Amerikanische Odyssee. E.R. Greulich

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Название Amerikanische Odyssee
Автор произведения E.R. Greulich
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783847686415



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ist.

      Von draußen waren Schritte zu hören, dann stand Ede-Berlin in der Kantine und erklärte ohne Umstände und in nicht ganz fehlerfreiem Englisch: "Please, Captain, hier ist die vorläufige Aufstellung der unbedingt nötigen Requisiten für die Theatergruppe. An Vorschlägen für die Vergrößerung der Bühne in der Ballspielhalle arbeiten wir schon, aber als erstes machen wir Kabarett, und dafür genügt sie."

      Als sähe er einen Irren, starrte Shelter Ede an und brüllte: "Go to hell!"

      Ede-Berlin schrumpfte förmlich zusammen, todtraurig klagte er: "Es ist doch nicht für mich, Sir, und Sie haben selbst gesagt ... "

      "Go to hell, son of a bitch" , brüllte Shelter noch lauter und warf einen leeren Karton nach Ede. Der kniff feixend ein Auge zu, als er Hesse schnell die Aufstellung hinschob, ehe er verschwand.

      Der Leiter der Theatergruppe schien der ersehnte Blitzableiter für Shelters Ärger zu sein. Er belegte Ede mit den hässlichsten Ausdrücken. Einige sehr drastische aus dem Bereich der Erotik waren Hesse neu. Noch sei die Kantine nicht eröffnet, fluchte der Captain, noch habe kein Aas einen Cent für ehrliche Arbeit verdient, um ehrlich einkaufen zu können, da laufe ihm dieser Halbverrückte mit seiner albernen Theatergruppe die Bude ein.

      Als er sich ausgeflucht hatte, war er etwas gnädiger gesonnen und erklärte Hesse, in welchem Regal er die Kandisstangen gelagert wünsche, die Drops, die gesalzenen Potato-Chips, die Maiskolbenpfeifen, den Tabak und das Zigarettenpapier, die Streichhölzer und die Zigaretten. Zum Sommer versprach er sogar eine Kühltruhe für Bier und Coca-Cola.

      Erwartungsvoll wurde Hesse mittags von Ede in der Messhall empfangen. "Hast du ihm die Aufstellung unter die Weste gejubelt?"

      "Nischt hab' ich. Auf mich ist die Semmel ebenso schlecht zu sprechen wie auf dich."

      Eduard Nemlichs graue Augen hinter der Brille lachten. "Kunst, Kultur, alles was nicht zum Business gehört, ist ihm unheimlich. Jetzt rücken wir ihm damit auf den Pelz. Da brüllt er vor Unbehagen."

      "Wann soll der erste Abend stattfinden?"

      "Spätestens in vier Wochen. Heute Abend steigt die erste Probe.

       Oskar Helowa und seine Jungens bringen Blackouts und ähnlich satirische Zeitbezogenheiten wie Mühsams Lied vom Lampenputzer. Bodo Girstenburg als Schnellzeichner. Eine Szene von mir aus einer Bombennacht in Berlin. Schlitt am Klavier mit dem Kanonensong und Mackie Messer. Eingestreut mehrmals Artistik. Als Schlussnummer: Hellmann in Hitlermaske. Hier ist das Manuskript der Rede. Bringe da noch mehr Pointen hinein. Siehst schon, alle großmäuligen Aussprüche des Gröfaz. Außerdem weißt du doch den halben Kästner auswendig. Wie wäre es, wenn du die Rezitation brächtest: "Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn?"

      "Lass mich erst mal Luft holen."

      "Verschnaufen mussten wir lange genug in McLoin. Jetzt 'ran an die Bouletten. Was du mit keiner politischen Rhetorik schaffst: Die Kultur wird zur materiellen Gewalt, wenn sie die Massen ergreift."

      Helowa war mit dem Essen fertig, stand auf und winkte.

      "Ich komme!" rief Ede und verabschiedete sich eilig von Hesse. "Gib der Semmel die Aufstellung. Deine Rezitation steht auf dem Programm. Außerdem rechnen wir mit dir als Texter und beim Rollenausschreiben. Tschüss."

      Kopfschüttelnd sah Hesse dem Eiligen nach. Sie kannten sich von Camp Grobber, Oklahoma, Hesses erstem Lager in den USA. Im Compound II des Camps hatte Ede Nemlich das Theater mit aufgebaut. Seine Gedichte zu Zeit- und Lagerereignissen unter der Kennmarke "Berlinisches und Okla-homerisches" brachten ihm den Spitznamen Ede-Berlin ein. Die lebensgefährlichen Erlebnisse dort haben ihm nichts von seiner Theaterbesessenheit nehmen können, sann Hesse. Während sich unsereiner als wohlbehüteter Bürgersohn durch die Hitlerjugend schmuggelte, prügelten sich Ede und seinesgleichen in ihrer Jugend mit SA und Polizei herum, wurden später in Zuchthäusern und KZs hartgeklopft. Mit keinem hätte ich tauschen mögen. Der einzige Trost: Was sie sich mühsam an Wissen und Bildung zusammenklauben mussten, bekam ich auf dem Gymnasium mit. Ist das nicht naiv, was Menschen wie Bauer, Ede und Buschinski von den sogenannten Gebildeten erwarten? Warum lasse ich mich davon anstacheln? Wenn sie von meiner Feigheit wüssten, hätte ich nach ihrer Meinung versagt. Warum ist es so zwingend, wenn solch ein Berserker daherkommt und sagt: Du kannst den halben Kästner auswendig - rezitiere! Warum widerspreche ich nicht? Bauer ist ernst und väterlich, trotz der jungen Augen. An Ede ist der ganze Kerl jung, trotz der Brille. Ich kann ihn mir auch im hohen Alter nicht bedächtig und weise vorstellen. Im Gegensatz zu Wuntram mit seinem verborgenen politischen Ehrgeiz trägt Ede seinen kulturellen Ehrgeiz offen zur Schau.

