Hatschepsut. Der goldene Falke. Birgit Fiolka

Читать онлайн.
Название Hatschepsut. Der goldene Falke
Автор произведения Birgit Fiolka
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742704467



Скачать книгу

für Ipu verantwortlich, die nicht aufhören wollte, um ihn zu trauern.

      Ihre Füße fanden von selbst den Weg zu dem Flügel, in dem der junge Thutmosis lebte, wenn er sich im Palast aufhielt. Ipu bewohnte als seine Amme noch immer Räume im gleichen Flügel. Obwohl Thutmosis nicht hier war, eilte seine Dienerschaft jeden Tag hin und her, wechselte welke Blumen gegen frische aus und sorgte dafür, dass der junge Falke, wann immer er heimkehrte, seine Räume bewohnbar vorfand.

      Hatschepsut ging bis ans Ende des langen Ganges, an dem die Räume der königlichen Amme lagen. Der Wachhabende verbeugte sich tief und öffnete ihr die Tür zu Ipus Räumen. Nur kurz sah sie sich um. So nachlässig, wie Ipu an sich selbst geworden war, so sahen auch ihre Räume aus. Über einem Stuhl lag ein zerknittertes Gewand, das die Dienerin noch nicht zum Waschen abgeholt hatte, auf einem Tisch standen benutzte Weinkelche und klebriges Süßgebäck, an dem sich einige Bienen und sogar Fliegen tummelten. Hatschepsut rümpfte die Nase. Sie musste Ipu ins Gewissen reden, damit sie sich endlich zusammenriss. Ahmose-Pennechbet war zu den Göttern gegangen, doch Ipu hatte noch immer ein königliches Amt und eine leibliche Tochter.

      Als Hatschepsut mit einem Tadel auf den Lippen die Tür zu Ipus Wohnbereich öffnete, runzelte sie irritiert die Stirn.

      Ipu und Mutnofret erhoben sich fast gleichzeitig von ihren Stühlen und deuteten eine Verbeugung an. „Gesundheit, Leben und Wohlergehen, Pharao“, murmelten sie die übliche Grußformel. Ein kalter Klumpen stieg in Hatschepsuts Herz. Obwohl sie nicht sagen konnte weshalb, bereitete es ihr Unbehagen, Mutnofret und Ipu so einträchtig zusammen zu sehen.

      „Ich habe der edlen Dame Ipu einen Besuch abgestattet, um nach dem Befinden meines Enkels, des Falken, zu fragen“, erklärte Mutnofret schnell. „Als ich ihn besuchen wollte, wurde ich vom Kommandanten der Truppen abgewiesen.“

      Es hatte wie immer kein Vorwurf in der Stimme Mutnofrets gelegen. Sie war so gerissen und schlau, wie Isis, die Mutter des Knaben, plump und einfältig war. Obwohl Mutnofret krank war und unter Gebrechen des Alters litt, hätte sie ihre Schwäche niemals offen gezeigt.

      „Ich selbst habe jeglichen Besuch untersagt“, erklärte Hatschepsut kühl, während sie sich an den Tag erinnerte, als ihr eigener Bruder vom Truppenübungsplatz geflohen war und von seinem Vater gefordert hatte, dass er gemäß seines göttlichen Blutes eine bessere Behandlung bekam, als die anderen Soldaten. „Ich will nicht, dass Thutmosis Ausbildung gestört wird ... von niemandem! Du hast deinen Enkel zu sehr verwöhnt, Mutnofret. Thutmosis ist zu weich ... genau, wie sein Vater es war.“

      Nur kurz funkelten die Augen der Königswitwe in einem Anflug von Zorn, dann lächelte sie. „Wie weise du bist, Horus.“

      Hatschepsut lächelte spöttisch. „Und wie gut du deine Hinterhältigkeit noch immer zu verbergen verstehst, Mutnofret. Du bist nur hier am Hof, weil es nicht Maat wäre, dich fortzuschicken, nachdem der Vater meines Neffen zu den Göttern gegangen ist und seine Mutter verbannt wurde. Doch sieh dich vor ...“. Sie wandte sich an Ipu, die mit gesenktem Kopf dastand und so tat, als beträfe sie dieses Gespräch nicht. „Und sieh auch du dich vor, Ipu. Es ist gefährlich, Freundschaft zu einer Schlange zu pflegen.“

      Ipu hob ihren Kopf und starrte Hatschepsut aus weit geöffneten Augen an. Das Fett an ihrem Doppelkinn bebte, während sie alle Anschuldigungen von sich wies. „Wie kannst du das sagen? Zu mir, die ich einst deine engste Vertraute war!“

      „Ich weiß, was du warst ... und ich weiß, was du bist. Nur weil du meine engste Vertraute warst, will ich nachsichtig sein. Ich bin die Tochter Amuns ... ich bin Horus! Vergiss es nicht, Ipu. Ich sehe in die Herzen der Menschen. In deinem erkenne ich Verrat!“

      Mutnofret verbeugte sich tief. „Ich sehe, mein Besuch hat die edle Dame Ipu in Schwierigkeiten gebracht. Das wollte ich nicht, deshalb bitte ich, mich zurückziehen zu dürfen.“

