Hatschepsut. Der goldene Falke. Birgit Fiolka

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Название Hatschepsut. Der goldene Falke
Автор произведения Birgit Fiolka
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742704467



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es, in der Nähe meines Enkels zu bleiben und darüber zu wachen, dass er alt genug wird, um Krummstab und Geißel aus ihren Händen zu reißen.“

      Sary spie auf den Boden und verfluchte die Königswitwe. Möge das Gift von tausend Skorpionen dein elendes Herz stillstehen lassen! Sie wollte auf etwas warten, das niemals geschehen würde! Es würde nie dazu kommen, dass der verweichlichte Knabe allein regierte ... nicht, wenn er auf ein Wunder der Götter wartete, wie Mutnofret. Deshalb war er in dieser Nacht gekommen, denn es gab noch etwas zu tun, bevor er Theben den Rücken kehrte.

      Sary achtete darauf, niemandem zu begegnen, als er den Weg zu den Unterkünften der Truppenführer einschlug. Er wusste, dass der junge Thutmosis hier war. Hatschepsut hatte den Knaben vor zwei Mondumläufen in die Obhut des Kommandierenden gegeben, damit er eine militärische Erziehung erhielt. „Es wird Amun gefallen, und es ist Zeit, dass der junge Horus seine Schwingen ausbreitet. Thutmosis soll seine Pflichten erfüllen, wie es meine Tochter Nofrure als Gottesgemahlin des Amun längst tut“, hatte sie im Audienzsaal, sehr zum Schrecken des dicklichen Knaben und des dürren Mädchens, das seine Milchschwester war, verkündet. Das Mädchen hatte geflennt wie eine dumme Fellachentochter, als sie Thutmosis fortgebracht hatten und die Unterlippe des Knaben hatte gezittert. Es hätte nicht viel gefehlt und er wäre in das weibische Gejammere seiner Milchschwester eingefallen.

      Mit zusammengepressten Lippen dachte Sary an den Vater des Jungen ... den umnachteten Schwächling, der sich kaum vier Nilschwemmen auf dem Thron hatte halten können. Sie waren sich so ähnlich – der Vater und der Sohn! Auch er hatte eine militärische Ausbildung erhalten ... doch was hatte es genutzt?

      Sary ballte die Hände zu Fäusten. Noch bevor Mutnofret ihn fortgeschickt hatte, war seine Entscheidung gefallen. Wenn es niemand tat, würde er vorsorgen, dass es dieses Mal anders käme. Wer, wenn nicht er wusste besser, dass Angst den Charakter eines Jungen formen konnte!

      Sary presste sein verbliebenes Auge zu und atmete tief durch. Der Schmerz in seinem Kopf war mittlerweile unerträglich. Dann ging er langsam auf das letzte Haus zu, vor dem zwei müde Wachen saßen und darauf warteten, dass die Nacht vorüberging. Als sie ihn entdeckten, sprangen sie auf und verbeugten sich. „Ausbilder Sary! Gesundheit, Leben und Wohlergehen.“

      Sary achtete kaum auf ihre Worte und schob sich stattdessen an den beiden vorbei ins Haus. „Ich muss zum jungen Thutmosis.“

      Die beiden Männer versuchten halbherzig, ihn aufzuhalten, da sie nicht wagten, sich ihm in den Weg zu stellen. „Es ist spät, Herr. Die achte Stunde der Nachtfahrt. Der Einzig Eine schläft bereits.“

      Sary stieß den Ersten grob zur Seite und zog sein Schwert aus der Scheide. Der Schmerz in seinem Kopf machte ihn rasend vor Wut ... er hatte das Gefühl, den Dorn einer Streitkeule im Schädel stecken zu haben. Einen kurzen Augenblick meinte er, wieder im Goldland zu sein und in das schwarze Gesicht eines Kermasohnes zu starren. Sary fuhr herum und drängte den zweiten Mann an die Wand. Mit einer einzigen Bewegung zog er sein Kurzschwert aus der Scheide und richtete die Schwertspitze auf die Kehle des elenden Kermasohnes. Er war bereit, ihn aufzuschlitzen ... Ihr elenden Söhne von Schweinen habt meinen Bruder in eine ewige Verdammnis geschickt ...

      „Herr, beim großen Month! Bitte töte mich nicht!“, rief ihm der Mann in ordentlicher thebaner Mundart zu, und Sary kniff sein Auge zusammen. Als er es öffnete, waren die Kermasöhne verschwunden. Stattdessen blickte er in die entsetzten Gesichter der beiden ägyptischen Wachsoldaten.

      Sary nahm sein Schwert von der Kehle des einen und schob es zurück in die Scheide. Er wusste, dass die Männer ihn fürchteten, seit sie ihn damals vom Truppenübungsplatz geschleift und Unesch seinen Schädel geöffnet hatte. Nicht wenige der Soldaten glaubten, dass in seinem Herzen noch immer Dämonen wohnten, und dass der Ach seines toten Bruders Sary folgte. „Er hat sie aus dem Goldland mitgebracht ... die Dämonen und den wütenden Ach Amenis!“, erzählten sie sich hinter seinem Rücken. Wie Recht sie hatten!

