Название | Amerikanische Odyssee |
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Автор произведения | E.R. Greulich |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847686415 |
Ein Kommando Wuntrams unterbrach Hesses Grübeln. Der Colonel hatte seine Ansprache beendet. Die ersten dreihundert zogen aus der Halle und an Kressert vorbei, der jedem einen Zettel mit der Barackennummer in die Hand drückte. Draußen standen schon GIs zum Filzen bereit. Jeder PW musste seine Habseligkeiten auf der Erde ausbreiten. Die GIs achteten besonders darauf, dass alle Kleidungsstücke mit einem großen PW in Ölfarbe versehen waren. Dann schnüffelten sie noch nach "Armee-Eigentum" und verbotenem Schriftwerk.
Schadenfroh beobachtete Hesse, wie Hellmann vor einem GI von einem Bein aufs andere trat. Der Soldier mit dem brandroten Haar betrachtete ein Päckchen Postkarten und grinste genüsslich. Endlich schob er die Karten in die Tasche und erklärte ernsthaft: "Pornografie - verboten!"
Hellmann murmelte etwas von persönlichem Eigentum. "
Kannst es ja im Headquarter zurückfordern", frotzelte ihn der GI. Dann trat er zu Hesse. Er schien etwas vom Gesetz der Serie zu halten und forschte augenscheinlich nach Ähnlichem. Als er sich getäuscht sah, wandte er sich fluchend dem Nächsten zu.
Bedauernd rügte Necke den Gefledderten: "Weshalb versteckst du die nackten Weiber nicht besser, wenn du sie schon mit dir herumschleppst."
"Ich hab' sie bei der Kapitulation aus dem Chausseegraben aufgelesen", klagte Hellmann, "und überall durchgebracht, selbst in McLoin, wo wir uns zum Filzen nackend ausziehen mussten."
"Dachtest in Fort Heaven ist so etwas erlaubt?" rief Hesse spöttisch.
Hellmann nahm die Frage ernst. "Sie waren hochkünstlerisch und kein bisschen obszön."
Dieck, bei dem nie jemals Armee-Eigentum oder Pornografie zu finden sein würden, räsonierte: "Immer wieder schmieren sie uns den Hitlersoldaten aufs Butterbrot. Glauben sie, Antifaschisten können keine Ordnung und Disziplin halten?"
Die ständige Krittelei Diecks reizte Hesse, und in bewusst belehrendem Ton erinnerte er an allzu Bekanntes. "Antifaschistenlager gibt es in Amerika nicht, weil zu befürchten ist, es würde Vergeltungsmaßnahmen gegen gefangene US·Soldaten in Hitlerdeutschland auslösen."
"Die Nazis vergelten mit und ohne Angst der Army-Bürokratie, knurrte Dieck.
"Es ist aber besser so für unsere Angehörigen", fand Hellmann. "Die hätten nichts zu lachen, wenn die Braunen wüssten, wir sind in einem Antinazilager."
Erwartungsvoll zogen sie in die angewiesenen Baracken. Unzufrieden waren die PWs, die ein Oberbett bekamen, weil in deren Nähe die Warmluft der Heizung ausströmte und sie ständig in einer Heißluftdusche badeten.
Die haben Sorgen, ärgerte sich Hesse. Es wurde ihm bewusst, und er entschuldigte sich vor sich selbst: Dafür habe ich auch nur knapp einen Meter Lebensraum über mir. Der Himmel meiner Schlafstelle besteht aus den Bodenbrettern des oberen Bettes. Das scheint mir symbolisch. In den anderthalb Jahren ist alles zusammengerutscht. Der erste Tag in amerikanischer Gefangenschaft ist Bestätigung der Wirklichkeit gewesen, wie ich sie erhofft habe - eigentlich noch schöner. Bauer weiß von alldem nichts, aber er ahnt etwas. Er sähe es mit seinen Augen, deshalb versteht er mich nicht. Würde es überhaupt einer von seinen Genossen begreifen? Hesse lauschte auf die plötzliche Stille in dem Holzbau. Lärmend und emsig wie die Ameisen, hatten sie von der Baracke, von ihren Schlafstellen Besitz ergriffen. Jetzt waren sie unterwegs, um die Lage zu peilen. Wo findet sich Holz, dass man sich ein Schränkchen, einen Hocker zimmern kann? Wie sind die Freunde untergebracht? Wo sind die Waschräume? Hesse war es recht, dass ihn das kalt ließ. In sich versunken, hockte er und hing seinen Erinnerungen nach. Erinnerungen können zäh sein wie Kletten. Erinnerungen können quälen, bis sie eingeordnet sind in die berühmte Kausalkette. Dieses Monstrum Amerika wird für mich immer unbegreiflicher. Ist es meine Schuld? Der unwahrscheinliche Anfang der Gefangenschaft ist doch Wahrheit, und ich kann ihn mir nicht oft genug ins Gedächtnis rufen, will ich nicht wie ein Lügner vor mir selbst dastehen. Ich sehe mich noch in der afrikanischen Sonne unter den freundlichen Amerikanern. Der verwundete Sergeant Hampstead befindet sich bereits auf dem Transport ins Feldhospital. Das Notwendige ist getan, jede Abwechslung ist willkommen. Die GIs haben etwas Unerhörtes erlebt. Ein Kraut hat ihren Sergeant niedergeschossen, doch ein zweiter Kraut ist in amerikanische Gefangenschaft gegangen, um das Leben des Sergeanten zu retten. Deshalb überschütten sie Hesse mit ihrem Dank. Die wenigsten führen diesen Krieg aus Begeisterung. Es ist kein smartes Geschäft, auf Menschen zu schießen. Da ist es wohltuend, einem, der es verdient, menschlich gegenübertreten zu können.
