Название | Wir sind Unikate, Mann |
---|---|
Автор произведения | Norbert Johannes Prenner |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742773401 |
Arno bat ihn mit einer galanten Geste ins Wohnzimmer. Wasner trat ein, setzte sich auf immer denselben Stuhl, obwohl Arno einen anderen vorbereitet und sogar schon vom Tisch etwas zurecht geschoben hatte, aber Wasner verweigerte diesen und setzte sich partout auf jenen, auf dem er eben immer saß, gerade auf den, der immer im Weg stand, wenn man in die Küche musste. Arno war es zu dumm. Er entschuldigte sich, er hätte nur kurz in der Küche zu tun, und eilte rasch dorthin, nicht nur um nach dem Kaffee zu sehen, der gottlob noch nicht durch den Filter geronnen war, sondern um sich rasch ein Glas kaltes Bier zu genehmigen, ohne dieses die Konfrontation mit Wasner für ihn unmöglich durchzustehen gewesen wäre. Wenn doch Constance hier wäre! Arno wirkte etwas verloren. Er zündete sich rasch eine Zigarette an und rauchte in hastigen Zügen, sodass ihm leicht schwindelig wurde und er sie, nur ein Viertel davon genossen, gleich wieder ausdämpfte. Constance, der Engel, hätte mittlerweile in der Küche gewirkt, während er lässigen Disput mit Wasner hätte führen können.
Aber so – zu dumm, dass er diesen Termin nicht hatte verschieben können. Außerdem war er Constances Eroberung, dieser Professor. Aber was konnte man tun? Jetzt war es zu spät. Er packte alles auf das Serviertablett und jonglierte den ganzen Plunder ins Wohnzimmer, wo Wasner sich bereits über eine offen gelassene Literaturzeitung gestürzt hatte und Arno bereits ahnte, was jetzt kommen würde. Zeit, sein Plädoyer vorzubereiten, hatte dieser ja genug gehabt. Doch nichts. Offensichtlich hatte Wasner heute noch nichts gegessen denn er wandte sich dem Obstkuchen in einer Art und Weise zu, als ginge es um ein Wettessen. Arno begnügte sich mit etwas schwarzem Kaffee und wartete, bis von Wasner das Signal zum Sprechen kam.
Diesmal dauerte es länger als sonst, möglich, dass Constances Abwesenheit daran schuld war und er sich mehr gehen ließ, als wenn sie hier gewesen wäre. Als das Mampfen schließlich doch ein Ende gefunden hatte und Wasner den Kaffee, der noch viel zu heiß gewesen sein musste, hinuntergeschüttet hatte, lehnte er sich genüsslich zurück und ermunterte Arno mit den Worten, nun, mein lieber Freund, Sie müssen auch etwas essen, finden Sie nicht, und Arno schüttelte artig den Kopf und meinte, er wäre vom Mittagessen noch so voll gewesen, was überhaupt nicht stimmte und glatt gelogen war, denn es hatte überhaupt kein Mittagessen gegeben. Egal. Wasner begann die übliche Einleitung mit einem „nicht wahr“, und dann kam eine lange Pause, und darauf folgte, es könne nicht sein, dass Literatur zu dem verkommt, was sie eben jetzt wäre, nicht wahr, nämlich Tagebuchliteratur, wie er sie nannte, und dann folgte noch ein „nicht wahr“.
Arno blieb zurückhaltend, was wiederum der Professor für sich nutzte, um fortzufahren, was in diesem Jahrhundert nicht schon alles für Unsinn geschrieben worden wäre, denken Sie an die Ekstase des Expressionismus, sagte er höhnisch lächelnd, die den Glauben an den neuen Menschen zunichte gemacht hat, nicht wahr? Und vor lauter Nüchternheit und Distanz ist sogar die Sprache dabei zu kurz gekommen. Nur ja nicht pathetisch sein, also das wäre ja ganz gegen den Zeitgeist gerichtet gewesen. Ist ja heute auch noch so, wagte Arno einzuwerfen und prüfte, die Lippen spitz, Pfeifen andeutend, den Status seiner Fingernägel. Mitnichten, lieber Freund, mitnichten! Aber wissen Sie, was ich an der heutigen Literatur vermisse? Arno schüttelte den Kopf. Ich werde es Ihnen sagen, es ist die Skepsis, die Selektion oder wenn Sie wollen, eine bestimmte Ideologie der heutigen Schriftsteller, wenn es darum geht, die sogenannte Wirklichkeit darzustellen, nicht wahr?