      „Bei den Pforten der Unterwelt! Ich werde jetzt zum jungen Thutmosis gehen. Und ihr werdet darüber schweigen ... ebenso, wie der Knabe es tun wird!“

      Die Männer nickten fast gleichzeitig und starrten in sein Auge. Fast meinte Sary, ihren Schweiß riechen zu können. Sie fürchteten ihn tatsächlich mehr als den roten Seth. Sary ließ die beiden stehen und setzte seinen Weg fort.

      Er betrat den Raum, in dem der junge Thutmosis schlief, und starrte eine Weile auf den schlafenden Knaben. Selbst hier brauchte er nicht auf seine königlichen Vergünstigungen zu verzichten. Neben dem Bett stand ein Sklavenjunge und wedelte dem schlafenden Horus unermüdlich mit einem Straußenwedelfächer Luft zu. Der Raum war mit Tischen, Stühlen, Truhen und allerlei Dingen eingerichtet, die dem jungen Falken Vergnügen bereiteten. Sary entdeckte einen Senet-Spieltisch, auf dem die Figuren einer unvollendeten Partie standen. Mit einer unwirschen Handbewegung gab er dem unermüdlich fächelnden Sklaven ein Zeichen, dass er verschwinden sollte. Der Junge ließ sich nicht zweimal bitten und rannte mitsamt dem Wedelfächer aus dem Raum.

      In seiner Erinnerung vernahm Sary die Stimme der Königswitwe Mutnofret. Es ist Maat, dass er Horus ist! Sary trat an das Bett heran, dessen Fußbrett in Form von Isis Schwingen den Schlaf des Knaben bewachen sollte. Die Wangen des Jungen wirkten im Schlaf prall und seine Lippen hatte er zu einem Schmollmund verzogen. Ein goldenes Schweinchen ... Thutmosis zählte elf Nilschwemmen und wurde bereits seit zwei Mondumläufen zum Soldaten erzogen, doch er war immer noch feist und rundlich.

      Als er und Ameni seinerzeit in den Dienst des Heeres getreten waren, hatten sie innerhalb von nur einem Mondumlauf alles Fett an ihrem Körper verloren und dafür Muskeln wie Granitstein bekommen. Der Drill war hart und manchmal grausam gewesen. Doch er hatte sie zu Männern gemacht! Sary ahnte, dass der Kommandierende der Leibwachen es nicht wagte, den Knaben gegen seinen Willen einem harten Drill auszusetzen.

      Er beugte sich über den Schlafenden – dann packte er unvermittelt den Hals des Jungen. Thutmosis erwachte und begann mit Armen und Beinen zu strampeln. Sary drückte fester zu, gerade so fest, wie es ging, ohne den Kehlkopf des Jungen zu zerquetschen. Thutmosis Augen traten aus den Höhlen, seine Zunge schnellte hervor, aus seinem Mund kamen erstickte Laute. Ein lustvoller Schauer lief beim Anblick des zappelnden Jungen durch Sarys Körper. Er erinnerte sich an jene Nacht in Memphis, als er einer Hure das Leben aus dem elenden Leib gepresst hatte ... ein gutes Gefühl!

      Ruckartig ließ Sary die Kehle des Jungen los. Er durfte nicht töten ... nicht heute Nacht ... nicht ihn! „Hör mir zu ...“, flüsterte er stattdessen und hielt seinen glühenden Blick auf Thutmosis gerichtet, der zitternd und stumm vor Entsetzen in seinem Bett lag und ihn aus aufgerissenen Augen anstarrte. „Du bist ein Schwächling, wie es dein Vater war! Ihr bist du lästig, denn längst trägt sie die Kronen Kemets und hat nicht vor, sie wieder abzulegen. Kemet braucht keinen zweiten Horus, schon gar keinen fetten nutzlosen Knaben.“ Er machte eine lange Pause ... der Junge begann leise zu wimmern. Sary schlug ihn mit der flachen Hand ins Gesicht. „Hör auf zu jammern, Sohn eines Schwächlings!“, zischte er und kümmerte sich nicht darum, dass Speicheltropfen auf das Gesicht des Knaben fielen. „Wenn ich aus Punt zurückkehre und noch immer einen Schwächling vorfinde – sei gewiss! Ich werde dich schlachten, wie ich einst deine Amme und die beiden Zwerge geschlachtet habe ... in jener Nacht, in der ich auch dich hätte töten sollen!“

      Noch immer starrte der Junge mit zitternden Lippen in sein Gesicht. Sary wusste nicht, ob er sich an jene Nacht erinnerte, als seine kuhäugige Mutter mit ihm nach Memphis hatte fliehen wollen. Er war sehr jung gewesen. Doch tief im Herzen des Jungen musste eine Erinnerung vergraben sein, denn wann immer er Sary erblickte, begann er am ganzen Leib zu zittern. Sary beeindruckte die Furcht des Jungen nicht, noch regte sich Mitleid in ihm. „Niemand wird dich beschützen, junger Horus! Hatschepsut duldet dich, solange du noch ein Kind bist. Deine einfältige Mutter lebt fern von Theben auf einem Landgut, und deine Großmutter ist eine alte Frau, deren Macht versiegt ist.“ Sary stand auf und legte die Hand auf sein Schwert. „Du bist ganz allein ... doch wenn du stark genug wärest, dann könntest du dir vielleicht zurückholen, was dir gehört ... was Sie dir fortgenommen hat.“ Er wusste, dass der Knabe ihm trotz seiner Angst zuhörte. „Entweder