Zum Heldentod begnadigt. E.R. Greulich

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Название Zum Heldentod begnadigt
Автор произведения E.R. Greulich
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783847686750



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gleich noch mal auf die Anrede gegenüber Vorgesetzten zu sprechen kommen. Es wird grundsätzlich in der dritten Person angeredet. Also: Haben Herr Leutnant oder wollen Herr Feldwebel und so weiter."

      "Und zu uns", feixt mir Polz ins Ohr, "sagense du, wo wir bald zehn Jahre älter sind als sie."

      "Nun zum Schluss, meine Herren", meckert Steinback, "ich bestrafe jeden, der sich jetzt nicht zusammennimmt und die Dienstgrade nicht in der dritten Person anredet. Über dem Fall Lajack wird selbstverständlich Stillschweigen bewahrt und kein Wort mehr verloren. Wegtreten!"

      Das ist zu viel verlangt. Es wird noch so manches Wort über Lajack verloren. Ganz besonders über die für ihn zu erwartende Strafe. Die meisten tippen auf Todesstrafe. Die wenigsten auf zehn bis fünfzehn Jahre Zuchthaus.

      Die Sensationen in dieser Angelegenheit kommen noch.

      Am nächsten Tag nach der Entdeckung wird der verantwortliche Unteroffizier erschossen am Schießstand aufgefunden. Der zweite Selbstmord in drei Wochen, von Leuten, die uns Vorbilder sein sollten.

      Es kommen hochnotpeinliche Verhandlungstage. Rade und Lewenz müssen auch aussagen, kommen aber mit einem Verweis davon. Dem Rade hatte Lajack noch in der Nacht ein paar Pakete Butter zugeschoben, er möchte sie für ihn verstecken. Rade hatte es des Morgens gemeldet.

      Lewenz war durch Gotze vor Unangenehmerem bewahrt worden. Da er den Tausch rückgängig gemacht hatte, konnte ihm nichts weiter passieren.

      Der arme Paul ist vollkommen fertig. Alle bemühen sich, ihn zu trösten.

      "Hantier dir nich", sagt Polz, "im ersten Augenblick hätte jeda von uns so jehandelt. Denn Kohldampf ham wa imma, und Kuchen ham wa schon lange nicht mehr jejessen. Det die Stolle jeklaut is, war ihr nich anzusehn und im ersten Augenblick ooch nich zu übablicken. Dia könnse nischt. Um den Lajack seine Kohlrübe seh' ick ville schwärza."

      Der nächste Morgen bringt die Verlesung. Wir warten voller Spannung. Steinback macht ein Gesicht, als wisse er von nichts. Hundert Nichtigkeiten verliest er und spannt uns auf die Folter. Endlich kommt er auf den Regimentsbefehl. Ungerührt entfaltet er das Blatt Durchschlagpapier.

      Das ganze Vorgesäusel kennen wir, wollen wir gar nicht wissen. Das Letzte, das Letzte ist wichtig. Und jetzt kommt's: "… der Schütze Lajack wird darum verurteilt zu sechs Wochen verschärftem Arrest, ebenfalls der Schütze Künschmann und der Schütze Wacker."

      So dumm hat selten unser Haufen geguckt wie in diesem Augenblick. Der Spieß macht, als merke er nichts, und faltet den Regimentsbefehl wieder zusammen.

      "Wegtreten!"

      "Siehste" , flüstert mir Polz ins Ohr, "wenn man solche Dinga dreht, muss man imma 'n paar Vorjesetzte dran beteilijen, denn kann een' nie viel passiern."

      Bei einem regelrechten Prozess vor dem Kriegsgericht wären Schuldige belastet worden, die nicht belastet werden durften. Darum fand der Kriegsgerichtsprozess nicht statt.

      Wir bekommen Ohrenklappen. Das ist erfreulich, denn eine teuflische Kälte zwickt uns morgens in die Ohren. Stolz binde ich mir die Apparate um. Meinem Beispiel folgen noch mehrere kurz vorm Antreten beim Morgenappell.

      "Stillgestanden!" schnarrt der UvD, "richt euch! Augen geradeaus!" Dann erfolgt seine Meldung an den Spieß. Steinback steht wie ein Fürst auf den Stufen unserer Unterkunft und mustert mit Späheraugen.

      "Erge!"

      "Herr Feldwebel?"

      "Was haben Sie da für komische Dinger um den Kopf?"

      "Ohrenklappen, Herr Feldwebel!"

      "Wer hat Ihnen befohlen, die umzutun?"

      "Meine Ohren frieren, Herr Feldwebel!"

      "Wer Ihnen befohlen hat, dass Ihre Ohren frieren, will ich wissen."

      "Niemand, Herr Feldwebel!"

