Zum Heldentod begnadigt. E.R. Greulich

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Название Zum Heldentod begnadigt
Автор произведения E.R. Greulich
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783847686750



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man ab", ruft einer, "det kommt allet noch ville schöner." Gedankenvoll nicken viele. Es findet sich kein Widerspruch.

      Die Diskussionen sind tastend, vorsichtig. Wir sind alles Vorbestrafte. Der kleinere Teil politisch. Unschwer erkennt man bei den Einzelnen, ob es sich um Politische oder Kriminelle handelt. Die Politischen bewegen sich vorsichtig, sprechen aber über ihre Strafe freimütig. Bei den Kriminellen ist es umgekehrt.

      Auf manchen Güterbahnhöfen liegen wir stundenlang. Auf anderen werden wir bis zum Blödsinnigwerden hin und her rangiert. Je weiter wir nach Süddeutschland kommen, um so kälter wird es. Schmutzige Schneereste vergrößern die Trostlosigkeit der Landschaft. Mein Rücken schmerzt vom Versuch im Gepäcknetz zu schlafen. Die Füße schlafen immer öfter ein, und die Knie schmerzen vom ewigen Sitzen. Die Aborte haben kein Wasser und sind bald bis oben voll, beschmutzt, besudelt. Übernächtigt und unrasiert sehen wir bald aus wie rückkehrende Frontschweine.

      Einmal noch in 'diesen drei Tagen bekommen wir Wassergrieß und einmal lauwarmen Ersatzkaffee in den obligaten NSV-Bechern.

      Endlich heißt es aussteigen. "Thiergarten (Sigmaringen)" steht auf den Schildern der Station. Ein netter kleiner Bahnhof mit einem langen Bahnsteigdach. Wir müssen zu dreien antreten. Neben dem Dach am Ende des Perrons, langsam sickert grauer Tauschnee vom Himmel. Wir stehen eine Stunde, keine freundlichen NSV-Schwestern begrüßen uns mit warmem Kaffee. Ein Unteroffizier schlendert hinterm Bahnsteigzaun und mustert unsere Reihen.

      "Na, ihr Burschen", sagt er vielsagend.

      Die ersten Pappkoffer beginnen aufzuweichen. Wir stehen jetzt eineinhalb Stunde und unsere Verfassung ähnelt der der aufgeweichten Koffer. Zehn Meter links von uns beginnt der trockene Bahnsteig mit dem schützenden Dach.

      Weiter hinten lockt der Wartesaal mit Wärme und heißer Bouillon. Aber niemand darf das Glied verlassen. Wir sind ja Soldaten. Nach eindreiviertel Stunden qualvollen Stehens ertönt das Kommando: "Links um, alles marsch!"

      Aus dem Tal der Donau steigt der Weg bergan. Je höher wir kommen, desto weißer und fester wird der Schnee. Ein Stück vom Bahnhof weg heißt es: "Halten. Links um!" Ein junger Leutnant in Afrika-Uniform tritt vor die Front und hält eine kurze Rede.

      Auf Befehl des Führers würden hier Spezialregimenter aufgestellt für Afrika. Wir wären alles Vorbestrafte und jeder hätte jetzt die Chance, seine alte Schuld zu tilgen, durch unbedingten Einsatz als Soldat und notfalls durch Hingabe des Lebens. Niemandem würde etwas nachgetragen werden, und wir würden von Offizieren und Ausbildern behandelt werden wie jeder andere Soldat. Sollten wir uns dieses großen Vertrauens würdig erweisen, so zweifle er nicht, dass wir zu den tapfersten und ruhmreichsten Regimentern der deutschen Armee zählen werden. Darauf dürfen wir kurz wegtreten zum Austreten oder um eine Zigarette zu rauchen.

      Auf der Höhe pfeift uns eisiger Wind um die Ohren. Wir sind vom strammen Bergansteigen verschwitzt und frieren jämmerlich. Wie eine Horde Verbannter ziehen wir durch Stetten am kalten Markt. Wir finden den Namen des Ortes äußerst zutreffend.

      Kurz hinter Stetten beginnt der in sich abgeschlossene Komplex des Truppenübungsplatzes. Flache, einstöckige Häuser stehen ausgerichtet wie die Soldaten. Von außen machen sie einen passablen Eindruck. Innen verwohnt und überaltert. Faulende Dielen, wacklige Schemel, uralte Strohsackbetten dreifach übereinandergebaut, ein schwerfälliger Ofen, zwei rohe Holztische und sargähnliche schmale Spinde, das' ist die Inneneinrichtung unserer zukünftigen Behausung. Wir werden erst provisorisch untergebracht.

      Am nächsten Tag geht es zur ärztlichen Untersuchung. Jeder hat genaue und wahrheitsgetreue Angaben zu machen über gehabte Krankheiten und dergleichen, wird uns eingeschärft. Nach einem ganzen Vormittag Warten stehe ich vor dem Arzt. "Welche körperlichen Mängel haben Sie?"

      Ich Neuling antworte wahrheitsgetreu: "Plattfüße, kurzsichtig, Herzfehler und gerade in Zahnbehandlung."