      Der Lärm des Mittagessens in der Messhall war verebbt. Hesse saß als letzter hier. Die Küchenbesatzung war bereits beim Tischabräumen. Ehe er hinauseilte, nahm er eine liegen gelassene Pampelmuse an sich. Derartige Köstlichkeiten betrachtete er als Entschädigung, weil er nicht rauchte. Etwas gerührt dachte er daran, dass ihn Ede als Einziger darin bestärkte. Bedrückt hatte Ede einmal gesagt, das Laster hänge ihm seit der Haftzeit an, als er ausprobiert habe, ob Nikotin vor Hunger rebellierende Magennerven zu betäuben vermöge.

      Shelter war nicht mehr in der Kantine. Hesse krempelte sich die Ärmel auf. Zum Feierabend wollte er sämtliche Lieferungen in die Regale geräumt, den Kantinenraum ordentlich und gefegt haben. Möglich, dass es die Semmel besänftigte. Arbeit ist die beste Medizin gegen Kummer lautete einer der weisen Sprüche Papas.

      Ein wenig erstaunt über sich selbst, stellte Hesse fest, dass er zu schwitzen begann und leise vor sich hinpfiff. Das ist schon lange nicht mehr vorgekommen. Jetzt fehlt nur noch ein Brief von zu Hause. Ein Brief von Eliza wäre schon beinahe märchenhaft. Alle warten sie hier auf Briefe. Kriegsgefangene gewöhnen sich daran. Auf ein Lebenszeichen Elizas warten zu müssen ist zermürbend. Ob sie meinen Brief aus McLoin nicht bekommen hat?

      Kurz vor zweiundzwanzig Uhr - offizielle Schlafenszeit, zu der alles Licht in den Baracken erlosch - trat Hesse beim Lagersprecher ein und hängte den Kantinenschlüssel an den Nagel. Wuntram und Kressert arbeiteten noch. Sie hatten Erlaubnis, später schlafen zu gehen.

      Von der ungewohnten Arbeit rechtschaffen müde, trabte Hesse zu seiner Baracke. Die geflüsterten Anpflaumereien der Kameraden, ob er so lange gebraucht hätte, alle Leckereien der Kantine durchzuprobieren, beantwortete er nicht.

      Erst am nächsten Vormittag um elf tauchte Shelter wieder auf. Hesse verbarg rasch das Manuskript Edes, an dem er gearbeitet hatte, und meldete, dass inzwischen neue Lieferungen eingetroffen seien. Der Captain schenkte der Ordnung in der Kantine keine Beachtung und wollte die meisten Waren in den Regalen nun anders untergebracht haben. Die Aufzeichnungen Hesses betrachtete er mit unverhohlenem Missfallen. Ob Hesse gelernter Buchhalter sei? Als der wahrheitsgemäß verneinte, fand die Semmel allerhand zu nörgeln. Auskünfte über Lieferpreise gab er nur widerwillig, erklärte, sie seien ohne Gewähr, die Lieferzettel wolle er bei Gelegenheit heraussuchen. Ohne sich zu verabschieden, war er wieder verschwunden. Und dort lag immer noch die Aufstellung Edes. Hesse schlüpfte erst in die Messhall, als Ede sie bereits verlassen hatte. Unter dem Murren des Küchenkommandos verschlang der Nachzügler Gulasch mit Brei aus Yam. Diese süßfade Kartoffel, Urmutter aller Kartoffelsorten, behagte keinem deutschen Gaumen und war als Rachegericht der Küchenbesatzungen verschrien.

      Beunruhigt wartete Hesse am nächsten Vormittag wieder auf Shelter. Von Wuntram wusste er, dass nächstens Lagergeld auf Vorschuss ausgegeben werden sollte. Begann erst der Verkauf, so würde es immer schwieriger werden, die Buchhaltung nachträglich in Ordnung zu bringen. Shelter kam noch später als tags zuvor. Hesse hatte einen Briefumschlag mit der Anschrift des Captains versehen, Edes Aufstellung hineingetan und den Umschlag zugeklebt. Todernst übergab er ihn Shelter. Der riss den Umschlag auf. Dann zerknüllte er die Aufstellung und nahm sie auf die Stiefelspitzen. Er schien gern Fußball zu spielen.

      Unbewegten Gesichts fragte Hesse nach den Lieferscheinen. Shelter fing wieder an zu brüllen. Ob Hesse glaube, ein Clark werde in die Kantine gesetzt, um einen Captain zu kommandieren? Auf jede dieser hohntriefenden Fragen erwiderte Hesse: "No, Sir." Als sich die Semmel beruhigt hatte, beging Hesse den unverzeihlichen Fehler, zu erklären, er habe gelernt, eine Buchhaltung habe nur Sinn, wenn