      "Aha! - Wagner", wendet er sich zum UvD, "Sie notieren mir den Mann, verstanden? Der hat, scheint's, lange nicht Stiefel für seinen Spieß geputzt. Außerdem, Erge, nennen Sie das einen Soldatenhaarschnitt, den Sie tragen? Das ist ja eine Höhlenmenschenfrisur, eine Apachen-, eine Anarchistentolle. Wagner! Sie schneiden dem Mann nachher die Haare. Und allen anderen lang bezopften ebenfalls. Ich sehe ihrer viele. Wagner, Sie sind mir dafür verantwortlich. Morgen früh sehe ich keinen mehr von dieser Sorte."

      Unteroffizier Wagner weiß genau, dass der Lagerfriseur die Hochflut langer Haare bis morgen früh normalerweise niemals bewältigen kann. In Blitzkriegsmanier organisiert er eine Haarschneidemaschine, lässt uns Langbehaarte antreten und wüstet in unseren Tollen wie die SA in Arbeitervierteln. So schnell sind mir nie vorher Haare geschnitten worden, aber nie vorher zierte auch mein Haupt ein so ulkiger Kopfputz, genannt "Militärschnitt".

      Leicht tragikomisch ist unser erstes Baden. Natürlich wird erst angetreten. Ohne Antreten wird beim Kommiss überhaupt nichts gemacht. Nicht einmal gegessen.

      In militärischer Ordnung geht's bis zum Badehaus. "Abteilung halt, linksum, ausrichten!"

      Eben verlässt eine Einheit die "Stätte körperlichen Behagens".

      Wir dürfen hinein. Das geschieht selbstverständlich im Gänsemarsch.

      Eine Art flaches Becken ist der Baderaum. Von oben strahlen etwa zehn Brausen ihr kostbares warmes Nass, und darunter drängeln sich über fünfzig Mann. Wenn es einem endlich gelungen ist, soviel Wasser zu erhaschen, dass ein bescheidenes Einseifen gewährleistet ist, wird das Brausewasser langsam kalt, als stummes, aber überzeugendes Signal, dass die Schwelgerei mit Wasser ihrem Ende zugeht.

      Mit Zuhilfenahme des Wassers im Becken, das uns bis an die Waden reicht, gelingt es gerade, die Seife herunterzuspülen, dauernd behindert vom Vorder-, Hinter-, Neben-, Über- oder Untermann.

      Dann raus und im Nebenraum a tempo die Sachen an, die nächste Einheit wartet bereits.

      Draußen wird wieder angetreten. Plötzlich wird der Herr Regimentschef sichtbar.

      "Stillgestanden! Die Augen links!" brüllt der führende Obergefreite.

      Der Herr Oberstleutnant fragt wie ein besorgter Landesvater: "Sie haben gebadet?"

      "Jawohl, Herr Oberstleutnant!"

      "War'·s schön?"

      "Jawohl, Herr Oberstleutnant!"

      "Na sehnse. Weitermachen!"

      Vollkommen befriedigt von der überaus erschöpfenden Auskunft begibt sich unser leutseliger Chef weiter.

      Wie er sich als Führer des Regiments im Felde erweisen wird, weiß ich nicht. Aber eine Fähigkeit besitzt er in hervorragendem Maße, sich ein zufriedenes Gewissen zu verschaffen.

      Oh, er stöbert viel herum, und er taucht mal hier auf und mal da. Im Esssaal zum Beispiel. Mit erstaunlicher Sicherheit findet er den Dicksten heraus und fragt teilnahmsvoll: "Na, wie schmeckt's? Werden Sie satt?"

      Nun gibt es keinen dicken Menschen, der nicht wüsste, dass er dick ist und der darum genau fühlt, wie grotesk es klingt, wenn er behauptet, er werde nie satt und leide dauernd Hunger.

      In neunhundertneunundneunzig Fällen von tausend wird also besagter Dicker auf die Frage, ob er satt wird, immer mit einem schmetternden "Jawohl, Herr Oberstleutnant" antworten. Jedenfalls habe ich nie den tausendsten Fall erlebt. Ganz abgesehen davon, dass man auch als spindeldürre Hungergestalt dem Herrn Oberstleutnant die Wahrheit nicht sagt. Denn die Wahrheit klingt meist unhöflich, und zu seinem Oberstleutnant und Regimentschef hat man höflich zu sein.

      Diese Zwischenfälle sind eben sehr selten, wo ein Statist auf die Bühne kommt und ruft: "Was hier gespielt wird, ist ja alles nicht wahr, ist ja nur Theater!" Es liegt halt im Wesen des Theaters, dass es ernst genommen wird. Meist ernster als das Leben. Von Zuschauern so gut wie von Akteuren. Und daher die Möglichkeit für unseren verehrten Herrn Regimentschef, immer zufrieden zu sein.

      Denn das ist wichtig. Viel wichtiger, als dass die Soldaten immer zufrieden sind.

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