Название | Dear Sister 1 - Schattenerwachen |
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Автор произведения | Maya Shepherd |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738059755 |
Ich lächelte sie entschuldigend an und ließ das Handy in meiner Uniformjacke verschwinden. Lucas würde sich ohnehin nicht mehr bei mir melden.
Dairine wohnte mit ihren Eltern nahe dem Zentrum von Wexford. Sie fuhr normalerweise mit dem Fahrrad zur Schule, sodass sie dieses nun neben mir herschieben musste, während wir langsam an den Schaufenstern vorbeischlenderten. Wexford war eine typisch irische Kleinstadt mit Pflastersteinen, vielen alten Gebäuden mit bunten Hausfassaden und jeder Menge Pubs, in denen abends Livemusik gespielt wurde. Es ließ sich hier ganz gut aushalten. Doch wenn man wie Dairine in Amerika aufgewachsen war, musste es geradezu verschlafen und langweilig wirken.
Wir bogen von der Einkaufsstraße in eine kleine Seitengasse ab, die bei einem Strandzugang endete. Doch anstatt bergab zum Meer zu gehen, liefen wir den Berg hinauf, wo einsam ein großes Haus in den Dünen thronte. Ich hatte zwar gewusst, dass Dairines Eltern wohlhabend waren, aber mit so einer Villa hätte ich nicht gerechnet. Das Grundstück war von einem hohen Eisenzaun eingerahmt. Das Tor ließ sich nur durch den Fingerabdruck von Dairine oder dem ihrer Eltern öffnen. Meine Verwunderung musste mir ins Gesicht geschrieben stehen, denn Dairine wurde plötzlich sehr still. Sie wirkte fast verlegen, was ich von ihr nicht gewohnt war. Normalerweise prahlte sie ganz gerne, vor allem wenn es um Colorado ging.
„Jetzt schau nicht so. Ist auch nur ein Haus“, nuschelte sie, als wir den Garten passierten, in dem direkt mehrere Gärtner am Werk waren.
„Willst du was trinken?“
„Gerne“, erwiderte ich eingeschüchtert von dem ganzen Luxus. Der Boden war aus Marmor, die Decke stuckbesetzt und die Wände mit einer Goldtapete verziert.
„Geh doch schon mal in den Keller. Ich komme gleich nach“, sagte Dairine und deutete auf die Mahagonitreppe, die sowohl nach unten als auch nach oben führte. Geistesabwesend schlenderte ich die Treppe hinunter, wobei ich beeindruckt mit der Hand über das glatte Holz der Treppe fuhr. Es war nicht einmal ein leises Knarren der Stufen zu hören, wie es sonst bei alten Häusern der Fall war. Dairine wäre vermutlich entsetzt über den Zustand des Hauses, in dem ich lebte. Kaum dass ich die Treppe verlassen hatte, verschlug es mir erneut die Sprache. Der Keller war fast komplett mit einem Pool ausgefüllt. Die Rückwand des Hauses bestand aus deckenhohen Fensterscheiben, die freien Blick auf das Meer boten. Es war schlichtweg überwältigend.
Dairine räusperte sich hinter mir und reichte mir ein Glas mit Eistee. „Hast du Lust, eine Runde zu schwimmen?“
„Ich hab keine Badesachen“, murmelte ich verlegen, bevor ich einen großen Schluck nahm.
„Du kannst dir etwas von mir aussuchen, wir müssten die gleiche Größe haben.“
Eine halbe Stunde später ließ ich mich in einem von Dairines Badeanzügen über die Pooloberfläche gleiten. Daran könnte ich mich glatt gewöhnen! Dairine hatte nie von dem tollen Haus erzählt. Warum eigentlich nicht? Wenn die anderen aus unserer Schule davon wüssten, wäre sie mit einem Schlag eines der beliebtesten Mädchen der ganzen Stadt.
„Warum erzählst du eigentlich nie etwas von deinem Zuhause?“, fragte ich sie direkt.
„Warum sollte ich? Du erzählst doch auch nichts von deinem“, erwiderte sie ungerührt.
„Aber ich wohne auch nicht in einer Villa“, entgegnete ich verständnislos.
„Und ich würde lieber in unserem alten Haus in Colorado wohnen“, sagte Dairine abwehrend.
„Hattet ihr da keine Villa?“
„Nö, dabei hätte man dort einen Pool dringender als hier gebrauchen können. Damals hätte ich mir ein Bein ausgerissen für einen Pool.“
„Warum seid ihr eigentlich nach Irland gezogen?“
Es war das erste Mal, dass wir ein persönliches Gespräch führten, in dem es nicht um die Schule ging.
„Wegen der Arbeit meines Vaters. Er baut in Dublin eine Zweigstelle auf. Der Pool und die Villa sind reine Bestechungsgeschenke“, erwiderte sie zähneknirschend.
