Название | Yorick - Ein Mensch in Schwierigkeiten |
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Автор произведения | Philip Hautmann |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738045956 |
Einmal war Yorick in der Gesellschaft des distinguierten Herrn A. anwesend, natürlich nicht, weil er ausdrücklich eingeladen gewesen wäre, sondern es hatte sich über Zufälle so ergeben. Mittelpunkt dieser Zusammenkunft bildeten die Schilderungen des distinguierten Herrn A. über ein Hubschrauberunglück, bei welchem er zugegebenermaßen kurz zuvor schwere Blessuren erlitten hatte (er saß zu dieser Zeit vorübergehend im Rollstuhl), immerhin aber mit dem Leben davongekommen war, und nicht allein aufgrund der persönlichen Beteiligtheit an dem Vorfall, sondern auch aufgrund der Distinguiertheit des Herrn A. war die Dramatik der Schilderung beträchtlich, derart, dass sie vor allen Dingen bei den Damen der Gesellschaft kalkulierte Aah!- und Ooh!-Seufzer hervorrief. Als die Ausführungen in ebendieser Dramatik auf ihren Höhepunkt zuzusteuern schienen, meldete sich dann plötzlich Yorick zu Wort (denn auch er wollte die Aah!- und Ooh!-Seufzer vor allem der Damen auf seiner Seite wissen), indem er ebenso plötzlich einwarf, dass, wenn sich jemand in ein so gefährliches Objekt wie einen Hubschrauber setze, er bis zu einem gewissen Grad ja selber schuld sei; würden diese Dinger zum Beispiel im Krieg ja auch schon mal von sich aus, ohne vom Feind unter Beschuss genommen worden zu sein, abstürzen, was dem Gespräch eine unerwartete Wendung geben sollte, die Damen dazu veranlassen sollte, gegenseitig in die Gesellschaft hinein zu fragen,
ob man es denn tatsächlich dem Herrn A. zurechnen könne, dass er bei einem so schrecklichen und dramatischen Unglück kaum mit dem Leben davongekommen sei
und
ob Hubschrauber denn tatsächlich so gefährliche Objekte seien, dass man der Achtsamkeit seines eigenen Leib und Lebens gegenüber auf eine derartige Beförderungsmöglichkeit, auch wenn sie verkehrstechnisch sicher angenehm oder für den Laien von durchaus interessanter Natur sein möge, besser verzichte und sich ihr entschlage,
und endlich den (distinguierten) Herrn A. der Höflichkeit und der allgemeinen Beruhigung halber (sowie natürlich auch, um sich in seiner Distinguiertheit zu unterstreichen) einen vermittelnden Standpunkt einzunehmen, und siehe da, schnell hatte sich die Sache wieder entspannt. Allein, jener Zustand einer sich wieder in sich verfestigenden Beruhigung in der Gesellschaft war zu gegenseitigem Unglücke jedoch gegenläufig zu dem inneren Zustand Yoricks, der, wie immer, seine eigenen inneren Zustände für jene der Gesellschaft um ihn herum hielt, und er war bereits in höchster Erregung. Sein Moment sei gekommen, sagte er sich, jetzt sei es an der Zeit, die Sache endgültig von ihrer heiteren Seite in Beschlag zu nehmen, woraufhin er einige Helikopterwitze zum Besten gab, die bald für eine allgemein feindselige Erstarrung in der Gesellschaft sorgten. Gut habe er das gemacht und für allgemeine Heiterkeit habe er gesorgt, dachte Yorick sich nachher. (In die Gesellschaften rund um den Herrn A. wurde er freilich nicht mehr eingeladen.)
