Hatschepsut. Der goldene Falke. Birgit Fiolka

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Название Hatschepsut. Der goldene Falke
Автор произведения Birgit Fiolka
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742704467



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auf den Vorhof des Tempels. Obwohl sie noch immer den Männerschurz und ein kurzes Hemd trug, war sie in diesem Augenblick nur Hatschepsut – nicht das glänzende Abbild Amuns.

      „Ich habe einen Entschluss gefasst. Ich werde das Djeser Djeseru zu einem Ort machen, den Kemet noch nicht gesehen hat ... und ich werde neue Handelswege erschließen, um die leere Staatsschatulle wieder zu füllen.“

      Senenmut wusste, dass sie ihre Entscheidungen lange vor diesem Tag getroffen hatte. In der letzten Zeit hatte sie sich oft mit den Priestern und Schreibern in Karnak beraten. Nun wandte sie sich ihm zu, und ihre Augen leuchteten. „Ich werde Schiffe nach Punt entsenden, damit sie dort Handel treiben und die Gaben dieses wundervollen Landes nach Kemet bringen ... so, wie es vor vielen Nilschwemmen geschehen ist ... Weihrauch ... den Schweiß der Götter, Elfenbein, edle Hölzer.“ Sie machte eine ausladende Geste in Richtung des Tempelvorhofes. „Ich will auch in Kemet Weihrauchbäume anpflanzen ... nicht dort, wo das Volk sie nicht sehen kann, weil es den Tempel nicht betreten darf.“

      In diesem Augenblick erschien es Senenmut, als erstrahle sie im ersten goldenen Licht Res – ihre Haut, ihr Haar, ihre Augen. Wie schmerzvoll mein Herz dich liebt, Gottestochter. Er fühlte sich von ihr bezaubert.

      „Ich will, dass das Volk einen Ort hat, an dem es sich von den Mühen und Sorgen des Tages erholen kann. Ich weiß, dass meinem Vater Amun dies gefallen würde.“ Sie kam zu ihm, und er schloss seine Arme um sie, als müsse er fürchten, dass die Götter sie ihm wieder fortnehmen würden. „Und wie willst du das sagenhafte Punt finden, Gottestochter? Der Weg in dieses Land ist seit Hunderten von Nilschwemmen vergessen.“

      Sie legte ihm einen Finger auf die Lippen und flüsterte: „Ich bin Amuns Tochter. Ich werde den Weg nach Punt finden und das Wunder wahr machen.“

      Als ihre Lippen seinen Mund berührten, war es Senenmut, als weiche alle Kraft aus seinen Gliedern. So oft er auch zweifelte ... an allem Göttlichen, an der Prophezeiung, die sie letztendlich zu dem gemacht hatte, was sie war – Pharao in weiblicher Gestalt - ... allein ihre Lippen vermochten ihn immer wieder alle Zweifel vergessen zu lassen.

      Der Tagfahrt zweite Stunde ist jene, welche die Finsternis vertreibt

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       Die königliche Barke, Jahr 9 der Herrschaft Hatschepsut Maatkares

      Hatschepsut warf Hui, die einen Schritt hinter ihr stand, einen prüfenden Blick zu. Sie trugen das gleiche Kleid, den gleichen Schmuck und das gleiche Kinn lang gestutzte Haar unter dem Nemes-Tuch. Hui war ihr sichtbar gewordener Ka, der Ka eines Königs, der ihn begleitete. Hatschepsut legte Wert darauf, dass das Volk dies sah, wann immer sie den Palast verließ. Sie hatte sich an diesem Tag für ein eng anliegendes Trägerkleid und das männliche Nemes-Tuch des Pharao mit der Uräusschlange am Stirnreif entschieden. War es Hatschepsut nach ihrer Krönung noch schwergefallen, sich für die verschiedenen Anlässe zwischen weiblichen und männlichen Attributen ihres Königtums zu entscheiden, verschmolz sie mittlerweile wie selbstverständlich beides miteinander.

      Noch immer musste sie insgeheim über ihre und Huis Ähnlichkeit staunen. Sie hätten Schwestern der Geburtsstunde sein können, doch das waren sie nicht. Und dies – so wusste Hatschepsut – war der deutlichste Beweis für die Wahrhaftigkeit der Prophezeiung, welche ihr zu Osiris gegangener Vater von Amun erhalten hatte.

      Um ihre Gedanken wieder auf den Grund ihrer Ausfahrt auf der königlichen Barke zu lenken, gab sie Hui ein Zeichen. „Was denkst du über Nehesi? Ist er der Richtige für die Reise nach Punt?“

      Hui trat aus dem Schatten Hatschepsuts an die Reling. Ihre Brauen hoben sich in dem ihr eigenen Stolz, den Hatschepsut an ihr schätzte. Hui verbot sich niemals den Mund, weil sie Bestrafung oder Gunstentzug fürchtete. Wie hätte sie Solches fürchten sollen, wo wie doch ein Teil des Pharao war. „Ich halte ihn für geeignet, Horus ... der Schatzmeister ist verlässlich und dir ergeben.“ Etwas leiser fügte Hui hinzu: „Ein Makel dürfte jedoch seine fehlende Erfahrung mit den Gepflogenheiten der südlichen Länder sein.“

      Hatschepsut erwiderte nichts. Hui sprach aus, was sie selbst lange beschäftigt hatte; doch sie hatte ihre Entscheidung getroffen ... sie würde Nehesi einen Mann an die Seite geben, der das Goldland kannte wie kein anderer.

