Amerikanische Odyssee. E.R. Greulich

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Название Amerikanische Odyssee
Автор произведения E.R. Greulich
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783847686415



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und glatt geht. Dann muss Hesse seine Fingerabdrücke in die vorgeschriebenen Felder setzen, und für Hesses Bravheit erklärt der Master-Sergeant, in den Staaten werde alles noch einmal geprüft und eventuell vervollständigt.

      Er habe eine wichtige Aussage zu machen, erwidert Hesse. Der Master-Sergeant telefoniert schon nach einem Posten und nickt. "Okay, Boy - hinterm Atlantik wird man darüber erfreut sein."

      Der Posten führt Hesse durch ein riesiges Zeltlager und übergibt ihn einem deutschen Oberleutnant. Verschlafen stellt auch der die üblichen Fragen. Als er Division 999 hört, rümpft er die Nase. Hesse verzichtet darauf, zu betonen, dass er zur Stammmannschaft gehört hat. Ein Gefreiter im Braungelb der Uniform des Afrikakorps bringt ihn zu einem Viermannzelt. Die drei schlafenden Insassen grunzen ärgerlich, als sie zusammenrücken müssen.

      In den nächsten Tagen hat Hesse Zeit, viel Zeit zum Nachdenken. Nach dem nächtlichen Erlebnis mit dem Master-Sergeant scheint es unsinnig, noch einmal auf eine Vernehmung zu dringen. Bisher hat er geglaubt, die Amerikaner würden darauf brennen, so viel wie möglich von den Gefangenen zu erfahren. Warum nun das Entgegengesetzte? Es muss einer ein besonderes Interesse daran haben. Langsam setzt sich in Hesse die Gewissheit fest, dass es Lawson ist. Hesses Aussagen würden dem Captain als verantwortlichem Offizier der Einheit auf der Bergkuppe Unannehmlichkeiten schaffen. Es käme dabei heraus, dass es dort oben mehr schlampig als vorschriftsmäßig zugegangen ist. Deshalb hat sich Captain Lawson nicht mehr blicken lassen. Er hat einen unbequemen Mann abgeschoben.

      Innerhalb des Zeltlagers führen die deutschen Offiziere das Kommando. Zwei Tage nach Hesses Ankunft werden sie in ein Offizierslager gebracht und übergeben ihre Macht den unteren Chargen, vom Stabsfeldwebel abwärts bis zum Unteroffizier. Innerlich friert Hesse und möchte es nicht wahrhaben: Die deutsche Barrashierarchie bleibt unversehrt - auch in der Gefangenschaft.

      Es kommen die Tage der Kapitulation des Afrikakorps. Einige Zeit lang behaupten die Nazis im Lager: Ammenmärchen der Amerikaner als Rache für eine mächtige Schlappe, die sie bei Tunis durch eine eingeflogene deutsche Heeresgruppe erlitten haben. Als dann die Wahrheit hartnäckig ins Lager sickert, ziehen sich die Lügenmeister auf die Weisheit zurück: Noch ist nicht aller Tage Abend. Wir holen uns alles wieder - auch Afrika.

      Kurze Zeit nach der Kapitulation bringen lange Konvois schneller Dreiachser die Gefangenen in die Nähe der Küste, um für die Massen neuer Gefangener Platz zu machen, und Hesse landet im Lager IX bei Oran ...

      Die mit Gaze bespannten Zwischentüren der Baracke klappten, Kameraden kamen von ihren Erkundungsgängen zurück, tauschten ihre Meinungen aus.

      Lager neun bei Oran ... Hesse versuchte, den Albdruck: fortzuschieben. Aufmerksam schaute er Knospe zu, dem Kameraden mit der Schlafstelle rechts neben Hesse. Knospe hatte mehrere Bretter mitgebracht, maß und rechnete mithilfe eines 30-Zentimeter-Lineals. Sie kannten sich seit McLoin. Knospe war wortkarg. Ohne sein Hantieren zu unterbrechen, bemerkte er: "Wenn erst Küchen und Kantine mehr Holz bringen, baue ich dir auch ein Schränkchen."

      "Fein", sagte Hesse und hütete sich, von Gegenleistungen zu sprechen. Derartiges bezeichnete Knospe als "unnötiges Gelabere".

      Am nächsten Tag wurden die Kompanien A bis H gebildet und in den Compounds I, II und III untergebracht. Jedes Compound war ein Cage, ein Käfig für sich, die Verbindungstüren zwischen den Compounds blieben geöffnet.