      "Ach", sagt der vor mir stehende, etwa zehn Jahre jüngere Arzt ironisch, "und nun glauben Sie, im Krieg nicht zu taugen?"

      "Ganz im Gegenteil", kommt meine bissige Antwort, "ich freue mich außerordentlich, endlich Soldat geworden zu sein."

      "Na also." Pro forma horcht er mein Herz ab. "Wer hat Ihnen gesagt, dass Sie einen Herzfehler haben?"

      "Bis jetzt alle Ärzte!" "Hm, dann hat sich Ihr krankes Herz erstaunlich gebessert."

      Abschließend bemalt er einen Schein, den ich einer Gruppe sitzender Offiziere überreichen muss. Ein Monokel und mehrere Brillengläser fixieren mich Nackten scharf. Es ist, als hätte man auch seine Seele entblößt vor diesen Angezogenen.

      "Sie sind Grafiker von Beruf?"

      "Jawohl."

      Die Herren tuscheln miteinander. Dann fragt der eine: "Welches war Ihr Delikt?"

      "Hochverrat", antworte ich wahrheitsgemäß.

      Der Frager bekritzelt den Schein. "Warten Sie auf der Stube, bis Sie von Ihrer Einheit abgeholt werden. Sie sind eingeteilt zum Stab, xtes Bataillon." Ich darf mich anziehen und gehen. In langer Reihe stehen schon viele meiner augenblicklichen Stubenkameraden vor dem Essraum. Ich stelle mich hinten an. Es gibt Sauerkohl und Pellkartoffeln.

      Den ganzen Nachmittag hocken wir auf der Stube herum. Am Abend werde ich mit noch zwei anderen von einem Obergefreiten geholt.

      Wir sind die drei letzten für die nächsten Tage, die zum Stab eingewiesen werden. Der lange Paul Lewenz wird neben mir einquartiert, der dicke Heinrich Polz über mir. Die schon Anwesenden tun kameradschaftlich, mimen aber auffällig die Alten, da gewesenen.

      Das große Wort führt der Stubenälteste, Unteroffizier Hedler, ein Mann, der sich gern reden hört. Sein Lieblingsthema bekommt man schon nach wenigen Stunden satt: Seine Heldentaten im Allgemeinen, seine russischen im Besonderen. Ansonsten spielt er den guten Vorgesetzten, der sich sogar erbietet, auf etwa noch bei uns im Besitz befindliche Fleisch- oder Brotmarken aus Stetten etwas mitzubringen.

      "Wieso?" frage ich, "dürfen wir selbst denn nicht in den Ort?"

      "Nee, mein Lieber", feixt er, "ohne besondere Genehmigung darf von euch niemand den Truppenübungsplatz verlassen."

      "Ach so", entfährt es mir resigniert.

      "Sie müssen das nicht falsch verstehen", bemüht er sich, die Wirkung seiner Worte abzuschwächen, aber ehe man nicht weiß, wie sich die Einzelnen bewegen werden, musste man zu dieser Vorsichtsmaßnahme greifen."

      "Dann gibt es also keinen Ausgang, keinen Stadturlaub?" vergewissert sich Paul Lewenz.

      "Vorläufig nicht", sagt Hedler, und kann sich ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen. Es entsteht eine aufgeregte Diskussion in der Stube. Die helle Stimme Hedlers reißt alle Unterhaltung an sich, schließlich in eine Rede ausartend, die sich bedeutend detaillierter in Auslassungen ergeht als jene, die wir gestern von dem jungen Leutnant hörten. Zum Schluss beteuert er seine Loyalität, insbesondere unseren Vorstrafen gegenüber, und dass alles begraben und vergessen sei.

      Dann wird Post verteilt. Drei Briefe kommen in die Stube. Alle drei sind an Hedler adressiert. Ein Brief ist von seiner Frau, die beiden anderen von Freundinnen.

      Hedler sonnt sich im Neid der Anderen und spielt Don Juan.

      Am nächsten Tag ist Einkleidung. Wird es so sein, wie man es oft erzählen hört? Dass man seine Sachen und den dröhnenden Befehl: "Rrrraus!" an den Kopf geworfen bekommt?

      Es ist nicht einen Deut anders. Ergebnis nach eingehender Anprobe auf der Stube: "Mütze etwas zu groß, Rock sehr knapp, Hosenlänge stimmt zufällig, Stiefel zu eng, dafür scheuernd. Unterwäsche geht einigermaßen."

      Ich komme mir vor wie eine Vogelscheuche und lese auf Pauls Gesicht ähnliche Empfindungen. Dergestalt äußerlich umgewandelt, müssen wir einzeln zur Schreibstube kommen. Jeder wird namentlich gerufen. Mir ist nicht ganz wohl, als ich über den Flur gehe. Ich habe die bestimmte Ahnung, dass das gelernt sein muss, dieses Hineinkommen in die Schreibstube. Wie macht man's aber vorschriftsmäßig? Ich habe keinen blassen Schimmer davon. Ich will