Wir sind Unikate, Mann. Norbert Johannes Prenner

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Название Wir sind Unikate, Mann
Автор произведения Norbert Johannes Prenner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742773401



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auf einmal, bamm!, und Arno hielt ein wenig inne, dann fuhr er fort. Da hat dieser Kerl doch glatt einen Bestseller gelandet, oder schlimmer noch, da wird sein Erstlingswerk bereits im Theater aufgeführt. So mir nichts dir nichts. Wasner runzelte die Stirn. Und dann, liest du die Kritik, verstehen Sie mich?, fragte Arno und erwartete keine Antwort. Wasner nickte. In dem Stück geht es um nichts, lachte Arno, um nichts, sag´ ich Ihnen, höchstens um einen literarischen Furz, der irgendwo nach zwei drei Wochen zwischen den Regalen verdampft, spurlos, und nicht wieder auftaucht. Und die Probleme die darin angesprochen werden? Wieder hielt er inne.

      Die Probleme, mein Gott, es handelt sich um Komaartiges, ja, Komaartiges, auf der Bühne, perfekt gestylt, so auf den ersten Blick, durchwachsen von fremden Elementen, die sich einmischen, weil die Regie es so will und weil die da oben glauben, die da unten sind blöd und merken nicht, dass es Klamauk ist. Arno war lauter geworden. Der Professor ruckte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Aber Arno war noch nicht zu Ende. Alles beruht auf dem sagenhaften Anspruch, mehr zu sein als es ist, aber das Stück wird diesem Anspruch nicht gerecht, in keinster Weise! Arno dachte nicht daran, seine Stimme zurückzunehmen, im Gegenteil, er war eine Nuance lauter geworden. Und wissen Sie, worum es gegangen ist? Ums Saufen, schrie Arno. Immer der ewige, triviale Anlass, das Saufen und, er lachte laut auf, natürlich, den Tod, um den Tod, was denn sonst? Fällt ihm ja nichts anderes ein, diesem Dilettanten. Saufgelage und der Tod! Originell, was?

      Arno lachte, dass dem Professor irgendwie unheimlich wurde und dieser rasch zum Glase griff, und einen, diesmal größeren Schluck als vorhin, zu sich nahm, und noch einen, und gleich darauf noch einen. Nur weiter, ermunterte er ihn, obwohl – er fand hier eine Situation vor, in der er sich in diesem Hause noch niemals zuvor befunden hatte. Immerhin war er der Literaturprofessor, und dieser Herr hier war im Grunde ein Niemand, einer, der erst kürzlich seinen Job verloren hatte, und es war bisher immer seine Sache zu sagen, was Literatur zu sein hatte und was nicht. Was erdreistete sich dieser? Wasner fühlte eine Ohnmacht aufsteigen und er fühlte, dass er dem Hass, der von Arno auszugehen schien, im Augenblick gar nicht gewachsen war. Arno bemerkte, was in Wasner vorging, ließ sich aber nicht irritieren durch die gewisse Verletzung der Gastfreundschaft durch seine heftigen Worte und er lachte immer noch, bevor er, nun eher lächelnd, sagte:

      Die Grenzen, lieber Professor, die Grenzen zwischen Leben und Tod, denken Sie nur an Hofmannsthal, dieser ewige, ausgeleierte Themenhype, mein Gott, wie ich es hasse, dieses Gejammer nach immer ein- und derselben Frage, was wird danach sein, und was ist jetzt, und wie ist es, ich kann es nicht mehr hören, verdammt noch einmal, ich kann und will diese Scheiße nicht mehr hören, weil es mich jedes Mal daran erinnert, wie blöde wir eigentlich sind, weil wir keine Ahnung haben was läuft, Sie nicht, und ich nicht. Aber alle machen sich wichtig, nehmen sich so wichtig, als wüssten sie was, verstehen Sie? Da kommt irgendein Arsch von irgendwo her, schmeißt ein paar Ideen auf ein Blatt Papier, die nicht einmal noch durchgekaut sind, das ist O.K, und dann? Was kommt dann? Nichts! Am Ende ist er! Aus! Fällt ihm nichts mehr ein! Das war’s.

      Und wegen der paar mickrigen Zeilen kriegt irgendein ausgehungerter Intendant gleich einen Orgasmus auf offener Straße und schon wird das Kulturbudget angebohrt, weil er wen kennt und der Schmarren landet, hast du es nicht gesehen, innerhalb einiger Wochen auf der Bühne. Arno griff zum Bierglas und setzte es längere Zeit nicht ab. Dann wischte er sich den Mund ab, ordentlich, mit einer Serviette, so ganz gesittet und atmete erst einmal durch. Der Professor war klein geworden. Stumm war er. Klein und stumm, und er war in sich zusammengesunken, als würde er nie wieder ein Wort sagen können. Aber tief in seinem Inneren, da arbeitete es heftig, da mahlten die Zahnräder seiner aufgewühlten Gedankenmaschinerie ineinander, da zerstob der Ideenkies in seinem Gehirn zu feinem Staub, augenblicklich unfähig, etwas Vernünftiges zu entgegnen, und er trank schnell vom Bordeaux, und Arno goss nach, und Wasner trank wieder und sein Gesicht wurde langsam rot und röter. Arno setzte sich in Siegerpose ihm gegenüber.