      Hatschepsut gab ihr einen Wink, und Mutnofret glitt fast lautlos aus dem Raum. Wie eine Schlange, die ihr Gift verspritzt hat und heimlich durch einen Spalt in der Wand verschwindet ... Sie wandte sich wieder Ipu zu. „Ich weiß, dass du mir zürnst, Ipu, doch ich weiß nicht weshalb. Deine Wahl hast du selbst getroffen ... der Tod deines Gatten war ein Unglück. Anubis kam in der Nacht und ließ sein Herz stillstehen.“

      Bei der Erwähnung Ahmose-Pennechbets presste Ipu die Lippen zusammen. Als sie sprach, war es kaum mehr als ein Flüstern. „Mein Gemahl starb an gebrochenem Herzen.“

      „Auch er traf seine Wahl, als er sich dazu entschied, Nofrure gegen meinen Willen nach Karnak zu bringen.“ Hatschepsut ahnte, dass es vor allem Selbstmitleid war, das Ipu plagte. Schon früher war sie viel zu bequem und eitel gewesen, als dass sie tiefer gehende Zuneigung zu jemand anderem als sich selbst hätte empfinden können. „Denke an Satjah, deine und Ahmose-Pennechbets Tochter, und ihre Zukunft, wenn du das nächste Mal Ränke schmiedest.“

      Ehe Ipu noch etwas hätte entgegnen können, wandte Hatschepsut sich um und verließ ihre Gemächer. Obwohl sie um Ipus Treulosigkeit wusste, traf sie der Verrat ihrer ehemaligen Freundin und Dienerin tiefer in ihrem Herzen, als sie es für möglich gehalten hatte. Werde ich denn immer Feinde haben ... werde ich stets in die dunklen Ecken des Palastes schauen müssen, um zu verhindern, dass sie wie Schakale über mich herfallen? Hatschepsut atmete tief durch und rief nach einem Boten. Hui! Sie brauchte nun Hui, ihren Ka und ihre einzige Vertraute. Ohne ihren Ka fühlte Hatschepsut sich angreifbar und verletzlich, als wäre sie keine Gottestochter, sondern nur eine Frau, die von ihren Feinden umgeben war.

      Senenmut senkte den Kopf, als er durch den zweiten Eingangspylon der Tempelanlage von Karnak trat. Immer, wenn er Hapuseneb einen Besuch abstattete, hatte er das unbestimmte Gefühl, die Priester könnten die Zweifel in seinem Gesicht lesen ... oder schlimmer ... die Götter könnten es! Dies war einer der Gründe, weshalb er Hapuseneb lieber in seinem thebaner Haushalt besuchte, statt im riesigen Tempelbezirk des Amun-Re.

      Senenmut wandte seinen Blick zum Himmel. Re war im Begriff, von Nut verschlungen zu werden. Der Oberste Prophet würde im Allerheiligsten die magischen Stundengebete vollziehen, damit der Gott seine Reise durch die Unterwelt unbeschadet überstand.

      Er beschloss, Nofrure und Meritre einen Besuch abzustatten, bevor er Hapuseneb in seinen Amtsräumen aufsuchte. Sein Amt als Erzieher der Kronprinzessin nahm er ernst und wachte über Nofrure, wie er über seine eigene Tochter gewacht hätte, wenn er denn eine Tochter gehabt hätte; die Wahrheit war, dass Nofrure für Senenmuts Herz längst zu der Tochter geworden war, die er niemals haben würde.

      Nofrure und Meritre bewohnten nicht wie die anderen Tempelschüler und niederen Priesterstände eine kleine Zelle in der Nähe der Dienstbotenunterkünfte, sondern führten aufgrund von Nofrures Amt als Gottesgemahlin des Amun einen eigenen Haushalt. Ihre Räume lagen nicht weit von denen des Obersten Propheten des Amun entfernt, in einem ruhigen Teil des Tempelbezirks, an den auch die Räume der Henutet Priesterinnen angrenzten, die der Gottesgemahlin direkt unterstellt waren und sie bei ihren Amtshandlungen begleiteten und unterstützten. Eine Tochter Hapusenebs gehörte ebenfalls zu Nofrures Gefolge, wie Senenmut wusste.

      Nofrures Leibdienerin, die mit einem Korb nasser Leinentücher aus dem Haus trat, lächelte Senenmut freundlich zu und verbeugte sich tief. „Gesundheit, Leben und Wohlergehen, edler Herr Senenmut. Die Gottesgemahlin Nofrure hat soeben ihr Bad beendet. Ich werde ihr deinen Besuch melden. Meine Herrin wird sich sehr freuen.“

      Senenmut bedankte sich bei der jungen Dienerin und wartete. Die Wachsoldaten nahmen keinerlei Notiz von ihm, starrten nur stur geradeaus. Doch ihm war klar, dass die vermeintlich leblosen Statuen zum Leben erwachen würden, sobald jemand versuchte, sich gewaltsam Zutritt zum Haushalt der Gottesgemahlin und Erbprinzessin zu verschaffen. Senenmut hatte die Soldaten auf Hatschepsuts Geheiß hin selbst ausgewählt.

      Kurz darauf erschien Nofrures Dienerin und bat Senenmut, ihr zu folgen.

      Nofrure und Meritre saßen sich gegenüber, einen Senet-Spieltisch zwischen sich. Nofrure hatte die Stirn gerunzelt und kraulte eine dösende Katze hinter den Ohren, die auf ihrem Schoß lag, während Meritre zufrieden aussah. Sie hatte die Partie schon beinahe gewonnen. Als Senenmut die