Zum Heldentod begnadigt. E.R. Greulich

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Название Zum Heldentod begnadigt
Автор произведения E.R. Greulich
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783847686750



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kosten konnte.

      Freimütig platzt er heraus:

      "Weißt du, wenn ich lange Zeit keine Frau gehabt habe und mir gerät dann eine in die Hände, ist alle Vernunft zum Teufel. Ich muss, und koste es Kopf und Kragen."

      "Hast du denn wenigstens an jenem Abend?"

      "Ach woher", schnaubt Spockermann erbost, "das war ja das Hundsgemeine. Ich bringe diese raffinierte Hexe nach Hause, und wie ich vor ihrer Hoftür kühn werden will, will sie nicht und antwortet auf mein Drängen, wenn ich ein ordentlicher Soldat wäre, würde sie eventuell, aber bei einem Schützen von unserem Haufen käme das gar nicht infrage."

      Wir starren beide ins Dunkel.

      "Wieso lange keine Frau gehabt?" komme ich auf Spockermanns anfängliche Behauptung zurück, "du warst doch zu der Zeit erst ein paar Wochen beim Barras."

      "Und vorher?" fragt er, "eineinhalb Jahr Gefängnis ist ja schließlich kein Pappenstiel. Auf die Dauer kann man sich seine Manneskraft auch nicht durch die Rippen schwitzen, nicht?"

      "Wie lange hättest du denn noch abzumachen gehabt?"

      "Ein halbes Jahr", seufzt Spockermann.

      Es wird still zwischen uns.

      Unsere Division 999 ist ein trauriges Kuriosum der Weltgeschichte. Wie will man das einmal ins Lot bringen? Ich habe gegen den Mann nichts, der schweigend neben mir läuft und in den tunesischen Nachthimmel starrt. Aber warum wird er vom Gesetz besser behandelt? Der größere Teil musste seine Strafe abbüßen, einer ganzen Anzahl aber schenkte man Monate, einigen Jahre. Man mag die Sache besehen wie man will, es bleibt ein Rechtsbruch. Recht ist nie so willkürlich gehandhabt worden wie jetzt in Deutschland.

      Eines Nachmittags will ich eben unsere Stube verlassen, da rennt mich unser Koch, der Sepp, fast um. Stieren Auges fragt er: "Der Spieß, wo ist der Spieß oder Feldwebel Tarstag?" Schon ist er wieder in der gegenüberliegenden Stube verschwunden. Einen Moment später taucht er zusammen mit Tarstag auf, und beide rasen nach oben. Die Tür zum Materialboden knallt. Der Oberarzt des Bataillons wird geholt.

      Kurz nachdem er gegangen ist, wird ein schwerer Körper vom Boden nach unten getragen. Langsam sickert es durch: Der Fourier und Küchenunteroffizier hat sich erhängt.

      Wenn sich ein Verpflegungsunteroffizier und langjähriger Berufssoldat erhängt, kann man in 99 Prozent aller Fälle darauf schwören, dass in dem Ressort etwas nicht stimmte. Oder besser gesagt, vieles nicht stimmte. Also erklärt der Herr Oberarzt: Der Unteroffizier Reichert hat sich in einem Anfall geistiger Umnachtung erhängt. Und so lautet dann auch der entsprechende Tagesbefehl. Es wird darin noch erklärt, dass dem Unteroffizier Reichert keinerlei Verfehlungen nachzuweisen seien. Er sei als untadeliger Soldat aus dem Leben geschieden. Reichert wird mit militärischen Ehren bestattet.

      Stubenwache wird eingerichtet. Immer reihum muss jeder des Nachts zwei Stunden Wache sitzen. Achtgeben soll er auf alles Mögliche. In erster Linie, dass nicht an die Hauswand uriniert wird. Von dem wasserhaltigen Essen und dem Besuch des kältestarrenden Klosetts haben viele schwache Blasen bekommen. Einige müssen des Nachts vier bis fünf Mal hinaus. Klar, dass da mancher die fünfzig Meter bis zu dem unmöglichen Abort scheut und sich in der Dunkelheit einfach an die Hauswand stellt.

      Auch wegen eventuellen Fliegeralarms ist die Wache da. Eines späten Abends bekommen wir einen. In Marschordnung geht es zu den Splittergräben und Unterständen. Gebückt stehen wir zwei Stunden im Stockfinstern. Die Atmosphäre ist erfüllt mit Tabakrauch und Galgenhumor. Zotige Lieder werden gesungen und deftige Witze erzählt.

      Ganz in der Ferne hören wir Grollen und Rumoren. Am nächsten Morgen heißt es, der Tommy hat Stuttgart zur Sau gemacht.

