Leben - Erben - Sterben. Charlie Meyer

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Название Leben - Erben - Sterben
Автор произведения Charlie Meyer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847623144



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des Todes ein Schnippchen zu schlagen und den geliebten Verstorbenen optisch ins Leben zurückzurufen. Ich möchte in diesem Zusammenhang nicht gerade von einem Grund zur Freude sprechen, ich denke, positiver Kreativismus trifft es eher. Eine Unternehmensphilosophie, der sich stimulativ natürlich auch das Ambiente anzupassen hat.“ Improvisieren beherrschte ich etwas besser als Lügen, doch während mich drei Augenpaare verblüfft anstarrten, überlegte ich, ob es das Wort Kreativismus im offiziellen Wortschatz überhaupt gab, und wenn ja, was zum Teufel es dann bedeutete.

      „Ich denke aber doch ein wenig Pietät ...“, erwiderte er mit gerunzelter Stirn und blinzelte nervös hinter seinen Brillengläsern.

      „Ach Gott, lassen wir doch diesen müßigen Smalltalk. Komm zur Sache, Edgar, oder halt den Mund“, platzte die Frau plötzlich heraus, und mein Magen verkrampfte sich. Diese samtene Stimme hatte ich doch vor Kurzem erst gehört. „Am besten, du lässt mich das machen. Du bist zu dämlich, und unser kleiner Winnetou hier versteht doch nur Bahnhof.“ Sie holte tief Luft, doch der Herr namens Edgar war schneller, kam aber nicht allzu weit mit seinen Erklärungen.

      „Wir wollen eine Aufbahrung. Das heißt, eigentlich brauchen wir zwei Aufbahrungen, denn ..:“.

      „Lass sein, Edgar. So wird das nichts. Also, meine Mutter und ihr Ehemann sind vor Kurzem von uns gegangen.“ Edgar und sie blickten pietätvoll auf ihre Schuhspitzen, der kleine Winnetou vergewisserte sich, dass ihn niemand weiter beobachtete, und grinste mich breit an. Ihm war kein Schneidezahn abgebrochen, und sein Gebiss konnte jeden Bären in die Flucht schlagen. Meine Phantasie stellte ihn sich kniend in einem Kanu oder im Lendenschurz mit Pfeil und Bogen vor, wie er über die weiten Ebenen der Prärie in den Sonnenuntergang ritt. Im Anzug mit schwarzer Krawatte wirkte er verkleidet.

      „Mein Beileid“, murmelte ich und versuchte, an den Zähnen vorbeizublicken. Woher kannte ich bloß diese samtene Stimme? „Ein Unfall? Ich meine, weil beide auf einmal ...“ Abgetreten? Abgenippelt? In eine bessere Welt gegangen sind? Himmelherrgott, was sagte man bloß. „... verstorben sind?“, stieß ich mit einer Erleichterung hervor, die bei meiner Kundschaft erneut Irritation auslöste. Man tauschte beredte Blicke aus. Nur die tiefschwarzen Augen des Indianers wandten sich nicht von mir ab. Mir schien, sie flirteten mit mir, doch durch mein Leben geisterten schon genug problematische Männer, einen grinsenden Indianer, der gerade seine Eltern verloren hatte, konnte ich keinesfalls brauchen.

      „Nein“, entgegnete die Frau finster. „Sie sind erschossen worden. Alle beide, und zwar aus nächster Nähe. Wollen Sie mir etwa weismachen, Sie hätten von dem Doppelmord an unserer Mutter und ihrem Mann nichts mitgekriegt? Es ist eine Schande. Man sollte meinen, die ganze Welt nimmt Anteil an der brutalen Ermordung von Fiona McCullen, doch wo sind sie denn, die Reporterscharen, die Hamelns Gassen verstopfen? Wo sind die Kameraleute, die mir und meinen Geschwistern die Bude einrennen?“

      Ich war froh, bereits zu sitzen, sonst hätte ich mir auf dem harten Boden mit Sicherheit das Steißbein gebrochen. Es war, als hätte mir jemand von hinten in die Kniekehlen getreten. Mein Mund wurde trocken, die Stimme blieb mir weg. F.C.! Deshalb war mir die Stimme der Frau so unangenehm vertraut vorgekommen. Vor mir standen die Hinterbliebenen von F.C. und Bruno. Einen Moment lang geriet ich in Panik. Falls ich so schuldig aussah, wie ich mich fühlte, würde gleich die Tür aufspringen und eine Hundertschaft Polizisten das Büro stürmen. Da sitzt sie, die Frau vom Steckbrief. Greift sie euch!

      Und nicht nur das. Ich verbarg etwas, was dem Erben gehörte. Doch wer von den Dreien war denn der Erbe? Eine Klausel meines Vertrages mit F.C. lautete: abwarten, bis sich der rechtmäßige Erbe mit der rechtmäßigen Legitimation bei mir meldete. Und schon rückte ich den Hund heraus. Außerdem besaß Churchill kaum mehr als einen nostalgischen Wert, sodass von Unterschlagung oder einer ähnlichen Straftat wohl kaum die Rede sein konnte. Trotzdem fühlte ich mich wie ein Kaufhausdieb, der mit seinen vollen Taschen gerade flüchten will und zwischen sich und dem Ausgang einem Detektiv ins finstere Antlitz blickt.