Wenn Sie wissen, was ich meine? Niemand schreibt heutzutage mehr einen Zauberberg, Berlin Alexanderplatz oder meinetwegen irgendwelche Kriegsbücher mit aktuellem Hintergrund, sagte Arno, haben Sie das gemeint? Vielleicht, ja, daran habe ich gedacht, nicht wahr, antwortete Wasner und schielte unverhohlen hin zur ungeöffneten Flasche Bordeaux vor ihm auf dem Tisch. Ah, tut mir Leid, entfuhr es Arno, ich habe vergessen, ihn zu dekantieren, zu blöd sowas. Warten Sie, ich bringe den Korkenzieher. Dadurch hatte er sich etwas Distanz geschaffen zu dem, was normalerweise jetzt immer kommen musste. Wasner wollte seine Lieblingsdichter geehrt wissen, seinen geliebten Keller, seinen Auerbach, seinen Immermann, die Arno allesamt ziemlich egal waren mit ihren Dorfgeschichten, und das wusste Wasner und genau deshalb quälte er Arno stets damit, ja, er hatte geradezu ein perverses Vergnügen daran, ihn mit der Entsubjektivierung der Novelle zu konfrontieren, um ihm zu beweisen, dass die heutige Tagebuchliteratur doch ohnehin immer nur um die autistischen Überheblichkeiten eines Autors ginge, und Arno tat jedes Mal so, als ließe er sich dann doch spät bekehren, wo er im Grunde froh darüber war, dass über all dem Unsinn die Zeit verrann und selbst der unermüdliche Professor sich irgendwann einmal auf den Heimweg machen musste.
Arno schenkte sich in der Küche ein weiteres Glas Bier ein und trank es in hastigen Zügen aus. Dann holte er den Korkenzieher aus der Lade und trat den Rückweg ins Wohnzimmer an, wo sich der dicke Wasner, mit seinem roten, aufgedunsenen Gesicht schon die fetten Patschhändchen rieb, denn gleich gab’s was zu Saufen, und das konnte dieser wirklich gut, und Arno ahnte gleich, geübt, wie er im Ahnen nun einmal war, diese eine Flasche würde es nicht tun und er überlegte fieberhaft, woher er denn in der kurzen Zeit eine zweite, ebenso würdige, nehmen könnte.
Lieber Freund, wo bleiben Sie denn so lange, ich möchte Ihnen doch noch über die subjektive Zurücknahme des Dichters im Realismus erzählen, wenn Sie sich erinnern, wo wir das letzte Mal stehen geblieben waren, weil es schon so spät war, nicht wahr? Arno seufzte tief und goss dem Professor das Glas Viertel voll ein, von links her, weil er zu wissen meinte, dass man das so macht, denn von rechts wäre es völlig falsch gewesen, aber wegen der ungünstigen Lage des Sessels, so vor der Wohnzimmertür, und weil Wasner immer diesen Sessel wählte, machte er sich keine weiteren Gedanken darüber, ob nicht doch von rechts besser gewesen wäre. Sie selbst nehmen keinen Schluck davon, heuchelte Wasner, der jedes Mal zu vergessen schien, was ihm Arno schon hundertmal über seine Histaminallergie erzählt hatte. Nein, er trinke nur Bier, das würde er besser vertragen und ging rasch noch einmal in die Küche, um sich ein Glas davon mitzubringen.
In der Küche stürzte er noch eilig einen letzten Rest hinunter um sich dann ein ordentliches Bierglas voll zu schenken und mit diesem bewaffnet ins Wohnzimmer zurückzukehren. Schön ist der Benjamin, empfing ihn Wasner diesmal und lobte das stolz gewachsene Bäumchen drüben im dreifenstrigen Erker, und Arno pflichtete ihm Kopf nickend bei, war das Bäumchen doch ihr ganzer Stolz, vor allem Constances. Ein wenig Grün in der staubigen, lärmenden Stadt zu besitzen, und sei es nur einen kleinen Baum, symbolisierte, dass man den Bezug zur Natur noch nicht gänzlich verloren hatte. So, dann Prost, hob Professor Wasner das Glas und fügte hinzu, dass man Wein mit Bier ja nicht anstoße. Wie Arno diese ewig öden, sinnlosen, nichts sagenden, bedeutungslosen Belehrungen über sture Etikette hasste, über die man sich auch ohne Weiteres hinwegsetzen konnte, wenn man sich nur ein wenig Freiraum schaffen wollte, aber der Mensch war nun einmal unfrei, oder zumindest arbeitete er permanent an seiner Unfreiheit, zumindest in diesen lächerlichen Dingen, ohne eigentlich zu bemerken, wie unfrei man sich dadurch machte, aber - er sagte nichts.
Sie tranken. Arno nahm einen größeren Schluck. Der Professor nippte nur. Sie stellten die Gläser ab. Stille. Ein paar Autos fuhren unten vorbei. Dann wieder Stille. Wasner tat, als läse er weiter in der offenen Broschüre. Doch dann atmete er plötzlich tief durch, als wollte er zu einem seiner üblichen Vorträge ansetzen. Aber diesmal kam ihm Arno zuvor. Wissen Sie, sagte er, und inspizierte wiederum nur kurz seine Fingernägel, ich teile zwar nicht Ihren Geschmack bezüglich ihrer literarischen Stilrichtung, dafür bin ich möglicherweise auch zu unqualifiziert, gebe ich zu, mich langweilt dieser Realismus, die Sache ist gegessen, aber ich teile durchaus Ihre Ansicht, wenn es um die Kritik an Gegenwärtigem geht.
Ich möchte Ihnen folgendes Beispiel geben, setzte er fort. Nehmen wir irgendeinen jungen