Der Regent. Roland Bochynek

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Название Der Regent
Автор произведения Roland Bochynek
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750262287



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atmete tief durch, dann fiel es quasi aus ihm heraus. Er war plötzlich froh, dass er sich mal richtig über diese Probleme aussprechen konnte. „Wie Sie schon sagten, arbeite ich jetzt dreißig Jahre im gleichen Konzern. Ja, sogar Karriere habe ich da in bescheidenem Umfang gemacht. Aber zu welchem Preis! Obwohl ich immer beim selben Arbeitgeber war, musste ich in dieser Zeit viermal umziehen. Ständig wurde umstrukturiert, sowohl Ressorts als auch ganze Niederlassungen wurden zusammen- und durcheinandergewürfelt. Immer mit dem Ergebnis, dass ich es noch weiter zur Arbeit hatte. Dazu der Umstand, dass man fast jedes Mal wenn man sich auf dem Platz auskannte, schon wieder wegmusste, um wo anders was Neues anzufangen. Ich habe das Gefühl, dass in dem Unternehmen Erfahrung ein Tabu ist, das unbedingt zu vermeiden war. Das alles bedeutet ständig Nachschulungen, meistens in der Freizeit, lange Wege zur Arbeit, vom Stress während der Einarbeitungszeit ganz zu schweigen. Dann noch Überstunden, die nie bezahlt wurden. Allein das Pendeln ist auf Dauer eine große Belastung, dazu kommen die immensen Fahrkosten. Da bleiben nicht viel Rücklagen, wenn man 20% des Nettoeinkommens für die Mobilität ausgeben muss.

      Zu allem Übel wird man als Pendler noch von den Umweltschützern zum Sündenbock für sämtliche möglichen Umweltverschmutzungen abgestempelt, als ob man aus purer Wollust kreuz und quer durch das Land fahren würde. Dabei bleibt mir doch gar keine Wahl! Mit öffentlichen Verkehrsmitteln wäre ich sechzehn Stunden täglich unterwegs. Eine Zweitwohnung oder gar einen Umzug in das Ballungsgebiet mit der gesamten Familie kann ich mir bei den Mieten dort ebenso wenig leisten. Abgesehen davon, dass sich die Firma womöglich schon morgen wieder einen neuen Standort einfallen lässt. Nein, so geht es nicht weiter, ich muss auch an meine Familie denken, gerade die Kinder brauchen feste Bezugspunkte. Da fange ich lieber noch mal von vorne an.“

      „Oh ja, Herr Barth, da erzählen Sie mir wenig Neues. Solche Geschichten höre ich ständig. Man kann behaupten, dass sich der Umgang mit den Mitarbeiten proportional zur Größe des Unternehmens verschlechtert. Die Strategie, die dahinter steckt, verstehe ich selbst nicht. Aber ich kann Sie beruhigen, das wird bei uns alles anders. Meine Geschäftspartner gehören zwar auch zu den Großen, aber schon zu Beginn unserer Geschäftsbeziehung hatten sie es bei der Beteiligung zur Bedingung gemacht, dass wir ihre sozialen Regeln, wie sie es nannten, umsetzen. Ich hatte bei der Firmengründung zwar nicht vor, wie ein Sklaventreiber aufzutreten. Aber diese Vorgaben übertrafen meine Vorstellungen über sozial verträgliche Arbeitsplätze bei Weitem. Im Nachhinein muss ich sagen, dass ich da einen Glückstreffer landete. Ich hätte nie gedacht, dass sich ein gesundes Betriebsklima mit zufriedenen Mitarbeitern dermaßen positiv auf das Betriebsergebnis auswirkt. Deshalb biete ich Ihnen Folgendes an: Wir stellen Sie gemäß unserer Ausschreibung als Abteilungsleiter für die neu gegründete Logistikabteilung ein. Bezahlt wird nach Tarif, dazu kommen dreißig Tage Urlaub sowie eine Fünfunddreißig-Stunden-Woche. Anfallende Überstunden werden selbstverständlich vergütet, oder auf Wunsch mit Freizeit ausgeglichen. Ebenso zahlen wir Gewinnbeteiligungen aus. Noch etwas kann ich Ihnen versprechen, wir bleiben standorttreu. Natürlich gründen wir noch weiter Niederlassungen, aber die werden mit Mitarbeitern aus der jeweiligen Region aufgebaut. Wenn Sie mein Angebot annehmen, dann können Sie sich ruhigen Gewissens privat in der Nähe niederlassen.

      Wir ziehen hier nicht weg, sofern uns nicht der Himmel auf den Kopf fällt. Das Einzige, was mir nicht gefällt, ist Ihre Kündigungsfrist, ich hätte Sie am liebsten schon morgen bei uns. Aber das müssen wir eben akzeptieren. Falls Sie früher von ihrem alten Posten loskommen, soll mir das mehr als recht sein. Aber so oder so, willkommen bei der Haas & Co Spezialwerkzeuge.“

      Während Barth wieder nach Hause fuhr, musste er sich zwingen, das alles nicht als Traum anzusehen. „Ist das wirklich wahr? Gibt es tatsächlich Unternehmen, die sich noch um ihre Mitarbeiter sorgen? Wenn nur die Hälfte von dem stimmt, was dieser Haas mir über meinen neuen Arbeitsplatz erzählte, dann habe ich hier das große Los gezogen.“ Er konnte es kaum erwarten, seine neue Stelle anzutreten. „Jetzt muss ich schauen, dass ich meinen alten Job so schnell wie möglich loswerde. Drei Monate Kündigungsfrist sind zu lange. Mal sehen, zuerst werde ich meinem Vorgesetzten mal mitteilen, was ich von ihm, ja, von dem ganzen Laden wirklich halte. Mit etwas Glück schmeißt er mich sofort raus.“

      Scherer und Berger saßen in der Bibliothek in Bergers neuer Villa. Hier hatte er sich ein fantastisches Domizil aufgebaut. Man fühlte sich in dem geschmackvoll eingerichteten Haus gleich wie zu Hause.

