Hatschepsut. Der goldene Falke. Birgit Fiolka

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Название Hatschepsut. Der goldene Falke
Автор произведения Birgit Fiolka
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742704467



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hätte das besser gewusst. In seinem verbliebenen Auge loderte das Feuer des Hasses, während er auf die flimmernde Luft starrte, die sich über dem heißen Sand des Westufers erhob. Der Name des Festes, das in diesen Tagen gefeiert wurde – das Schöne Fest vom Wüstental – war Hohn im Angesicht der brütenden Schemu-Hitze, die sich über der Wüste staute.

      Von Weitem vernahm Sary die Flöten, Sistren und Gesänge der Priester, die Amun in seinem Schrein zum Djeser Djeseru trugen, dem fast vollendeten Millionenjahrtempel Pharao Hatschepsut Maatkares. Wie ein Lied aus Trauer und nie endender Schuld schienen die Festgesänge Sary bis ins unwirkliche Land des roten Seth zu verfolgen.

      Sein verkrustetes Herz begann sich in seinem Brustkorb zu regen. Sie ... die goldene Hure, hatte das Djeser Djeseru von ihrem Günstling Senenmut erbauen lassen ... einen Ort, an dem man ihrer gedenken sollte ... der von ihren großen Taten erzählte – jenen Taten, die sie noch zu vollbringen gedachte. Die elende Hure säugt sich am goldenen Euter der Hathor fett und rund, enthält jedoch die Milch der Himmelskuh dem wahren Herrscher Ägyptens vor. So dachte Mutnofret, die Witwe des zu Osiris gegangenen Pharao ... und so dachten Viele im Geheimen. Sary kannte nur Wenige von ihnen ... Ipu, die Witwe des zu Osiris gegangenen Ahmose-Pennechbet, die einst Hatschepsuts Dienerin und Vertraute gewesen war. Doch leider gab es auch jene, die Hatschepsut umschwärmten wie die Fliegen einen Haufen Rinderscheiße und von ihr mit Gold, Ämtern und bösen Zaubern blind gegen die Maat gemacht wurden.

      Sary hatte es geahnt, als er Senenmut damals in der Tempelanlage von Karnak in die Augen gesehen ... und jenen verlorenen Ausdruck dort entdeckt hatte, den auch Amenis Augen gehabt hatten. Er hatte den Vorsteher der Kornspeicher vor ihr gewarnt ... vor ihren Lügen, ihrem Gift – jenem Gift, das auch Ameni zum Verhängnis geworden war. Doch Senenmut war längst dem Zauber der Gottestochter verfallen gewesen, ebenso wie die anderen Speichellecker, die Hatschepsut letztendlich auf den Thron der beiden Länder gehoben und ihren Verrat mit Gold und Lügen versüßt hatten.

      Doch Hatschepsut Maatkare war in den folgenden Nilschwemmen noch weiter gegangen – sie zählte die Zeit der Herrschaft ihres Neffen Thutmosis zu ihren eigenen Regierungsjahren ... tatsächlich waren erst fünf Nilschwemmen vergangen, seit sie nach den beiden Kronen gegriffen hatte, doch gezählt wurde bereits das achte Jahr ihrer Herrschaft.

      Sary spie in den heißen Sand und stieß einen Fluch aus. Sie würde stürzen, wie sie emporgestiegen war ... dieses verdorrte Herz in seinem Brustkorb würde nicht aufhören zu schlagen, bevor die Goldene Hure vor seinen Füßen im Dreck lag!

      Re war im Begriff, von Nut verschlungen zu werden. Bald würden die vielen Menschen, welche der Festprozession zum Djeser Djeseru gefolgt waren, Fackeln entzünden und wie Fliegen in die westliche Wüste ausschwärmen, um die Gräber ihrer Familien und Freunde zu besuchen, Opfer darzubringen und mit den Toten zu speisen. Sary scheute die Menschen seit Unesch, der Sohn eines Schweines, ihm den Schädel geöffnet hatte. Und wie er die Menschen mied, so mieden sie ihn. Sie starrten ihn an, sobald er vorüberging – sie starrten auf das blank polierte Stück seines Schädels, das er an einer Kette um seinen Hals trug ... und sie starrten auf die haarlose Stelle auf seinem Kopf und in sein verbliebenes Auge. Einige von ihnen machten das Zeichen gegen den bösen Blick, wenn sie ihm begegneten. Sary wusste, die Menschen sahen den Hass in seinem brennenden Blick, und sie fürchteten ihn wie den glutäugigen Seth. Sollten sie es – sie hatten Grund dazu!

      Nut spannte bereits ihren Sternenkörper über der Wüste aus, als Sary die kleine Kapelle erreichte, welche über dem Grab seines Bruders errichtet worden war. Wie in jeder Nilschwemme um diese Zeit wollte er allein mit Ameni sein, seinem zornigen Ach Speise und Trankopfer darbringen und den Schwur erneuern ... seinen Schwur auf Rache und Vergeltung.

      Sary betrat die Kapelle, in der es so heiß und stickig war, dass er kaum atmen konnte. Staub und Sand wirbelten auf, da niemand außer ihm diesen Ort besuchte ... auch Amenis Geliebte nicht, die längst in den Armen eines anderen lag. Der zerschundene Leib Amenis ruhte tief unter dem Boden der Kapelle in seiner kühlen Grabkammer mit Leinenbinden umwickelt in einem Sarkophag aus Zedernholz – Hatschepsut hatte keine Kosten für die Grablegung ihres Geliebten gescheut ... und ihn dann für immer vergessen.

