Leben - Erben - Sterben. Charlie Meyer

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Название Leben - Erben - Sterben
Автор произведения Charlie Meyer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847623144



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dann begnügten sie sich damit, uns die Tür zu weisen.

      „Tragisch, sein Lebensziel den äußeren Zwängen opfern zu müssen.“ Zoe betrachtete melancholisch ihre knochigen Finger. Auch sie trug jede Menge Ringe, und ich fragte mich, ob das Bedürfnis, sich mit Gold und Silber zu behängen, wohl in den McCullen’schen Genen verankert war. „Aber wenigstens waren die Kühe glücklich. Und Sie sind mit Papa und Mama aufgewachsen und nicht mit einem Trinker oder im Waisenhaus. Womit wir wohl wieder bei Ihrer Frage nach dem Warum das alles? wären, nicht wahr?“

      Ich nickte. Wenn der zwinkernde Edgar und sein Halbbruder nicht bald die Flasche zur Seite stellten, würden sie Arm in Arm aus dem Laden torkeln.

      „Die Sache ist die: Fiona und Bruno sind tot, und wir hier, weil wir erben wollen. Sie wissen schon,“ an dieser Stelle holte sie tief Luft und summte die Melodie zu dem Marilyn Monroe-Song Money makes the world go round, the world go round ...

      „Zoe, bitte, hör mit dieser Summerei auf. Du bist nicht deine Mutter, du hast zwar ihre Stimme, aber der liebe Gott hat vergessen, dir eine Tonleiter mit in die Wiege zu legen.“ Edgar klang gequält. In seiner Gegenwart hatte sie vielleicht schon das eine oder andere Mal gesummt.

      „Du bist ein humorloser Holzklotz, Edgar Kamm. Aber bitte, wie du willst. Der langen Rede kurzer Sinn. Es gibt nichts mehr zu erben. Was immer es gewesen ist, und die Gerüchte reichen von einem mit Centstücken vollgestopften Sparstrumpf bis hin zu Obligationen im Wert von mehreren Millionen, jetzt es ist weg. Entweder hat es nie existiert, oder aber die Mörder haben gründlich aufgeräumt. Kein Bargeld, kein Sparbuch, nicht einmal ein einziger goldener Kerzenständer. Wir sind um die halbe Welt gejettet, jedenfalls der eine oder andere von uns, und stehen nun vor dem Nichts. Also haben wir unsere tote Mutter verkauft.“ Sie beugte sich plötzlich vor, riss Edgar die Schnapsflasche aus der Hand und trank in zwei, drei großen Schlucken den Rest aus. „Ich bin nicht stolz darauf, ganz bestimmt nicht, aber andererseits kann sie wenigstens nach ihrem Tod was für uns tun.“

      „Ich verstehe nicht.“

      „Ganz einfach, Schätzchen. Wir verkaufen die Fotos von Fionas und Brunos Leiche an alle, die sie haben wollen. Die Regenbogenpresse und die großen Boulevardzeitungen werden sich wohl kaum lumpen lassen. Dazu liefern wir ihnen exklusiv unsere eigenen Geschichten. Verlassene Kinder, trunksüchtige Väter, das Waisenhaus. Rabenmutter Fiona McCullen. Eine Story in Fortsetzungen. Man wird sie uns aus den Händen reißen, glauben Sie mir. Unter hunderttausend Euro weigere ich mich ganz einfach, wieder in der Versenkung zu verschwinden. Und Edgar auch, nicht wahr, Edgar?“

      Edgar nickte, zwinkerte jedoch stärker und sah peinlich berührt aus. „Sie müssen das verstehen, es ist nicht so, dass uns keine Skrupel plagen ...“

      „Red keinen Stuss, Edgar, Skrupel würden mich plagen, wenn es sich um meine Mutter handelte. Ich meine im Sinne von - ach, ihr wisst schon. Wegen einer Fiona McCullen plagt mich nicht einmal der Anflug eines schlechten Gewissens. Zugegeben, dass ich mich auf ein derart tiefes Niveau begeben muss, ärgert mich natürlich, aber Skrupel wären absolut fehl am Platz. Du bist doch genauso pleite wie ich, oder etwa nicht? Wo ist denn das große Erbe? Wo klimpern die Millionen, hä? Nix is‘, außer dass uns die Kripo stundenlang verhört hat. Geradeso, als wäre einer von uns der Mörder. Dann, im nächsten Moment heißt es: Tut uns Leid, es war wohl doch der Einbrecher. Aber danke für Ihr Kommen und Auf Wiedersehen. Wir wünschen Ihnen eine gute Heimreise. Pah! Aber nun gut, wir sind hier, wir bleiben und machen das Beste aus dieser Tragikomödie. Wir verkaufen zwei Leichen, was soll’s? Selbst von läppischen hunderttausend Euro lässt sich eine Weile recht nett leben. Keine angemessene Bezahlung für das, was Fiona uns angetan hat, aber hunderttausend pro Nase sind besser als eine lange Nase von ihr.“

      Edgar hatte angefangen, nervös mit seinem Fuß zu wippen und knabberte an der Unterlippe, während er jeglichen Blickkontakt mied. Eine Weile schwiegen wir alle und hingen unseren Gedanken nach. Ich konnte mich nicht zwischen Verständnis und moralischer Entrüstung entscheiden und war in dem Sumpf dazwischen steckengeblieben.