Nicht alle der Anwesenden waren ihm jedoch deswegen feindselig (eigentlich waren es streng genommen nur der distinguierte Herr A. und seine Gemahlin), und im Speziellen die betagte Dame Z. benützte die Verwirrung, die Yorick hervorgerufen hatte, als eine günstige Gelegenheit, sich selbst in den Mittelpunkt zu rücken (wofür sie Yorick insgeheim dankbar war), und den Anwesenden jenes Gesprächsthema aufzuzwängen, das ihr selbst am wichtigsten war, nämlich ihre Lebensgeschichte, in deren Erzählfassung ihr dreißig Jahre zuvor verstorbener Vater, Pabschi von ihr genannt, einen eigentümlich herausragenden Platz einnahm. Der Umstand, dass der bewusste Vater zwar eben bereits vor gut dreißig Jahren gestorben war, stellte für die Dame Z. im Allgemeinen kein Hindernis dar, über ihn immer mal wieder und mit einer Innigkeit zu referieren, so als läge sein Dahinscheiden erst dreißig Tage zurück, und so sah sich die Gesellschaft wieder einmal dazu gezwungen, einen jener Berichte entgegenzunehmen (die wegen ihrer Langwierigkeit und Umständlichkeit gefürchtet waren) von dem herrlichen Italienurlaub, den die beiden irgendwann in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts unternommen hatten, dem Hund, den er ihr als Kind gekauft hatte, der aber bald von einem der ersten Automobile überfahren wurde, dem Hochwasser anno 54 und anderen Gelegenheiten, in denen der Vater gemäß den Schilderungen der Dame Z. seinen insgesamt ausgezeichneten Charakter an den Tag gelegt habe, seine Herzensgüte, seinen herausragenden Verstand und die Eigenschaft, dass er ein Mensch gewesen sei, der immer (immer wurde von ihr besonders betont) seinen Überzeugungen treu geblieben sei, was endlich Yorick, der bereits unruhig geworden war darüber, dass jemand anderer das Gespräch so lange an sich gezogen hatte, ein Signal gab, sich einzubringen, und zwar mit der scherzhaft gemeinten Bemerkung Also, mit einem Wort, ein Trottel! (was immerhin der Rest der Gesellschaft, die bis dahin in dem kollektiv durchgewälzten Gedanken Und das alles nur wegen Yorick! vor sich hingegrollt hatte, nunmehr insgeheim komisch fand). Yoricks spontan erdachter Plan, gemäß des Aphorismus eines Denkers, wonach Überzeugungen der größere Feind der Wahrheit seien als die Lüge, eine philosophische Diskussion über den Sinn und Unsinn von Überzeugungen anzuzetteln, sollte jedoch nicht aufgehen, da sich eine solche Diskussion zu seinem Bedauern nicht mehr recht entwickeln wollte.
Massenvernichtungswaffen! Massenvernichtungswaffen müsse man endlich gegen die Araber einsetzen, denn ohne den Einsatz von Massenvernichtungswaffen gegen die Araber würde es nicht mehr lange gehen, riss da plötzlich Herr G. das Gespräch an sich; Yorick reagierte blitzschnell und als erster mit einem Versuch, mit der Darstellung des Konzepts des furchtbaren, tödlichen Röntgenlasers zu brillieren, der freilich misslang, indem er innerhalb der Fragen der anwesenden Damen,
ob man denn wirklich Massenvernichtungswaffen gegen die Araber einsetzen müsse
und
ob der Einsatz von Massenvernichtungswaffen gegen die Araber denn wirklich ethisch vertretbar wäre,
unterging, dann war schon die Reihe an der Gattin des Herrn G., die diesen gelangweilt fragte, warum er denn eigentlich immer herumstänkern müsse, woraufhin wiederum Herr G. in voller Lebendigkeit entgegnete, weil er eben gerne herumstänkere! Und außerdem sei er tatsächlich der Meinung, dass es ohne den Einsatz von Massenvernichtungswaffen gegen die Araber nicht mehr lange gehen würde. – Ja, in Saudi-Arabien würde er Geschäfte machen, ebenso in Jemen, in Oman und Iran; beim Kirchenchor sei er dabei, in Libyen sei er involviert und ebenso in Bhutan, schaltete sich da plötzlich Herr G2. dazwischen, der Geschäftsmann war, und der damit schnell die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, wobei dies alles nur einen kleinen Teil seiner gesamten Aktivitäten darstelle, und schon wollte jeder etwas darüber wissen, welche Aktivitäten der Herr G2. denn sonst noch pflegen würde. – Bis auf Yorick, der an Herrn G2. plötzlich und ohne irgendeinen bösen Hintergedanken, nein, sondern allein aus Interesse an der Sache, stattdessen die Frage richtete – was er in Oman denn eigentlich genau machen würde. Herr G2. tat so, als hätte er diese Frage überhört, und fuhr stattdessen fort mit seiner Erzählung, dass er in Amerika was machen würde, in Lateinamerika, in Mittelamerika, in Afrika und in Asien, und wenn er in Grönland nicht schon etwas machen würde, so – würde er eben zur Zeit gerade planen, auch dort etwas zu machen!, dabei wuchs er bei diesen Ausführungen in eine Art Haltung ein, dass man unweigerlich denken musste: Die Größe des Triumphes dieses Mannes wird allein durch die Größe des Mannes selbst übertroffen! – Da jedoch wollte Yorick schon wieder von ihm wissen, was er in Oman denn eigentlich genau machen würde, woraufhin Herr G2. etwas das Gesicht verzog. Hoch erfreut, mit ebenso gleichzeitig in die Höhe schießenden Zeigefingern und Mundwinkeln, nahmen da die Zwillingstöchter der betagten Dame Z. ihre Gelegenheit war, auch etwas anzubringen, und zwar, indem sie synchron bemerkten,