Yorick - Ein Mensch in Schwierigkeiten. Philip Hautmann

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Название Yorick - Ein Mensch in Schwierigkeiten
Автор произведения Philip Hautmann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738045956



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das Gedanken-Torpedos abfeuert!, dachte er bei sich, dabei den Kopf hebend, in die Ferne blickend, glücklich lächelnd, als er ein Sachbuch über den Ersten Weltkrieg zuklappte, aus dem er gerade ein Kapitel über den uneingeschränkten U-Boot Krieg Deutschlands ab 1917 gelesen hatte (und später, als er Die letzten Tage der Menschheit von Karl Kraus lesen sollte, in derselben Geste noch einmal.))

      Originell verlief es, wenn Yorick auf eine Frau traf, zumindest, wenn diese Frau von ihm als sexuell attraktiv wahrgenommen wurde. Wenn Yorick eine Frau als sexuell attraktiv wahrnahm, eilte er sofort auf sie zu, fragte sie in einem Augenblick der Überrumpelung nach ihrem Namen (den er in der Regel einige Augenblicke später wieder vergaß), riss sie gleichzeitig am Arm, um ihr einen Handkuss aufzuzwängen, und das alles, um sie anschließend unter einer Lawine philosophischer Ausführungen zu begraben. Anschließend blieb er dann zumeist in fassungslosem Zustand zurück, dass die so Angesprochene für das, womit er sie ansprach, fast immer und in aller Regel nicht das geringste Interesse aufzubringen imstande war! Freilich ereignete sich dieses Anschließende ebenso fast immer und in aller Regel erst gut fünf Stunden später, da Yorick sich in seiner Betätigung durch nichts und niemanden unterbrechen ließ, und der Angesprochenen folgte, wo immer sie auch hinging, und vor allen Dingen aus absolut allem einen Gegenstand der Philosophie zu machen verstand, über den er dann laut nachdachte, selbst wenn es das Scheitern seines Versuches war, andere mit der Philosophie zu beeindrucken. Wie komisch Yorick war! Wenn ihm endlich klar wurde, dass er fehl am Platz war, entwickelte er meistens einen kindischen Wutanfall und zog sich dann beleidigt in den Gedanken zurück, dass er wenigstens die Philosophie habe und über sie verfüge, jene aber durchaus nicht, und dass das über kurz oder lang ihr Unglück sein würde, und zwar eines, das ihn, im Gegensatz zu jenen, niemals würde treffen können etc.pp.

      Unbewusst bevorzugte Yorick es daher, in solchen Angelegenheiten zur Feder zu greifen und seine Gefühle, die er spontan für eine Jeweilige empfand, umfassend schriftlich auszudrücken und ihr diese schriftlichen Mitteilungen dann zukommen zu lassen. Im Medium der geschriebenen Sprache dünkte er sich schließlich daheim, und was ihm am besten gefiel, war, dass beim Verfassen solcher schriftlichen Botschaften niemand da sein würde, der ihn dabei stören würde, vor allen Dingen die nicht, um deren Gunst er eigentlich warb. Letzteres würde er eigentlich gar nicht wirklich gebrauchen können. Und so erhielten welche, die Yorick gerade erst kennengelernt hatte und die er daher kaum tatsächlich kannte, Briefe, die schwungvoll einsetzten mit:

       So manch einem, welchem vor Gefühlstrunkenheit der Hirnkasten unter Wasser gesetzt ward, spülten die Fluten in seinem Kopfe die Gedanken ans Land, die Sonne, das größte Gestirn am Himmel, zu preisen, allein schon derenthalber, um in seinem bedenklichen Zustande irgendwie Halt noch zu finden! Die Sonne zu preisen also nicht allein als Schöpferin und Spenderin des Lebens sondern auch dafür, dass sie all diese ihre Herrlichkeiten auch bescheint und dem profanen Auge zugänglich macht! Ja, und so möge die Sonne ewiglich dafür gepriesen sein, dass sie eben auch jenen höchsten Berggipfel der Schöpfung in ihr Licht taucht und ihn den Augen aller Glückseligen, die da Augen haben, um zu sehen, eröffnet – den Berggipfel der Schöpfung namens Christine!-

      oder

       Madame! Wenn Sie diese Botschaft empfangen, dann wahrscheinlich bereits aus dem Reich der Toten! Hingestreckt von der Sehnsucht, Ihr Bild zu erblicken, wär´s mir, als ob dem Teufel ich meine Seele dafür feilgeboten hätte, dererlei Streiche spielt mein dürstendes Herz! Die Sehnsucht treibt mich, lenkt mich, führt mich – an die Klippe des Todes, wo ich nun stehe! Ich wünschte, zehn Arme zu haben, Sie auf diesen zu tragen in ein Reich mit dem Namen Paradies, von welchem mir Ihr Anblick und der stille Gedanke an Sie eine bereits jetzt so deutliche Vorstellung gegeben hat. Wie wäre es wohl, wenn sich das, was in mir für Sie brennt, vollständig sich erfüllt? Könnte ich da bestehen, frage ich mich ängstlich! Vor mir liegt nur mehr der Tod! Der Tod durch die schmerzliche Sehnsucht oder aber durch die überwältigende Freude, die in ihrer Erfüllung läge. Beides gilt gleich, beides – der Tod! Geben Sie einem beinahe Toten noch einen letzten Frieden und gewähren Sie ihm die Gunst eines letzten Grußes. Vielleicht wird Lazarus dadurch ja wundersam geheilt, und wir könnten gemeinsam auf einen Kaffee gehen? Nun denn-

