Leben - Erben - Sterben. Charlie Meyer

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Название Leben - Erben - Sterben
Автор произведения Charlie Meyer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847623144



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versteckte sich Fiona in Südafrika vor der negativen Publicity wegen dieser Hitlerszene und noch einigem sonst. Wir waren gewissermaßen das uneheliche Zwischenspiel, bis es ihr bei den Buren zu langweilig wurde. Da färbte sie sich die Haare blond, flog nach Amerika und versuchte es noch einmal als Filmstar. Alles, was sie für ihre Kinder jemals getan hat, außer sie nach kurzer Zeit zu verlassen, war, ihren Namen in den Geburtsurkunden eintragen zu lassen, sodass wir alle gleichermaßen erbberechtigt sind. Wie man sieht, konnte keiner der Versuchung widerstehen, sich das McCullen-Gold unter den Nagel zu reißen. Der Häuptling hier kommt extra aus seinem amerikanischen Reservat, ich aus Südafrika und der liebe Edgar aus Esens in Ostfriesland. Der Häuptling ist Gott sei Dank so stumm wie Edgar schwatzhaft, nicht wahr, du kleiner, dummer Plattfußindianer?“ Sie zupfte ihn am Anzugärmel.

      Der Schwarzhaarige nickte freundlich, dann, als sich Edgar und Zoe ansahen und ihre Augen verdrehten, schoss erneut dieses grandiose Grinsen über sein Gesicht, und er zwinkerte mir zu. Offenbar verstand er jedes Wort, war aber entweder ein Mensch mit seltsamem Humor oder ein gerissener Taktiker, der die Konkurrenz bluffte, um an Informationen heranzukommen, die ihm sonst vorenthalten wurden. Edgar und Zoe schienen sich als Halbgeschwister mehr oder minder miteinander abgefunden zu haben, doch den Schiller’schen Wunsch eines amerikanischen Indianers - Ich sei, gewährt mir die Bitte, in eurem Bunde der Dritte - als Zumutung zu empfinden.

      „Hatte Fiona noch mehr Kinder?“, fragte ich neugierig.

      „Wer weiß? Es gehen da so Gerüchte um.“ Zoe klang nicht weniger verbittert als ich, wenn ich mit dem Spiegel über mein verpfuschtes Leben debattierte. „Schätzungsweise zwischen eins und einem Dutzend.“

      „Und was ist mit den Vätern?“

      „Was soll damit sein? Meiner ertränkte sich nach ihrem Verschwinden im Genever, bis man ihn mit seiner eigenen Leber hätte erschlagen können. Ein Jahr und er war mausetod. Bei dem von unserem Häuptling hier gibt es zwischen Selbstmord und lebt noch etliche Versionen. Und Edgars Nazi-Papa ... Tja, mein Lieber, irgendeine Ahnung, wo er stecken könnte? Peru? Brasilien? Wo ist er wohl abgeblieben?“

      „Das entzieht sich meiner Kenntnis“, entgegnete Edgar steif. „Ich war erst wenige Monate alt, als er spurlos verschwand. Wahrscheinlich haben ihn die Alliierten an die Wand gestellt und erschossen. Meine Mutter wird mehr darüber gewusst haben, denn nach allem, was ich hörte, wollten bei Kriegsende beide gemeinsam ins Ausland fliehen, doch nur sie kam an. Mich ließen sie übrigens auf den Altarstufen einer Klosterkirche zurück. Ich bin in einem Waisenhaus aufgewachsen, das von Nonnen geleitet wurde.“ Er sah einen kurzen Moment lang fromm gen Decke, bevor er mit einem Schauder den Kopf wieder senkte.

      Ich blickte den Amerikaner fragend an, doch er fiel auf den Trick nicht herein. Zurzeit war er wieder nichts als ein schweigender, trauernder Indianer mit unergründlichen Augen. Irgendwie fing ich an, mich an ihn und sein Blitzgrinsen zu gewöhnen, hoffte aber, gleich nach Feierabend wieder zur Vernunft zu kommen.

      In diesem Moment stieß ein Fuß beherzt die Tür vom Hinterzimmer auf, und auf einem Aluminiumgestell mit Rädern rollten die beiden Abgesandten des Beerdigungsinstituts Koslowski James‘ Sarg vorbei.

      „Hey, ihr beiden“, begehrte ich gereizt auf, während sich Fionas Söhne verschreckt an die Wand drückten, und Zoe dem Sarg ungerührt einen freundschaftlichen Klaps verabreichte, als er vorüberrollte. „Ging das nicht auch über den Hof?“ Ich hatte keineswegs vor, mich an einen Leichendurchgangsverkehr zu gewöhnen.

      „Der Heribert sagt, wir können vorn raus, wenn keine Kundschaft da ist“, erklärte der vordere der beiden.

      „Und? Seid ihr blind, oder sind wir unsichtbar? Ich habe Kundschaft!“ Das Interessante an meiner Einstellung zur Arbeit ist, dass ich es hasse sie anzutreten, mich aber sofort mit ihr identifiziere, sowie ich drin bin. Egal, in welchen Job es mich verschlägt. Letzten Weihnachten entdeckte ich meine außergewöhnliche Begabung im Straßenverkauf von Tannenbäumen.

      „Als wir kamen, war da noch niemand“, nörgelte der Hintere.