      Sie schritt zum Bug der königlichen Barke, während das Volk von den Ufern her dem Pharao und seinem fleischgewordenen Ka zujubelte. Die Barke fuhr gerade ein scharfes Manöver nach rechts in den Kanal, der zu den Trockendocks führte, in denen die Schiffe für die Reise nach Punt darauf warteten, endlich auf ihre Reise zu gehen. Nur noch einen Mondumlauf, dann würde die prächtige Flotte über Land zum Roten Meer aufbrechen, um von dort aus ihren Weg nach Punt zu suchen. Hatschepsut spürte, wie ihr Herz vor Aufregung gegen ihre Rippen schlug – dies hatte sie vollbracht. Es würde das erste große Ereignis ihrer Regierungszeit sein.

      Der Kapitän rief den Ruderern Befehle zu, als die Anlegestelle mit den blauweißen Wimpeln in Sicht kam. Von Weitem konnte Hatschepsut das Holz riechen, welches die Arbeiter zum Bau der Schiffe verwendeten ...

      Hui verzog unwillig die Brauen, als sie zwischen den Wartenden einen Mann am Ufer entdeckte, der sich abseits derjenigen hielt, die das Eintreffen der königlichen Barke erwarteten. „Was tut er hier, Horus?“

      Die Ruderer warfen Taue ans Ufer, die von sonnengebräunten Arbeitern um die hölzernen Poller gezogen wurden. Kurz darauf schritt Hatschepsut gefolgt von Hui auf breiten Planken ans Ufer. „Sary kennt das Goldland und die südlichen Länder. Ich wünsche, dass er Nehesi auf der Reise begleitet ... als Berater.“

      Fast meinte Hatschepsut, Hui in ihrem Rücken lächeln zu sehen. „Eine gute Gelegenheit, den Goldlöwen aus deinem Umfeld zu entfernen. Ich gratuliere dir zu dieser weisen Entscheidung, Horus.“

      Hatschepsut wandte sich zu Hui um, sobald sie festen Boden unter den Sandalen hatte. Obwohl die unverfrorenen Worte ihrer ersten Dienerin sie ärgerten, da sie wie so oft eine Spur Wahrheit enthielten, ließ sie es sich nicht anmerken. „Für eine Weile ... ich weiß, dass Senenmut und auch du ihn gerne auf einen Außenposten in Nub versetzt sehen würdet. Aber das wird nicht geschehen.“

      Ihre Dienerin seufzte. „Was für eine Schuld kann den Pharao Ägyptens an einen gemeinen und grausamen Menschen wie ihn fesseln?“

      Hatschepsut verschloss ihre Gedanken vor Hui. Ebenso wie Senenmut würde sie diese Schuld nicht verstehen. Obwohl er sie hasste, hatte Sary einst im Goldland ihr Leben gerettet, und als ihr Brudergemahl seine Barke bestiegen hatte, war es mitunter ihm zu verdanken gewesen, dass Isis mit dem kleinen Thutmosis nicht nach Memphis geflohen war. Dies war die Schuld, die Pharao Maatkare an dem Einäugigen trug, die andere Schuld, jene, die sie in den Nächten heimsuchte, in welchen sie nicht in Senenmuts Armen lag, war jene der Frau Hatschepsut ... der Gottestochter. Warum konntest du dir nicht einen Stärkeren nehmen, als Ameni? ... hatte Sary sie damals gefragt. Während die schwarze Löwin zum Falken geworden war, lag Ameni in seinem Grab auf der Westseite des Nils, und Sary war kaum noch das, was man einen Menschen nennen konnte. Nein, weder Hui noch Senenmut verstanden die Schuld, welche sie an den Einäugigen fesselte.

      Nehesi, ein drahtiger Mann mittleren Alters, begrüßte Hatschepsut unter tiefen Verbeugungen, während er sie zu einem Baldachin führte, unter dem ein Tisch und ein Stuhl für sie bereitstanden. Hatschepsut verbot sich das Schmunzeln, welches sich auf ihre Lippen legen wollte, während sie sich setzte und Hui hinter sie trat. Nehesi war ihr Schatzmeister, und aus diesem Grunde hatte sie ihn zum Leiter der Expedition ernannt. Er war zuverlässig und würde die Schätze des Landes Punt sicher in die beiden Länder bringen.

      Eine Schar von Dienern trug Wein und Früchte auf, von denen Hatschepsut keine Einzige nahm. Ihre Angewohnheit, nichts zu essen, was nicht durch ihre Vorkoster probiert wurde, hatte sie sich seit den gefahrvollen Tagen ihrer Jugend erhalten.

      „Horus, mächtig an Ka-Kräften, ich danke dir für das Vertrauen, das du in mich setzt“, hob Nehesi zu einer Rede