      und in ähnlicher Manier sich fortsetzten und sich über mehrere, ja, hin und wieder mehrere dutzend Seiten erstreckten. Das würde seine Chancen auf das Beträchtlichste erhöhen und da würde den Weibern ganz einfach die Spucke wegbleiben, dachte sich Yorick dabei immer, ohne dass es ihm jemals jemand ausreden konnte, ja, eigentlich auch gar niemand ausreden wollte, da sich für Yorick sowieso kaum jemand interessierte. Und Yorick selbst kam sowieso niemals auf den Gedanken, dass er irgendetwas überhaupt auch nur falsch machen würde können! Wobei er im eigentlichen Sinn ja auch gar nicht unrecht hatte, denn in jenem eigentlichen Sinn dienten ihm derartige Avancen in erster Linie, um sich selbst beim Reden und Zerfließen zuzuhören und erst sekundär oder tertiär, um damit reale, praktische Ergebnisse zu erzielen. Den Angeschriebenen blieb freilich meistens tatsächlich die Spucke weg und sie kamen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Was er denn eigentlich mit diesem Unsinn vom baldigen Tod haben würde? Sie würden sich doch kaum kennen! meinte zum Beispiel eine. Yorick hatte die Entsprechende dann aber freilich schon wieder vergessen.

      Doch auch Yorick erhielt jede Woche zahlreiche Zuschriften! – In denen jedoch stand immer wieder nur in etwa zu lesen:

       Hallo! Mich rufen Tatiana! Ich lebe in der Siedlung Ruem, die sich in Russland befindet. Mir 24 Jahre. Du der interessante Mann! Ich war dem Mal hinter dem Mann und habe die Kinder nicht. Ich will den echten Mann sehr finden, mit dem ich die feste und glückliche Familie schaffen durfte. Ich das sehr romantische und lebenslustige Mädchen! Ich liebe sehr, zu reisen, sich mit der Gymnastik zu beschäftigen, vorzubereiten und zu sticken. Ich wende welchen alkoholischen Getranke an und rauche ich die Zigaretten nicht. Ich sehr warte auf ihre Antwort. Ich warte ihren Brief mit der Ungeduld!

      oder

       Hallo meine Bezeichnung – Julia. Ich lebe in Russland zu mir 26 Jahre. Wie der Mann Sie mir sehr interessant erschienen haben ware und ich mit ihnen froh wird kennenlernen! Ich – das junge attraktive und sehr schone Maedchen mit der reinen nahen und guten Seele. Ich bin selbststaendig, ich habe die gute Bildung und die Arbeit die ich befriedigen vollständig. Ihr Alter für mich ist, weil das Wesentliche für mich nicht die Schonheit des Korpers, und die Schonheit der Seele, das hei?t der inneren Welt gar nicht wichtig. Du kannst über dich grösser erzählen? Ich hoffe mich, die angenehme Bekanntschaft zu haben. Ich werde mit der Ungeduld von Ihnen des Briefes warten!

      Yorick ging natürlich einmal so weit, auf eine solche Zuschrift hinauf mit der Betreffenden eine prätentiöse Diskussion über Gontscharow anzetteln zu wollen, damit hatte er es geschafft, dass selbst diese sich nicht mehr zurückmeldete.

      Yorick hatte in seinem Leben eine einzige Freundin gehabt! Alexandra, die er am Flughafen kennengelernt und mit der er fünf Minuten gesprochen und in Erfahrung gebracht hatte, dass sie sich gerade zu einem zweiwöchigen Spanienurlaub aufmachen würde. Als sie heimkam, fand sie in ihrem Postkasten einen achtzehnseitigen Brief, wo drinnenstand

       Alexandra fährt nach Spanien fort

       Ich persönlich leider nicht

       Schon wird mein Herz zu einem Ort

       Welcher bedeckt von staubiger Schicht

       Alexandra auf ihrer spanischen Reise

       Durchzieht halb Europa mit ihrer göttlichen Spur

       Welche natürlich und freilich mir wird zum Geleise

       Auf welchem meine Seele sich begebe auf Tour

       Mein Äußre´s bleibt leider in Österreich

       Kann nämlich nicht tun, wie´s gerade ihm frommt

       Man findet es sicher vom Gefühlstod gebleicht