Zum Heldentod begnadigt. E.R. Greulich

Читать онлайн.
Название Zum Heldentod begnadigt
Автор произведения E.R. Greulich
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783847686750



Скачать книгу

gewesen, Geben und Hören zu üben. Wir taten es zwar, aber viel mehr Zeit wurde damit vertan, alle Vorschriften zu pauken, die man für den Funkbetrieb im deutschen Heer geschaffen hat.

      Funker zu sein, ist eine der undankbarsten Aufgaben. Nicht, weil auch der Funker in den unteren Einheiten ebenso in Dreck und Feuer liegt wie der Infanterist, trotzdem aber nicht als Soldat gewertet wird; nicht, weil die über ihm stehenden Kommandostellen keine Ahnung vom Funkbetrieb haben und darum oft Unmögliches von ihnen verlangen; nicht weil ein Funkgerät seiner Kompliziertheit wegen, am häufigsten ausfällt und der Funker dann Dienste verrichten muss, für die er nicht geschult wurde, sondern weil es über die Vorschriften im Funkbetrieb allein ein ganzes Buch gibt, welches man gezwungen ist, im Kopf zu haben, um sich vor hohen Strafen zu schützen. Der Funker im deutschen Heer ist der Mann, der dauernd auf der Kippe steht, mit einem Bein im Zuchthaus und mit dem anderen im Grabe.

      Diese beiden ungemütlichen Chancen wollen unsere verehrlichen Ausbilder weitgehendst herabmildern und pauken mit uns Vorschriften auf Kosten des praktischen Funkens. Hätte man lieber auf die Vorschriften verzichtet, dann wären wir wenigstens brauchbare Funker geworden. Wir werden es nicht, aber auch keine Kenner der Vorschriften, denn dazu braucht man Jahre.

      Der Dienst im Gelände ist gefürchtet. Wenn man sich ein paar Stunden im knöcheltiefen Schnee gesuhlt hat, sind die Klamotten nass und bis zum andern Tag nicht trocken zu bekommen. Dreißig bis vierzig Mann wollen ihre Handschuhe und Stiefel an einem einzigen Ofen trocknen. Das Holz ist so knapp, dass sich die Stuben gegenseitig beklauen. An diese Zustände denkend, ist einem der Rückmarsch aus dem Gelände keine reine Freude.

      "Ein Lied!" kommandiert Tarstag. Einer guckt den andern an. Unsere Gesichter mögen an eine Reihe Hühner erinnern, die man mitten in der Nacht auffordert, schnell ein Ei zu legen.

      "Na, wird's bald?" stökert Tarstag.

      Einer zählt missmutig: "Drrrei -. - - vierrr!"

      Heiseres Gekrächze hebt an, als hätte man besagte Hühner von der Stange gescheucht, weil sie nicht sofort legten.

      "Aufhören'" brüllt Tarstag, "Jetzt wird gesungen, oder es geht noch mal rund. Verstanden? Durchsagen nach hinten: Es ist so schön, Soldat zu sein, ich zähle ein - zwei - drei - vier-!"

      Um ein weniges ist das Gekrächze melodischer. Aber nicht viel,

      "Aufhören'" brüllt Tarstag wieder, "Panzer von vorn, volle Deckung!"

      Hinein geht's in Chausseegräben und Schützenlöcher, hinter Büschel und Büsche in den weichen, nassen Schnee.

      "Bis zum Graben vorarbeiten, robben!" kommandiert Tarstag, und wir schieben uns wie Lurche durchs Gefilde, Grimm, Hunger und Kälte im Wanst. "In Schützenkette angreifen, marsch, marsch!"

      Wir springen hoch und stolpern weiter.

      "Fliegerbombe, volle Deckung!" Tarstag ahmt das Geräusch einer fallenden und krepierenden Bombe nach. Wer beim "Wumm" nicht platt liegt wie eine zertretene Padde, der wird unerbittlich festgenagelt.

      "Polz, soll das volle Deckung sein? Polz, marsch, marsch bis zu der allein stehenden Tanne und zurück! Polz, hinlegen! Auf! Hinlegen! Auf!"

      Das bedeutet für uns einen Augenblick verschnaufen.

      Polz kommt zurück, weiß wie ein Schneemann.

      "In Marschordnung auf der Straße angetreten, marsch, marsch!"

      Im Sauseschritt wetzen wir auf die Straße. Japsend formieren wir uns.

      "Det soll nu Ausbildung for Afrika sein", schnauft mir Polz leise ins Ohr, "die woll'n uns woll als Schneefeja inne Wüste Sahara vawenden?"

      "Abteilung marsch!" sagt Tarstag ruhig, als kämen wir eben aus einer Konditorei.

      "Linnnks - ,linnnks - ,links, zwei, drei, vier, rühren - , ein Lied!"

      Man sollte es nicht für möglich halten. Es wird gesungen. Laut ertönt: "Es ist so schön Soldat zu sein."

