Amerikanische Odyssee. E.R. Greulich

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Название Amerikanische Odyssee
Автор произведения E.R. Greulich
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783847686415



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sinken lässt, sind seine Augen noch immer zwei enge Sehschlitze. "Sie fühlen sich sehr sicher. Nicht ein bisschen getarnt. Wenn ihr genau hinseht, könnt ihr sie mit bloßen Augen erkennen."

      Truff schaut eine Weile in die angegebene Richtung und nickt.

      "Scheint 'ne Brustwehr. Amis kann ich nicht sehen."

      Malleck lacht höhnisch. "Wahrscheinlich pennen sie dahinter. - Wir müssen uns zu dem vorspringenden Zacken hinarbeiten. Liegt höchstens fünfzig Meter ab von ihrem Beobachtungsstand." Er sieht Hesse an. "Wer jetzt ein Geräusch macht, den murkse ich ab." Er geht als erster los, kriechend, robbend, geduckt rennend, jeden Felsbrocken als Deckung benutzend. Hesse und Truff tun es ihm gleich. Nach einigen hundert Metern versperrt ihnen der Zacken die Sicht auf die Brustwehr. Sie können wieder aufrecht gehen und kommen schneller vorwärts. Als sie bei dem Vorsprung angelangt sind, glänzt Mallecks Gesicht von Schweiß und Genugtuung. Als kümmerte ihn die nahe Bastion mit der unzulänglichen Brustwehr nicht, betrachtet er die Umgegend. Von unten hat bis auf die Felsnase alles glatt ausgesehen. In Wahrheit befinden sie sich in einem Felslabyrinth, das an eine Mondkraterlandschaft denken lässt. "Zwischen die Klamotten ein paar Volltreffer", sagt Malleck, "das gibt 'ne tolle Schrapnellwirkung."

      Bei diesen Worten läuft es Hesse kalt den Rücken hinab. Da ihn der Unteroffizier fast genießerisch betrachtet, lässt er sich nichts anmerken. "Na Prost!" Malleck nimmt einen Schluck aus der Feldflasche, einen doppelt so langen wie vorher.

      Truff tut es ihm abermals nach. Hesse mag nichts essen und nichts trinken, er ist nur müde. Malleck kraxelt ein wenig herum und sucht einen günstigen Beobachtungspunkt. Nach einer Weile winkt er die beiden zu sich.

      Sie schauen hinunter auf den Artillerieleitstand der Amis. Hier ist kein Fernglas nötig. Hinter der Brustwehr aus lose aufgetürmten Steinen spielt sich alles ab wie auf einem Tablett. Drei Soldaten sind dort. Einer sitzt auf einem Feldstuhl hinter dem Scherenfernrohr, die beiden anderen an einem zusammenklappbaren Tischchen vor einem Vorhang aus Tarnleinen. Sie scheinen zu pokern. Hinter dem Vorhang ist ein Unterstand zu vermuten. Der am Scherenfernrohr kaut Gum. Er hat keine Kopfbedeckung auf, aber eine Sonnenbrille vor den Augen.

      "Wenn ich bloß wüsste, ob hinter dem Vorhang noch welche sind", rätselt Malleck, "die drei allein würden wir schaffen."

      Hesse schluckt, der Magen will sich ihm umdrehen. In den nächsten Minuten wird er einen Menschen anfallen müssen.

      "Gefangene sind besser", flüstert Truff, "legen wir die drei bloß um, sagen die hinten, ihr könnt uns viel erzählen."

      "Was denn sonst?" fragt Malleck. "Höchstens so weit unschädlich machen, dass wir sie nach hinten kriegen."

      Der am Scherenfernrohr schaut auf seine Armbanduhr, macht eine Geste zu den Spielern hin und ruft etwas. Es ist zu hören, Hesse kann es aber nicht verstehen. Die beiden machen das Spiel zu Ende, dann erhebt sich der eine und löst den am Scherenfernrohr ab. Der verschwindet hinter dem Vorhang und kommt mit zwei Flaschen zurück. Er und der am Tisch trinken. Malleck nimmt ebenfalls die Feldflasche. Genießerisch setzt er sie ab. "Das gibt mehr Mumm als Coca-Cola."

      Er säuft sich Mut an, denkt Hesse angewidert.

      Auf dem Weg, der gewunden abwärts von der Brustwehr wegführt, taucht ein Offizier mit einem Soldaten auf. Die Spieler legen die Karten hin, grüßen lässig. Der am Scherenfernrohr macht Meldung. Der Offizier dankt und spricht mit den beiden am Tisch.

      "Mensch", flüstert Malleck aufgekratzt, "hinter dem Vorhang ist keiner. Sonst würde eine verschlafene Figur auftauchen und Meldung machen."

      Der Offizier unterhält sich kurz mit den beiden, dann geht er mit ihnen und seinem Begleiter den Weg hinab, wo sie hinter einer Kehre verschwinden.

      "Großartig", Malleck sprüht vor Glücksgefühl, "ehe die wiederkommen, müssen wir den Knaben haben. - Truff, du deckst vom Überhang über dem Unterstand bis zur Kehre, Hesse unseren Rückzug."

      Wie Schlangen verschwinden Malleck und Truff zwischen dem Gestein, kurz darauf sieht Hesse sie auf den Überhang zurobben.