      Ein Amt von Semmels Gnaden

      Irgendeiner hatte sie aus irgendeinem Papierkorb gefischt, und die Zeitung konnte erst wenige Tage alt sein. Hesse wusste auch nicht, weshalb der Kopf abgetrennt worden war. Seine Hände verkrampften sich, als er den Artikel las, über dem in Kursivschrift die Frage stand: "Funktioniert der Gestapo-Terror in USA ungestört weiter?" Darunter dann in Balkenschrift "Fememorde in Gefangenenlagern?" Zwar durften PWs Zeitungen abonnieren, doch derartige Artikel wurden von der Lagerzensur im Headquarter herausgeschnitten. Deshalb waren sie begehrt und gelangten immer schnell an einen Englisch sprechenden Kameraden, der sie übersetzte. Hesse ließ die Zeitung sinken. Was da stand, war zwar wegen der Zensur in der Überschrift mit einem Fragezeichen versehen, doch darunter kamen niederschmetternde Tatsachen. Die Affäre Malleck war kein Einzelfall, sie enthüllte ein System, das sich unter den Fittichen braver Lagerkommandanten neu etabliert hatte und unter anderen Umständen mit gleichen Methoden arbeitete: Drohung, Erpressung und, wenn das nichts fruchtete, Kameradenmord.

      Hesse saß wie von zu großer innerer Spannung leicht gekrümmt. Bauer kam und setzte sich neben ihn. "Gratuliere. Bist von den Kompaniesprechern zum Kantinengehilfen gewählt worden."

      Gewaltsam riss sich Hesse aus seiner Verbitterung. Ihn bewegten Fragen über Tod und Leben, und da kamen sie mit banalen Lagerangelegenheiten. Es ärgerte ihn auch, weil er wieder einmal die väterliche Hand Bauers zu spüren glaubte. "Der Vorschlag kam natürlich von dir."

      Der Ältere wiegte den Kopf. "Wuntram hat mich darum gebeten."

      Hesse warf den Oberkörper nach hinten und starrte gegen die Bodenbretter des Bettes über sich. "Ich bin kein Zahlenakrobat."

      "Bilde dir bloß nicht ein, es ist deinetwegen. Wir brauchen dort einen musisch Veranlagten, der allerdings auch ein bisschen addieren kann, damit der Kantinenüberschuss wirklich dem Lager zufließt."

      "Also auf Kampfposten gegen Captain Shelter."

      "Endlich kapiert."

      Obwohl der Makel eines Druckpostens von dieser Vertrauensstellung genommen war, spreizte sich Hesse noch. "Ich bin alles andere als ein starker Mann."

      "Manchmal bist du ein Idiot. Aber manchmal hast du Lichtblicke. Einer war der, in Camp Grobber einen Kursus für amerikanische Buchführung zu belegen."

      "Eine Laune. Mein Vater ist früher Buchhalter gewesen."

      "Du hast viel gelesen und kannst sogar Gedichte machen. So einer wird doch gut aufpassen, dass der Kultur zukommt, was ihr materiell rechtens gehört."

      Hesse richtete sich auf. "Meinetwegen."

      Impulsiv schlug ihm Bauer auf die Schulter. "Geh bitte zu Wuntram. Er will dich zu Shelter bringen."

      Wuntram saß in der kleinen Bürobaracke in der Nähe der Ballspielhalle und diktierte seinem Adlatus Kressert in die Maschine. Kurz begrüßte er Hesse und sah auf seine Armbanduhr. "Setz dich einen Augenblick, um halb sollen wir in der Kantine sein."

      Ganz Wuntram, dachte Hesse, kein Wort der Anerkennung für meinen heroischen Entschluss. Wäre ich Karikaturist, würde ich ihn mit angewinkeltem Unterarm zeichnen, den Blick auf die Uhr am Handgelenk gerichtet. Damit kann man zur Geduld mahnen oder antreiben, man kann damit auch abwimmeln.

      "Punkt, Gedankenstrich", beendete Wuntram sein Diktat. Dann folgte der charakteristische Blick auf das Zifferblatt. Er warf sich die graue Windbluse über den olivfarbenen Sweater und sagte zu Hesse: "Komm."

      In der geräumigen Kantine türmten sich auf dem Ladentisch Pakete. Leere Kartons und Packpapier lagen herum. Shelter fetzte Umhüllungen ab, riss Kartons auf und machte Stichproben. Er tat, als hätte er die Eintretenden nicht bemerkt. Wuntram ging auf ihn zu und nahm militärische Haltung an. "Ich bringe den Canteen-Clark, Prisoner of War Heinz Hesse, PW-Nummer acht WG sechzehntausenddreiundsechzig. Er ist von den Kompaniesprechern einstimmig vorgeschlagen, Sir."

      Shelter schaute spöttisch auf. "Auch von Klee?"

      "Kamerad Klee hat keinen Gegenvorschlag gebracht."

      "All right - thank you." Wuntram war entlassen. Shelter sah durch das Kantinenfenster, wie der Lagersprecher mit seinen kurzen, geschäftigen Schritten davoneilte. Der Captain strich das fahlblonde Clark-Gable-Bärtchen mit dem Zeigefinger und sagte amüsiert: "Der Fuchs wetzt zu seiner Höhle." Unvermittelt wandte er sich Hesse zu und fragte laut: "Oder nicht?"

      Hesse wich aus. "Sie lieben spaßige Bilder, Captain."

      Mit einem Tritt schoss Shelter einen leeren Karton durch den Raum.

      Hesse begann aufgerissene Verpackungen zu entfernen und machte das naivste