      „Dass ihr nichts gesehen habt, liegt an den Mach3, mit denen ihr hier durchgesaust seid. Ein ICE sieht die Ameise auch nicht, die auf den Schienen hockt. Das nächste Mal geht’s vielleicht etwas zivilisierter, und ein nettes kleines Hallo zur Begrüßung wäre auch nicht verkehrt.“

      Sie verschwanden mitsamt der Leiche, und die Atmosphäre im Raum lockerte sich wieder ein wenig auf. Der Indianer tastete sich an einen der Stühle heran, und Edgar tat es ihm gleich und begann umständlich seine Brille zu putzen. Somit war die Platzfrage geklärt. Ich stand auf, rollte Zoe meinen Bürostuhl um die Ecke und hockte mich ein weiteres Mal an diesem Tag auf die Schreibtischkante, während ich auf meinen Gedankenzettel unter die Rubrik Kuhn abknapsen Stuhl schrieb.

      „Eins verstehe ich nicht“, begann ich erneut, ohne auch nur im geringsten zu ahnen, dass die beiden Bestattergehilfen von Koslowski gerade meinen neuen Spitznamen Xanthippe in die Welt hinaustrugen. „Ich möchte natürlich nicht indiskret sein, aber keiner von Ihnen scheint für Fiona Sympathie oder gar Liebe aufzubringen. Warum dann der Umstand mit der Aufbahrung? Ich meine, mit einem Loch im Kopf und diesen Gräulichkeiten, die die Pathologen wahrscheinlich mit ihr und Bruno angestellt haben, ist es doch seltsam, solchen Aufwand zu betreiben. Mal davon abgesehen, dass es auch ein paar Euros kostet?“ In diesem Moment schoss mir siedend heiß durch den Kopf, dass ich gerade Brunos Namen genannt hatte, obgleich er bisher nicht ein einziges Mal gefallen war. Ich merkte, wie mir die Farbe aus den Wangen wich, und ich merkte, wie Zoe es bemerkte. „Tut mir Leid“, stieß ich hastig hervor. „Ich habe mich immer noch nicht an den Gestank dieser Einbalsamierungstinktur gewöhnt.“

      Der Indianer sah aus, als würde er gleich vom Stuhl kippen, und Edgar begann trocken zu würgen. Ich wurde noch blasser und kramte aus dem Papierkorb die Schnapsflasche, die ich bei der Durchsicht der Schubladen ausgegraben hatte. Sie wanderte von Mund zu Mund, und ich hoffte inständig, dass sie wirklich Schnaps enthielt und kein Embalming Flower mit einem Schuss Sandelholz. Doch was auch immer uns durch die Kehle rann, es wirkte dahingehend, dass sich meine Kundschaft wieder beruhigte. Ich mich ebenfalls.

      „Sie erwähnten vorhin Bruno“, begann Zoe das Gespräch von Neuem, während die Männer den Schnaps noch unter sich kreisen ließen. „Kannten Sie ihn?“

      „Nein!“ Ich versuchte so glaubwürdig wie möglich zu klingen und fragte mich, ob Zoe die Beschreibung von der etwas übergewichtigen Mordverdächtigen, die per Fahrrad flüchtete, gelesen hatte und gerade ihre Vergleiche anstellte. „Aber der Name stand ein paar Tage lang jeden Morgen in der Zeitung, genauso wie der von Frederike Kamm alias Fiona McCullen. Aber bei Bruno konnte ich mir nur den Vornamen merken. Vom Nachnamen ist mir so, als ob er mit C anfing, aber mehr bekomme ich nicht zusammen.“

      „Cassebohm“, sagte Zoe, musterte mich aber immer noch aufmerksamer, als mir lieb war. „Hatten Sie nicht gerade erwähnt, Sie läsen keine Zeitung? Na ja, wie auch immer - wie heißen Sie eigentlich?“

      „Pusch! ... Amaryllis Pusch.“ Ich nuschelte das Pusch zu einem Psch zusammen und beglückwünschte mich zu meiner Geistesgegenwart, nicht Delia gesagt zu haben.

      „Amaryllis, was für ein wunderschöner Name. Ein Name, so außergewöhnlich, dass ich ihn bestimmt nicht wieder vergesse. Woher kommt er?“

      Scheiße, dachte ich spontan. Bloß das nicht. Vergiss ihn ganz schnell wieder.

      „Als ich geboren wurde, waren meine Eltern gerade in ihrer Flower-Power-Phase, hörten Peter, Paul and Mary und guckten Woodstock im Fernsehen. Damals wollten sie aus ihrem Bauernhof eine Landkommune machen, aber die anderen Bauern waren dagegen, und so mussten sie sich damit begnügen, ihren Kühen Blumenkränze umzuhängen und ihr Kind Amaryllis zu nennen.“ Eigentlich war ich auf den Namen Amaryllis Magnolia Pusch getauft worden, hatte mich aber schon mit fünf Jahren in Delia umbenannt. Die Lieblingskuh unseres Nachbarn hieß so, aber mir half der Name wenig. Ich buhlte nach wie vor vergeblich um die Gunst meiner Eltern. Sie waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Als ich auszog, hatte sie das Dorf bereits zu biederen, abgekämpften Bauern umerzogen, die mit den Sorgen um die Gerstenernte