      Einen Vorteil hat die Stubenwache. Es ist die einzige Möglichkeit, in Ruhe einen Brief zu schreiben. Es soll zwar nicht sein, aber was an Erleichterung soll beim' Barras überhaupt sein? Jedenfalls ist noch niemand beim Briefschreiben überrascht worden. Ganz einfach deswegen nicht, weil der Spieß oder der betreffende Unteroffizier vom Dienst keine Lust haben, ihre Nachtruhe zu unterbrechen.

      Paul Lewenz sitzt eines Nachts und schreibt emsig. Draußen hört man ein verhaltenes Poltern. Die Stubentür öffnet sich, und Schütze Lajack schiebt sich in den Raum. Nett bepackt kommt er vom Extradienst. Als gelernter Bäcker ist er kommandiert zum Backen von Weihnachtsstollen für unser Bataillon.

      "Hast du Hunger?" fragt er Paul.

      "Selbstverständlich", antwortet der.

      "Hier, iss!", einen weißen Kipfel schmeißt er Paul auf den Tisch. Dann fragt er weiter: "Hast du ein paar Zigaretten übrig?" Paul bejaht. Zehn Overstolz rutschen über den Tisch zu Lajack hin. Zu Paul Lewenz schiebt sich eine zuckrige Weihnachtsstolle. Darauf beginnt ein eifriges Geflüster. Vonseiten Lajacks Zureden, vonseiten Lewenz Stirnrunzeln und Bedenken.

      Unteroffizier Gotze ist schon eine ganze Weile wach. Er rührt sich nicht und lauscht. Das Geflüster wird abgebrochen. Die Verhandlungen führten scheinbar zu keinem Ergebnis. Missmutig wirft sich Lajack auf sein Bett. Wie ein Grandseigneur zündet er sich eine Zigarette an.

      "Lajack?" Gotzes hohe Stimme schrillt durch den Raum.

      "Herr Unteroffizier?"

      "Sie wissen, dass das Rauchen auf der Stube nach neun Uhr abends verboten ist!"

      "Jawohl, Herr Unteroffizier!"

      "Lajack, eine Runde um den Hof, marsch, marsch!"

      Lajack tut, als binde er an seinen Schuhen.

      Jetzt steht Gotze vor ihm.

      "Lajack, haben Sie meinen Befehl gehört?"

      "Jawohl, Herr Unteroffizier!"

      Gotze geht zu Lewenz. "Was haben Sie da liegen, Lewenz?"

      "Eine Stolle, Herr Unteroffizier!"

      "Von Lajack?"

      "Jawohl, Herr Unteroffizier."

      "Lewenz?"

      "Ja, Herr Unteroffizier?"

      "Es ist bedeutend besser für sie, wenn sie den Handel sofort rückgängig machen."

      "Sofort, Herr Unteroffizier."

      Lajack kommt keuchend und meldet: "Befehl ausgeführt, von der Hofrunde zurück!"

      "Morgen sprechen wir uns weiter, Lajack", knurrt Gotze und zieht sich in seine Falle zurück.

      "Hier, Lajack", sagt Lewenz und schiebt die Stolle wieder zurück über den Tisch, "ich will die Stolle nicht, habe keinen Appetit darauf."

      Lajack bekommt einen roten Kopf. Geringschätzig zuckt er die Achseln, greift die Stolle und sagt: "Scheißkerl!"

      Am nächsten Morgen muss ich dem Spieß die Stiefel putzen, deswegen gehe ich in die Schreibstube, die Knobelbecher holen. Auf dem Bett des Spießes türmt sich ein ansehnlicher Berg Stollen, Weißbrote und Butterpakete. Lajack. steht in der einen Ecke der Schreibstube, das Gesicht zur Wand, ein Schütze als Wache neben ihm.

      Zu dem Bewachten gesellen sich bald noch Künschmann und Wacker, die beide ebenfalls in die Bäckerei kommandiert waren. Eine Untersuchung ihrer Schränke lässt den leckeren Berg in der Schreibstube um ein Erkleckliches anwachsen.

      Die Ansprache des Spießes beim Morgenappell ist die schlimmste, die bisher auf uns niedergehagelt ist:

      "Meine Herren, jetzt ist Schluss mit allen Sentimentalitäten. Beklagt euch bei euern Kameraden Lajack, Künschmann und Wacker. Diese Subjekte bekommen vom Bataillon einen Vertrauensposten. Dort kaum warm geworden, fangen sie an zu klauen und die Sachen pfundweise fortzutragen. Das ist schäbig. Kameradendiebstahl ist in meinen Augen das gemeinste Delikt. Es liegt hier Kameradendiebstahl vor. Denn alles, was dort gebacken wurde, solltet ihr ja zu Weihnachten bekommen. Obendrein behaupten die Drei, sie hätten vom verantwortlichen Unteroffizier die Erlaubnis gehabt. Die Verhandlung wird uns schon Klarheit bringen. Was den Dreien blüht, könnt ihr euch denken. Bei Lajack ist es noch dazu Rückfall.