      Sie besprachen mal wieder die Strategie der All-Invest AG. „Wir haben jetzt eine Größe erreicht, bei der wir beginnen sollten, öffentlich bei bestimmten Themen mitzureden“, eröffnete Scherer die Diskussion. „Unsere Unternehmen sind zwar in allen möglichen Verbänden vertreten, aber das muss noch koordiniert werden. Wenn wir sämtliche Mitgliedschaften gemeinsam auf unser Ziel abstimmen, können wir schon ein gewaltiges Wörtchen in diesem Staat mitreden.“ „Da stimme ich dir vollkommen zu“, antwortete Berger. Die beiden waren sich in ihren Ansichten so ähnlich, dass sie eigentlich auf solche Abstimmungen verzichten konnten. Deshalb dienten diese Besprechungen eher der Kontaktpflege.

      „Die Zeit scheint reif zu sein, den Staat mal wieder etwas in die richtige Bahn zu lenken“, sinnierte Berger weiter. „Wir müssen ausloten, wie, beziehungsweise wo wir die besten Angriffspunkte finden. Die ganzen Unternehmerverbände sehe ich als das kleinere Problem, da wird es hauptsächlich um Feinabstimmungen bei unseren einzelnen Vertretern in den Gremien gehen. Viel wichtiger finde ich, dass wir in der Politik einen Fuß in die Tür bekommen.

      Diesen Lobbyisten-Filz müssen wir unbedingt aufweichen! Am besten gehen wir so vor, wie die Feuerwehr bei einem Waldbrand. Die bekämpfen auch Feuer mit Gegenfeuer. Also schicken wir Lobbyisten nach Berlin.“ „Ganz meine Meinung“, sagte Scherer. „Nur müssen sich die von den Etablierten unterscheiden. Aber da wir ja nichts zu verbergen haben, können wir viel offener vorgehen, Öffentlichkeitsarbeit ist der halbe Sieg.“ Berger bestätigte die Strategie: „Wir sollten dafür eine Abteilung einrichten, die sich nur um solche Dinge kümmert. Eine die gezielt unsere Meinung in der Öffentlichkeit vertritt. Wir haben ja jetzt das Medienhaus im Portfolio. Damit haben wir eine Plattform für entsprechende Publikationen. Starten wir einen Guerillakrieg gegen die unterschwellige Korruption der Lobbyisten! Vielleicht ist an unserer allmählich verrottenden Demokratie doch noch was zu retten.“

      Der neue Firmensitz

      „Herzlich willkommen im neuen Gebäude der All-Invest AG. Da haben wir es ja noch rechtzeitig zum fünfzehnjährigen Firmenjubiläum mit dem Einzug geschafft. Hierzu meine besten Glückwünsche“, wurde Berger von Scherer freudig begrüßt. „Den Glückwunsch zurück zum fünfzehnjährigen Dienstjubiläum,“ erwiderte Berger schmunzelnd. Scherer hatte einen Sektempfang für die Führungskräfte organisiert. Das gerade erst fertiggestellte Gebäude stellte ein interessantes Bauwerk dar. Sternförmig liefen vom Mittelpunkt drei Gebäudefluchten auseinander. Die sich nach oben immer weiter verjüngenden Geschosse gaben dem Bau ein äußerst ästhetisches Aussehen. Man sah dem eleganten Koloss die zehn Stockwerke nicht an. Ein wenig erinnerte der Komplex an einen dreizackigen Seestern. Diese Bauweise schaffte eine Vielzahl von lichtdurchfluteten Räumen. Das ergab Büroräume, die das Arbeiten in angenehmer Atmosphäre ermöglichten. Hervorragend geeignete Besprechungs- und Schulungsräume gab es ebenfalls zuhauf. Hiervon benötigte man eine Menge. Ständig waren Jungunternehmer, Existenzgründer, ebenso wie gestandene Geschäftsführer zur Fortbildung im Haus. Schon unmittelbar nach Fertigstellung hatten diese Einrichtungen eine gute Auslastung erreicht.

      Nach dem Austausch von Nettigkeiten hielt Scherer noch eine kleine Ansprache. Dann verschwanden wieder alle in ihre Büros, um sich um die Alltagsgeschäfte zu kümmern. Berger und Scherer trafen sich wie so oft schon zu einer Besprechung in dem dafür vorgesehenen Raum, der in dem neuen Gebäude zwischen den Büros der beiden lag.

      Berger wusste, dass er Scherer mit der folgenden Frage wieder ins Schwärmen brachte: „Was macht eigentlich deine Lieblingsabteilung für Existenzgründung und Beteiligung?“ Sofort nahm Scherer diesen Faden auf: „Du wirst staunen, wenn du die Aufstellungen siehst. Das war von Anfang an ein voller Erfolg. Siebentausend Abschlüsse in fünfzehn Jahren, davon knapp zweitausend Beteiligungen. Der