      Der Mann am Scherenfernrohr sitzt ahnungslos unter dem Sonnendach aus Tarnleinen und schlägt ab und zu nach einer Fliege. Er ist ebenfalls ohne Kopfbedeckung, aber er kaut keinen Gum und trägt keine Sonnenbrille. Er ist sonnenverbrannt, groß und kräftig. Er hat es sich bequem gemacht. Er braucht keine Waffe, weil neben ihm das Telefon steht. Er bietet ein friedliches Bild und erinnert an einen Forscher vor dem Mikroskop. Das Terrain um den deutschen Kompaniegefechtsstand ist sein Forschungsgebiet. Zeigt sich nur eine dieser zweibeinigen Mikroben dort, dann gibt er wenige Zahlen durch den Draht, und heißer Stahl sucht die Mikrobe auszulöschen. Es ist ein kaltes, erbarmungsloses Geschäft. Der Soldat kennt die Flüche derer dort unten. "Feige Bande - mit Kanonen auf einzelne Soldaten schießen!" Vielleicht hebt der Sergeant ein wenig schuldbewusst die Schultern, - sorry, Boys - aber wer ist zuerst in Afrika wie die Heuschrecken eingefallen? Ich habe nie die Absicht gehabt, hier den Maschinentod zu lenken. Dass wir es tun müssen, verdanken wir eurem Führer. Er hat unseren Waffenindustriellen die Chance des großen Profits verschafft. Dafür machen sie mehr Granaten, als wir je verpulvern können. Und so verpulvern wir. Übrigens ist eine Granate billiger als Ausbildung und Ausrüstung eines Soldaten. Wir Amerikaner verstehen zu rechnen.

      Vielleicht denkt der Soldat auch an die zauberhafte Gebirgslandschaft der Betongiganten von Manhattan, aufgeschichtet von Menschenhand, aber hundertmal interessanter als diese Steinwüste hier, dass er jetzt im sprühenden New York das Leben genießen könnte, anstatt sich zu langweilen bei dem "dirty business" gegen diesen Hitler und seine damned Nazis. Der Soldat mag an vieles denken, nur an eines denkt er nicht, dass er in den nächsten Sekunden vor der schwersten Entscheidung seines Lebens stehen wird.

      Atemlos sieht Hesse, wie sich Malleck katzengleich vom Überhang herabgleiten lässt. Das letzte Stück muss er springen. Geröll prasselt ihm nach. Der Soldat schnellt von seinem Hocker. Als er sich umwendet, sieht er Malleck, der sich eben aufrichtet, sieht den Dolch in Mallecks Hand, will sich dennoch auf ihn stürzen. Da gewahrt er den Lauf der Maschinenpistole Truffs, der knurrt: "Hände hoch!" Er zögert eine Sekunde. Wenn er den mit dem Dolch angreift, muss der oben schießen, und die Kameraden sind alarmiert. Aber es kostet das Leben. Dieser Gedanke lähmt. Wie viele ist er ein guter Soldat, aber kein Held. Er hat oft genug Filme gesehen mit ähnlichen Situationen. Immer haben die Überrumpelten die Hände gehoben. Es ist idiotisch, sich wegen einer Lesebuchgeschichte den Tod in den Leib jagen zu lassen. Er hat eine Sekunde gezögert, und das ist schon die Entscheidung gewesen. Malleck weist ihm die Richtung und treibt ihn vor sich her.

      Jetzt rutscht Truff vom Überhang, wirft Scherenfernrohr und Telefon in den Abgrund und folgt den beiden.

      "Na, hat das mal wieder geklappt?" Malleck strahlt Hesse an, der bleicher ist als der Gefangene. "Jetzt kommt deine Arbeit, Söhnchen. Sage ihm, wenn er Fisimatenten macht, kriegt er meinen Dolch in die Rippen."

      Hesse tut es und muss sich Mühe geben, dass seine Stimme nicht zittert.

      Von drüben sind Rufe und Stimmen zu hören.

      "Ab durch die Mitte, ehe sie uns hier einkreisen." Malleck läuft voraus, hinter ihm der Gefangene, dann kommen Hesse und Truff.

      Malleck nimmt nicht denselben Weg zurück, hält sich im Felsgewirr unterhalb der Kuppe, das sich lang hinzieht. Es ist ein Umweg, aber sie sind vor jeder Sicht gedeckt.

      Malleck läuft, wie von Furien gehetzt. Er will sich den Triumph nicht mehr rauben lassen. Jetzt müssen sie ihn befördern. Er hat ausgeführt, woran keiner da unten geglaubt hat, keiner, auch Unschlitt nicht. Plötzlich erzittert die Luft. Es faucht und orgelt über die vier hinweg, zerbirst weit vor ihnen in krachenden Fontänen von Feuer, Staub und Gestein. Der Höllenlärm nimmt zu, einzelne Abschüsse sind nicht mehr zu unterscheiden, aus dem Himmel fällt ein Vorhang aus Stahl, macht das Tal vor ihnen zu einer Landschaft des Weltuntergangs.

      Keuchend bleibt Malleck stehen, sein Gesicht ist verzerrt von Hass und Enttäuschung. "Die Schweine müssen ein Funkgerät im Unterstand gehabt haben. Warum hast du das nicht vernichtet?" herrscht er Truff an. "Jetzt haben wir die Scheiße auf dem Hals!"