      Da läuft eine Abteilung Mensch mit einer Stinkwut im Leibe, die nur den einen Wunsch hat, der Welt ins Angesicht zu spucken. Zu deren Seelenstimmung nichts konträrer ist als Singen.

      Und doch singen sie. Wer ihnen begegnet, wird unwillkürlich froher gestimmt, schwenkt ein im Gleichschritt und denkt: "Ei der Daus, sind das aufgeräumte Leutchen."

      In Wirklichkeit ist es eine Rotte knurrender Hunde, die eine Dressurmeisterleistung vorführen. Ganz im Sinne unseres Spießes, der mir einmal bei einer passenden Gelegenheit in unüberbietbarem Zynismus sagte:

      "Mit Rekruten verhält es sich ebenso wie mit Pferden. Wenn man sie einmal richtig gebrochen hat, kann man mit ihnen machen, was man will."

      Steinback versteht sich auf Pferde, er hat bei der Kavallerie gedient.

      Oh, man lernt so schön heucheln. Es gibt Tage, wo wir noch mehr Wut haben und noch lauter grölen.

      Wir lernen schnell, auf Anhieb singen. Je größer unser Ärger, um so lauter brüllen wir.

      Ich habe beim Barras eine mir vollkommen neue Charakterentspannung gelernt: Singen vor Wut.

      Man sage nicht, dass uns das nichts nützte. Wir ersparten uns viel Hinschmeißen in Dreck und Schnee, viel Anranzer und standen außerdem im Ruf, gute Sänger zu sein, allerdings im Ruf ausgesprochener Kommissknochen. In Wahrheit werden marodierende Landsknechte nicht toller gegrölt haben.

      Leider können wir nicht immer unsere Wut hinaussingen. Sonst hätten wir ewige Sänger werden müssen. Zum Beispiel könnte ich brüllen vor Wut, weil mir langsam, aber sicher die Ohrenränder erfrieren. Wir werden zwar ausgerüstet mit Ohrenklappen, dürfen sie aber nur auf Befehl umtun. Dieser Befehl wird ein einziges Mal gegeben in einem Winter auf der rauen Alb, den man wahrlich nicht als milde bezeichnen kann. So dienstlich sind nun meine Ohren nicht, dass sie deswegen an den anderen Tagen das Frieren unterlassen.

      Der Zufall, der sooft beim Kommiss über Tod und Leben entscheidet, wirkt für mich einmal im angenehmen Sinne. In meinen Papieren steht, dass ich den Zivilführerschein eins besitze, darum werde ich den Kradfahrern des Stabes zugeteilt.

      Drei Jahre habe ich meine Beiwagenmaschine ohne nennenswerten Unfall geführt und bilde mir ein, ein guter Fahrer zu sein. Der Barras beweist mir das Gegenteil. Ich muss noch einmal fahren lernen. Vor allen Dingen lernen, mit dem berüchtigten Zwischengas zu schalten. Unser Fahrfeldwebel ist ein vernünftiger Kerl. Ich gebe mir ehrliche Mühe, auch nach Heeresvorschrift ein guter Fahrer zu sein, und er erkennt das an. So komme ich manchmal zu Fahrten, die genau betrachtet nichts mehr mit reiner Prüfungsvorbereitung zu tun haben. Wir würden noch viel mehr und ausgiebiger trainieren, wenn der Kampf um das Benzin nicht wäre.

      Dieser Kampf wäre besser mit "Krampf" zu bezeichnen und nimmt manchmal idiotische Formen an. Es geht so weit, dass sogar die Prüfungsfahrten auf eine beängstigende Kürze beknappst werden. Abgenommen werden sie von einem Kriegsingenieur. Der Herr ist sehr nervös, launisch und sprunghaft. Ich überzeuge ihn aber doch und bestehe die Prüfung. Nach einigen Tagen wird mir der Heeresführerschein ausgehändigt.

      Die Benzinknappheit existiert nur bei offiziellen Heeresangelegenheiten. Bei allen privaten Dingen der Offiziere existiert sie nicht.

      Der eine Sonntagmorgen ist plastischer Beweis dafür. Wir sind eben zurück von einer Trainingsfahrt. Der Schirrmeister hat die Lkw-Prüflinge entlassen. Ich stehe noch mit ihm am Krad, technische Einzelheiten durchsprechend, da kommt ein Unteroffizier mit einem Handköfferchen. "Fahrt ihr weg, Kamerad?" fragt er den Schirrmeister, "ich muss zum Bahnhof Thiergarten zum Zehnuhrdreißig-Zug, und da hätte ich euch gebeten, mich mitzunehmen."

      "Und wenn wir nun nicht zum Bahnhof Thiergarten fahren?"

      "Dann hätte ich Pech gehabt."

      "So ist es nämlich", der Schirrmeister grinst schadenfroh, "wir fahren überhaupt nicht."

      Enttäuscht will sich der Unteroffizier von dannen heben. Da kommt ein Oberfeldwebel. Wie ein Befehl klingt seine Frage: "Wo fahren Sie jetzt hin, Schirrmeister Burkhardt?"