      Jetzt hatte er genug Bier getrunken, um stabil zu sein. Wissen Sie noch etwas, Professor, die Ohnmacht der Regie, wissen Sie, woran die abzulesen ist, wissen Sie das? Wasner verneinte scheu. Daran, dass es plötzlich einen Bruch gibt im Ablauf, und genau dort, lieber Professor, darf wieder alles drinnen sein was bisher gefehlt hat, szenisch, wenn Sie wissen, was ich meine! Weil aus der Feder des genialen Schriftstellers nichts mehr herauszuholen war, kein Tropfen mehr! Man zaubert da oben etwas aus der Tasche und glaubt immer noch, dass die da unten blöde sind. Aber was soll ich noch sagen? Die da unten sind blöde! Und wissen Sie auch warum? Wasner wich entsetzt mit dem Kopf zurück. Weil sie danach auch noch klatschen, die Arschlöcher, deshalb! Haahaha, lachte Arno diabolisch und Wasner begann auf der Stirne zu schwitzen wie ein Firmling. Mitkommen wäre erwünscht gewesen da unten, mitkommen, um was geht’s eigentlich, aber das scheint ohnehin egal zu sein. Erlaubt ist, was gut aussieht und laut ist, ordinär, vulgär, einfach deppert. Dann ist es gut!

      Dann wirkt es, was? Prost, Herr Professor. Wenn einer schon lustlos an so einem Thema herumeiert und noch weniger Lust hat, den ganzen Scheißdreck zu Ende zu denken, dann würde ich sagen, schmeiße ich es ihm wieder hin, oder etwa nicht? Was sagen Sie, lieber Professor? Sagen Sie was, forderte ihn Arno auf, beinahe unangenehm. Der Professor hatte sich mit Mühe erhoben. Er war äußerlich blutrot im Gesicht, vor Anstrengung, innerlich jedoch leichenblass, zum Sterben. Lieber Freund, stammelte er heiser, mir – verstehen Sie mich, mir – ich bin nicht ganz wohl. Vielleicht lassen wir’s für heute, ja, nicht wahr? Sie erlauben, dass ich mich – Schon geh´n, scheinheiligte Arno? Aber es ist doch noch nicht – Schon spät, sagte Wasner. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht. Und – junger Freund, Sie sollten sich nicht so aufregen. So jung sind Sie nun wieder auch nicht mehr. Bedenken Sie, denken Sie an Frau Constance! Sie trinken zu viel, lieber Freund, sagte ausgerechnet der Professor und Arno brachte ihn zur Tür. Einen schönen Abend noch, wünschten sie sich beide. Dann schloss Arno die Tür hinter ihm.

      Kapitel 5

       Über das Unerträgliche des Geschriebenen

      Zwei Tage später kam Arno in den Sinn, innerlich noch ganz aufgewühlt durch sein seltsames Verhalten dem Professor gegenüber und sogar etwas verunsichert dadurch, nun gut, er war ganz einfach besoffen gewesen, als sollte er selbst zu Papier und Bleistift greifen, um seiner Empörung darüber, was heutzutage geschrieben wurde und schon als Literatur galt, oder man auf der Bühne serviert bekam, Luft zu machen, gleichzeitig aber dieses Hirngespinst wieder zu verwerfen gedachte, sich dann aber trotzdem aus seinem roten Samtfauteuil erhob, um nachzusehen, ob der alte Laptop noch funktionstüchtig wäre, den Constance längst für sich durch einen moderneren ersetzt hatte. Und er sagte sich im Gehen, dass man es nur versuchen müsste, auch wenn es nicht gleich so gelänge, wie er es sich vorstellte, so hatte er immerhin eine Ahnung dessen, wie denn sein Aufsatz über das Ableben der Literatur zumindest enden sollte.

      Immerhin etwas, überlegte er und stöberte solange in allen Laden und Kartons, ja er ruhte nicht eher, bis dass er tatsächlich fündig wurde und den alten Dell Latitude LM zwischen einem Stoß ausgedienter Tischtücher hervorgeholt hatte. Triumphierend, den heiß begehrten Rechner unter dem Arm, lenkte er seine Schritte in Richtung Arbeitszimmer, um dort den kleinen Schreibtisch von allem möglichen Gerümpel frei zu machen und seine elektronische Schreibmaschine, wie er sie von heute an zu nennen pflegte, abzustellen und anzuschließen. Und das Ding funktionierte einwandfrei, tatsächlich, immerhin, Windows 97, na bitte, elf Jahre altes Programm! Arno setzte sich und dachte nach. Er stellte die Randleisten ein, ebenso die automatische Paginierung und tippte vorsichtig den ersten Satz in die Tastatur.

      Was Sache ist, lautete die Überschrift, danach folgte eine längere Pause. Arno vermisste den Bleistift, an dem er früher zu kauen pflegte, wenn er Schreibhemmungen hatte. Andere hatten vielleicht eine Pfeife im Mund, und etwas Tee daneben. Zunächst wollte er eine Liste der gängigen Themen zusammenstellen, worüber heute ebenso geschrieben wurde. Zum Beispiel über das Selbstbewusstsein der neuen Frau, üblicherweise von Großstädterinnen verfasst, die sich tussenhaft frech zu Wort gemeldet hatten, ohne es dabei geschafft zu haben, auch nur zwei Zentimeter über den eigenen Tellerrand hinaus zu sehen.

      Jung sind sie halt, dachte Arno, aber das entschuldige nicht, dass ihnen leider nur das eigene Leben als Anschauungsobjekt genügte, und da