Ich merkte, dass sie das Thema nicht mochte und beließ es deshalb dabei. Dairine schwamm neben mich und ich spürte ihren musternden Blick auf meinem Gesicht. „Wolltest du mir nicht etwas erzählen?“, hakte sie neugierig nach. Richtig! Eliza … Den Gedanken hatte ich verdrängt.
„Es geht um meine Schwester“, setzte ich an und stieg aus dem Pool. Ich griff mir eines der Badetücher und wickelte es um mich, bevor ich mich in eine der Badeliegen gleiten ließ. Dairine folgte mir. „Was ist mit ihr? Hast du etwas von ihr gehört?“
„Das auch, aber ich glaube, dass ich sie heute schon wieder gesehen hab.“
„Hier?“, sagte Dairine erstaunt und zog dabei ihre Augenbrauen hoch.
„Vor der Schule in einem gelben Sportwagen“, bestätigte ich ihr.
„Im Englischunterricht“, ergänzte sie, da es die Stunde gewesen war, die ich fluchtartig verlassen hatte.
„Genau“, stimmte ich ihr zu. „Die Polizisten haben mich auch nach ihr gefragt. Sie wollten wissen, ob Eliza etwas mit Alannah zu tun gehabt hätte. Ich hab es verneint.“
„Aber du hast gelogen?“, hakte Dairine nach und ich war überrascht, wie gut sie mich in der Zwischenzeit schon kannte. Diese Erkenntnis brachte mich dazu, ihr von meiner Beobachtung mit Kevin zu erzählen, und auch über Elizas Brief und über das belauschte Gespräch in der Toilette des Black Rabbits. Dairine hörte aufmerksam zu, ohne etwas zu sagen. Erst als ich endete, legte sie ihre Stirn nachdenklich in Falten. „Okay, mal angenommen, Eliza wäre zurück, warum sollte sie sich bei dir und euren Eltern dann nicht melden?“
„Vielleicht schämt sie sich?“, überlegte ich laut, wobei ich sofort merkte, dass das nicht zu meiner älteren Schwester passen würde. Sie kannte so etwas wie Schamgefühl gar nicht.
„Aber wenn sie nicht bei euch zu Hause ist, wo wohnt sie dann?“, fragte Dairine. „Wer waren früher ihre Freunde?“
Ich dachte sofort an Lucas, aber sein Gesicht war wie ein offenes Buch. Ich würde ihm direkt ansehen, wenn er mir etwas verheimlichte. Er war noch ahnungsloser als ich, dessen war ich mir sicher. Eliza hatte in der Schule nur oberflächliche Freundschaften geführt, da sie sich mit den meisten Leuten früher oder später zerstritt. Es erschien mir unwahrscheinlich, dass sie sich bei einem von ihnen versteckte. „Ich weiß es nicht“, gestand ich verzweifelt.
„Kennst du irgendwelche Orte, an denen sie früher oft war? Vielleicht ist sie auch jetzt dort.“
Eliza war Stammkunde in so gut wie jedem Pub, Kneipe oder Club der näheren Umgebung gewesen. Sie hatte unseren Eltern sogar Geld gestohlen, wenn sie ihr freiwillig nichts gaben. Doch meistens schnorrte sie sich einfach durch und ließ sich von Männern aushalten. „Sie war oft feiern.“
„Vielleicht hat ja einer der Wirte sie gesehen“, mutmaßte Dairine, verwarf diesen Einwand aber sofort wieder: „Aber dann hätte er vermutlich die Polizei gerufen, oder? Immerhin hing Elizas Vermisstenmeldung in der ganzen Stadt aus.“
„Eliza kann sehr charmant sein“, erwiderte ich zögerlich. „Vielleicht hat sie ihn bestochen und dort auch direkt einen Unterschlupf gefunden.“
Dairine verstand auf Anhieb, welche Art von Bestechung ich meinte. So gut kannte selbst sie meine Schwester. „Wir könnten mit einem Bild von ihr durch die Kneipen ziehen. Vielleicht erinnert sich jemand an Eliza?“, schlug sie mir vor und ich hätte sie am liebsten umarmt. Sie glaubte mir und war sogar bereit, mir bei der Suche nach meiner Schwester zu helfen. Nicht, dass ich Eliza vermisst hätte, aber diese Ungewissheit war unerträglich. „Am Wochenende?“, fragte ich sie grinsend und Dairine erwiderte: „Jawohl, Sir.“
Ich saß am Samstagabend neben meiner Mum in unserem alten Ford Focus. Sie hatte darauf bestanden, mich höchstpersönlich bei Dairine abzuliefern, egal, wie sehr ich mich auch dagegen gewehrt hatte.
„Mum,