      „Vielleicht sollten wir zum Geschäftlichen kommen“, zog mich Zoe wieder auf festen Boden.

      Edgar hörte auf zu wippen und sah erleichtert aus. In den schwarzen Pupillen des Indianers spiegelte sich die Schnapsflasche wider. „Was wir wollen ist Folgendes. Wir wollen eine Leiche, in der man den Hollywoodstar Fiona McCullen wiedererkennt. Bruno ist unwichtig. Er sollte vielleicht etwas aufgebessert werden, aber letztendlich kommt es nur auf sie an. Sie soll wie eine Diva aussehen. Glauben Sie, Ihr Boss bekommt das hin?“

      Ich lächelte unwillkürlich. „Er ist ein Künstler, soviel kann ich Ihnen versprechen. Möchten Sie vielleicht ein paar Vorher-Nachher-Fotos sehen?“

      „Bloß nicht!“, stieß Edgar hervor und begann erneut mit seinem Fuß zu wippen.

      „Her damit!“, forderte Zoe resolut, und ich ging die Ledermappe aus dem Hinterzimmer holen.

      In den Augen des Indianers spiegelte sich keine Flasche mehr, als ich wiederkam. Er hielt sie geschlossen und schien mit verschränkten Armen ein Nickerchen zu machen. Edgar beobachtete demonstrativ einen Weberknecht, der halb tot in einer Zimmerecke hockte. Kurzzeitig fühlte ich mich an eine Schmierenkomödie erinnert. War die Welt wirklich so theatralisch, wie sie mir momentan vorkam, oder stimmte etwas mit meiner Wahrnehmung nicht?

      Zoe blätterte die Fotokartons um. „Meine Fresse!“, murmelte sie andächtig. „Der könnte aus mir glatt einen Edgar schminken. Vielleicht sogar den Häuptling. Ein begnadeter Künstler, in der Tat. Jungs, ich glaube, wir sind hier goldrichtig. Wie teuer?“

      „Den Preis“, entgegnete ich mit Würde, „sollten sie mit dem Maestro am Telefon aushandeln. Für eine echte Herausforderung kommt er Ihnen bestimmt entgegen. Sie haben nicht zufällig ein Bild aus Fionas Hollywoodzeit dabei?“

      Zoe hatte, und zwar nicht nur eins, sondern ein Dutzend Bilder. Das früheste Foto zeigte Fiona beim Bruderkuss mit Hitler, das neuste war ein Standbild aus Verlorene Tage. Mir fiel etwas ein.

      „Diese herrliche alte Villa. Erben Sie nicht das Haus?“ Erneut versuchte ich mein Erschrecken zu verbergen. Wenn ich weiterhin so ausrutschte, brach ich mir unweigerlich die Nase, und den Bruch konnte ich dann im Knast auskurieren. „In der Zeitung stand, sie wohnten in einem großen Haus irgendwo da oben am Hang des Klüts, und ein Freund sagte mir, es sei eine herrliche alte Villa aus der Gründerzeit. Können Sie das Grundstück samt Villa nicht verkaufen und den Erlös unter sich aufteilen?“

      Unter dem energischen Zuklappen der Ledermappe zuckten wir alle zusammen. Die Augen des Indianers öffneten sich einen Spalt, spähten misstrauisch umher, und taten sich dann, als er sah, dass die Luft rein und die Mappe zu war, ganz auf. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sein Stamm die Feinde noch am Pfahl marterte. Er schien mir sehr zart besaitet.

      „Das Haus? O Gott, Schätzchen, das verdammte Haus gehörte ihnen ja nicht einmal. Schlimmer noch, stellen Sie sich diese Frechheit vor, der Eigentümer verlangt von uns das Geld für eine komplette Renovierung. Ausgerechnet von uns. Da lachen ja die Hühner.“ Sie legte den Kopf in den Nacken und lachte schallend. Es hörte sich in etwa so fröhlich an wie das Geheul eines einsamen Wolfs.

      „Ach du Sch ... Schande. Und da denke ich die ganze Zeit, ich hätte Probleme.“

      „Wollen Sie darüber reden? Ich ziehe Ihnen für die Therapiestunde auch zehn Prozent Rabatt ab.“

      „Nein, besten Dank, aber ich könnte vielleicht meinen Sohn und meinen Ex an Sie weitervermitteln. Sind Sie wirklich Psychotherapeutin? In Südafrika?“

      „Ein Platz ist da so gut wie jeder andere, oder glauben Sie, am Kap gibt’s keine Mynheers mehr, die sich für den Nabel der Welt halten, und daran verzweifeln, dass die Schwarzen sie nicht mehr Bwana nennen und vor ihnen im Staub kriechen? Nein, Psychotherapie ist wohl der einzige Job, den man sogar bei den Eskimos ausüben könnte, wenn man denn Waltran oder eine tote Robbe als Bezahlung akzeptiert. Allerdings hatte ich in letzter Zeit etwas Pech und bin daher ein wenig knapp bei Kasse.“

      „Tut mir Leid