      Mit vor Zorn zitternden Händen entzündete Sary eine Wandfackel und betrachtete eine Weile die Licht-und Schattenspiele auf den Lehmziegelwänden. Dann öffnete er das Wachssiegel des mitgebrachten Weinkruges und wickelte das Brot aus dem Leinentuch.

      Was nutzte seinem Bruder die beste Grablegung, wenn er ohne Augen, Zunge, Lippen und Nase durch die jenseitige Welt irren musste? Sary ließ sich mit untergeschlagenen Beinen auf dem gestampften Boden nieder und betrachtete die gegenüberliegende Wand ... jene Wand, vor der Amenis Ach stand und ihn stumm aus leeren Augenhöhlen anstarrte.

      „Ich habe mein Versprechen nicht vergessen, Bruder“, flüstere Sary, während er die Hälfte des Weines auf dem Boden vergoss und dann den Krug an seinen Mund setzte, um selbst einen großen Schluck zu nehmen. „Wir müssen warten, bis der Knabe alt genug ist ... das goldene Schweinchen mag ein ebenso schwacher Herrscher werden, wie sein Vater es war, doch er ist der Falke, und es ist Maat, dass er die Kronen trägt.“

      Amenis Ach regte sich nicht, er stand nur da und starrte ihn an ... das tat er, seit er ihm das erste Mal erschienen war. Sary wusste, es würde nicht verschwinden, bevor er seine Schuld nicht gesühnt hatte. Anfangs hatte er sich vor dem Ach seines Bruders gefürchtet, doch längst war der Anblick ihm vertraut geworden. Ameni war bei ihm ... immer ... an jedem einzelnen Tag seines verfluchten irdischen Lebens.

      Von draußen drangen Stimmen in die Kapelle ... die Festprozession hatte sich aufgelöst, und die Menschen liefen singend durch die westliche Wüste, die in den Tagen des Schönen Fests vom Wüstental fast so belebt wie Theben selbst war. In den Tagen des Talfestes kam man nicht hierher, um die Toten zu betrauern, sondern um ihrer zu gedenken und im Kreise der Familie mit ihnen zu speisen.

      Sary trank den letzten Rest Wein und spürte, wie sein Kopf unter der goldenen Schädelplatte, die Unesch ihm anstelle des ausgemeißelten Knochens eingesetzt hatte, zu hämmern begann. Bohrende Schmerzen waren das zweifelhafte Geschenk, welches Unesch ihm mit der Öffnung seines Schädels bereitet hatte. Hatschepsut hatte den ehemaligen Leibarzt des verstorbenen Falken bestrafen lassen – mit Stockhieben und dem Verbot, weiter als Sunu und Wab-Sachmet tätig zu sein. Es war eine lächerliche Strafe für die Qualen und Entstellungen, mit denen Sary leben musste.

      Er schloss sein Auge und versuchte ruhig zu atmen. Sary konnte ihn nicht ertragen ... den Gedanken an Sie, die in diesem Augenblick über die Terrassen ihres Djeser Djeseru schritt, den Zeremonienbart an ihrem Kinn, Krummstab und Geißel in den Händen haltend, die Doppelkrone auf ihrem Kopf ... Ihr Götter, das könnt ihr nicht gewollt haben! Gepresst flüsterte Sary dem wartenden Ach seines toten Bruders zu: „Wo ist sie an diesem Tag, deine goldene Geliebte, mein Bruder? Keinen Gedanken verschwendet sie an dich, keinen Tropfen Wein. Stattdessen liegt sie in den Armen des Erziehers ihrer Tochter. Das Weib war dein Leben nicht wert. Doch beim zornigen Seth und der großen Neunheit von Theben, ich werde dich rächen, Ameni!“

      Hatschepsut trat mit ausgestreckten Armen, vom Standbild Amuns zurück, ohne ihm dabei den Rücken zuzukehren. Das Antlitz des Gottes leuchtete im Schein der Feuerbecken, als lächele es ihr zu – zufrieden über die Ausrichtung des Festes. Sie hatte sich bemüht, ihren Vater Amun zu erfreuen. Dieses Talfest war das Schönste gewesen, das jemals gefeiert worden war, seit Hatschepsut denken konnte. Das war mitunter dem fast vollendeten Millionenjahr-Tempel zu verdanken, dem erstaunlichsten Bauwerk, das je für einen Pharao erbaut worden war. Es war vor allem Senenmuts und Hapusenebs Einfallsreichtum, dem das Djeser Djeseru seinen Glanz und seine unvergleichliche Erhabenheit zu verdanken hatte.

      Der Oberste Prophet des Amun reichte Hatschepsut die Fackel, und sie tauchte diese in das bereitstehende Becken mit frischer Milch, wo sie mit einem letzten Aufflackern verlosch. Hatschepsut schloss die Augen und lächelte in sich hinein. Eine Welle aus Erleichterung floss durch ihre Adern und wärmte ihr Herz. Das Schöne Fest vom Wüstental war vorüber und ihr Vater Amun zufrieden.

      Während Hatschepsut an der Seite Hapusenebs das Sanktuar verließ, berührte der Oberste