr entsinnen, seit wann sich dieser Wunsch in ihrem Herzen festgesetzt hatte. Interessant für andere zu sein, nicht durch das, was sie hatte, sondern einfach dadurch, w e r sie war – dieser Gedanke erfüllte ihren Körper mit einem prickelnden warmen Gefühl. Nachts, wenn sie mal wieder nicht einschlafen konnte, dann stellte sie sich vor, jemand ganz anderes zu sein. In ihren Gedanken bastelte sie sich ein Leben, in dem sie glücklich sein konnte. In dem sie beliebt war. Ein Leben, in dem sie als Regisseur bestimmen konnte, was als nächstes passieren würde.

      Doch leider war es ganz anders. Scheinbar war nach wie vor Nina der einzige Mensch in ihrer Nähe, der sich wirklich für sie interessierte. Jemand, der die Frage „Wie geht es dir?“ nicht einfach so dahin sagte, sondern ernst meinte. Jemand, der auch wirklich eine ehrliche Antwort darauf erwartete.

      Menschen stellen diese kleine Frage tagtäglich viele Male. Oft mit einem Lächeln im Gesicht – ob aufrichtig oder aufgesetzt, wer weiß das schon. Doch wenn ihr Gegenüber zur Antwort ansetzt, sind sie mit ihren Gedanken schon längst weiter gezogen.

      Keiner will wirklich hören, wie es dem anderen geht. Keiner will etwas von Schmerzen, ganz gleich ob körperlich oder seelisch, erfahren. Niemand will seinen Kopf und schon gar nicht sein Herz mit Problemen des Anderen belasten. Anscheinend genügte ein „Danke, gut“ als Antwort in den allermeisten Fällen, um das Gewissen des Fragestellers zu beruhigen.

      Tara hatte das