      „Natürlich habe ich von den schrecklichen Morden in der Zeitung gelesen“, krächzte ich mühsam. „Aber aus welchem Grund sollte ich gerade Sie mit dem Drama in Verbindung bringen? Ich sehe selten fern, ich lese keine Zeitung, und begegnet sind wir uns meines Wissens nach auch noch nicht. Außerdem sterben bei uns hier in der Provinz auch Leute, die nicht erschossen werden. Die Medien waren übrigens da, sie sind nur schon wieder weg.“

      Edgar und die Frau mit den metallicblauen Haaren blickten sich an, als berieten sie in einer stummen Konferenz über Sinn oder Unsinn des Gehörten. Der Indianer nutzte ihre wortlose, vertrauliche Zwiesprache für ein erneutes breites Grinsen, das er allein mir widmete. Es war, als explodiere eine Leuchtrakete am nachtschwarzen Himmel, und ich fuhr unwillkürlich zurück. Doch unmittelbar darauf verwandelte er sich wieder in einen offiziell trauernden Indianer. Züchtig gesenkter Blick, geschlossene Lippen. Während das Grinsen noch auf meiner Netzhaut brannte, widmeten mir Edgar und die Frau wieder ihre volle Aufmerksamkeit. Im Laufe unserer Unterhaltung hatte ich mehrfach mit dem Gedanken gespielt, ihnen mit weltmännischer Geste einen Platz anzubieten, doch wir hatten nur zwei Besucherstühle, und ich wollte mit den Dreien nicht unbedingt Reise nach Jerusalem spielen.

      Edgar meldete sich nach einer Reihe bronchienbefreiender Räusperer blinzelnd zu Wort. „Ich“, er tippte sich auf die Brust, „bin Apollonius McCullen, Fionas Erstgeborener, und das hier ist meine Schwester Zoe. Der Kerl auf meiner anderen Seite dürfte der letzte Bastard sein, den sie zur Welt gebracht hat. Zumindest konnte die Polizei keine weiteren ausfindig machen. Angeblich ist er ein halber Cheerokee-Indianer. Dancing Wolf oder Crying Coyote, was weiß ich? Er ist der jüngste McCullen und wurde ein knappes Jahr nach der Haftentlassung unserer Mutter geboren. Sie hatte sich mit irgendeinem Häuptling aus irgendeinem Reservat eingelassen. Aber wie üblich verschwand sie nach der Geburt, und es gehen merkwürdige Gerüchte um, ob der Kerl hier tatsächlich Fionas kleiner Indianerbastard ist oder ihr nach dem Tod des echten Kindes nur untergeschoben wurde. Wie auch immer, er hat jedenfalls eine Geburtsurkunde, auf der McCullen steht, also kann man ihm nichts Gegenteiliges beweisen.“

      „Heutzutage lässt sich alles fälschen“, warf seine Halbschwester ein. „Ein guter Scanner, ein Farbkopierer, mein Gott, Edgar, siehst du nie fern?“

      Das mit dem Scanner stimmte, wie Uwe anhand unserer Mietvertragskopie für den Hartz IV-Antrag bewiesen hatte.

      „Die Amis haben Satelliten in den Weltraum geschossen“, fuhr sie fort, „die können von ganz da oben runter den Rattenfänger knipsen, wie er mit den Ratten durch die Straßen dieses netten kleinen Ortes zieht, und dann tauschen die hier und da ein paar digitale Pixel aus, und schon sieht er nicht mehr wie der Rattenfänger, sondern wie Rumpelstilzchen oder der Weihnachtsmann aus.“

      „Also erstens machen das mit den Satelliten alle, Zoe. Die Russen, die Japaner, sogar wir. Die ganze Welt jagt da oben rum und bespitzelt sich gegenseitig. Außerdem ist die digitale Verfälschung eines Fotos im Computer doch mittlerweile so alt wie Methusalem“, warf Edgar mürrisch ein. „Die sehen übrigens nich‘ nur den Rattenfänger, diese Satelliten, o nein, die sehen sogar den nassen Fleck auf dem Schnabelschuh des Rattenfängers, da, wo ihm die Spucke aus der Flöte getropft ist. Den Fleck auf seinem Schnabelschuh, ich sag’s dir.“

      „Halt die Luft an, Edgar, und denk nach, bevor du so einen Unsinn von dir gibst. Und hör endlich auf, dich als Apollonius McCullen vorzustellen, in deinem Pass steht Edgar Kamm, und du bist der Sohn aus ihrer ersten Ehe mit diesem Nazi. Wie du dich den Zeitungsfritzen gegenüber nennst, interessiert niemanden. Apollonius, ich bitte dich! Übrigens bin ich nach dieser Küsschen-rechts-Küsschen-links-Szene im Fernsehen beinahe auf dumme Gedanken gekommen. Vielleicht, mein Lieber, heißt du gar nicht Kamm, und dein Vater war in Wirklichkeit dieser kleine Kerl mit dem Nasenbärtchen ...“ Sie lächelte süffisant.

      Das Gesicht ihres Halbbruders verfinsterte sich. „Noch ein Wort in dieser Richtung, ein einziges Wort, und ich verklage dich auf eine Million Schadenersatz wegen Rufmord. Und zwar in Dollars!“

      „Tu das. Das zeigt nur, wes armseligen Geistes Kind du bist. Der Euro steht viel höher im Kurs.“

      „Aber Ihr Name ist wirklich Zoe?“, wagte ich eine Zwischenfrage, um einem ernsthaften