Hesse badet sich in der Welle der Sympathie. Er ist einer düsteren Welt entstiegen und in den hellen Tag getreten. Freie Menschen umgeben ihn, Bürger in Uniform, die keine Hemmungen haben, einen Feind zu feiern, weil er als Mensch gehandelt hat. Hesse muss an einen Freund Bauers denken, der erzählt hat, wie ihm zumute gewesen, als er zum ersten Mal den Boden der Sowjetunion betreten hat. Hesse ist überzeugt, das eigene Erlebnis ist größer. Er verachtet Diktaturen. Amerika ist das Land seines Ideals. Und nun empfangen ihn dessen Menschen jubelnd, obwohl er in der verhassten Uniform vor ihnen steht. Das ist amerikanische Größe.
Sie bringen Hesse zu einer geschützten Mulde, wo die kleine Einheit in Zelten haust. Im Zelt Captain Lawsons muss er den Hergang noch einmal erzählen. Die Blicke der GIs hängen an seinem Munde. Sie bewirten ihn mit sagenhaften Dingen wie Bananen, Grapefruits, Schokolade. Manche fragen in einem singenden Amerikanisch, das Hesse kaum versteht. Lawson übersetzt es in sauberes Oxford-Englisch. Schließlich schickt er die GIs hinaus. Er gießt Hesses Trinkbecher voll Kaffee, lehnt sich in seinen Feldsessel zurück und schaut den jungen Deutschen wohlwollend an. "Hatten Sie keine Angst, bei der Rettung Sergeant Hampsteads das Leben zu verlieren?"
Hesse muss überlegen: Hatte ich Angst? Gewiss, um das Leben des Sergeanten. Aber der Captain meint die andere Angst. Hesse hat so viel Heldenkult hinter sich, dass ihn Heroismus anwidert. "Ich hatte Angst - aber bei derartigen Verwundungen darf nicht lange gezögert werden."
Das Gesicht des Captains wird nachdenklich. Der große, stattliche Mann mag eine kleine Fabrik haben. Hesse stellt sich vor, wie Lawson seinen Arbeitern bestimmt und freundlich Anweisungen gibt. Doch dies ist nur ein Gedankenschatten. Viel stärker beschäftigt Hesse die Schandtat Mallecks. Bisher ist keine Zeit gewesen, darüber nachzudenken. Jetzt brodelt das Erlebte in Hesse auf. Er hofft inbrünstig, der Sergeant möge durchkommen. Aber wie auch immer, Malleck ist ein Mörder. Was er dem Sergeanten angetan, hat er Deutschland angetan. Er ist schuldig vor amerikanischen und deutschen Richtern. Sonst wären alle Konventionen fauler Zauber. Zum Glück ist Amerika ein demokratischer Rechtsstaat. Ich werde dem Captain vorschlagen, ein Protokoll über den Hergang ...
In seine Überlegungen fällt die sachliche Stimme Lawsons. "Hätten alle Kameraden Ihrer Einheit so gehandelt?"
Als habe er meine Gedanken erraten, huscht es Hesse durch den Kopf. Auch die deutschen Soldaten stehen bereits in einem Ruf, dass er meine selbstverständliche Handlungsweise als wunder was betrachtet. Hesse bemüht sich ebenso sachlich dagegen zu fragen:
"Sie wissen, dass die Afrika-Schützendivision neunhundertneunundneunzig eine Strafeinheit ist?"
"I know."
"Von den politischen Neunhundertneunundneunzigern hätten wohl die meisten so gehandelt,