Dear Sister 1 - Schattenerwachen. Maya Shepherd

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Название Dear Sister 1 - Schattenerwachen
Автор произведения Maya Shepherd
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738059755



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seine Show beendete und einen Platz an der Bar einnahm. Mittlerweile hatte sich der Laden etwas gefüllt und die nächsten Künstler betraten die Bühne. Dieses Mal war es eine richtige Band.

      „Ich finde den Gitarristen echt scharf. Hast du etwas dagegen, wenn ich mich kurz zu ihm an die Bar setze? Nur Nummern austauschen und so.“ Sie sah mich bittend an. Eigentlich war es mir nicht recht, dass sie mich alleine an unserem Tisch zurücklassen wollte, aber ich wollte auch keine Spaßbremse sein und eigentlich fühlte ich mich seit der Grinsekatze auch seltsam gelöst.

      „Geh ruhig“, antwortete ich deshalb und wendete meinen Blick bereits von ihr ab. Ich sah der Band weiter beim Aufbau ihrer Instrumente zu.

      Als mein Glas leer war, bestellte ich mir noch ein zweites. Es schmeckte nicht nach Alkohol und würde daher schon nicht zu stark sein. Die Band begann zu spielen. Es war eine schnelle und laute Musik, die ich normalerweise verabscheut hätte. Aber heute drang der Rhythmus geradezu in meinen Körper ein und ließ mich im Takt mitwippen. Offenbar handelte es sich bei der Band um eine Art Hauptakt, denn plötzlich war der Club so voll, dass ich von meinem Platz aus nichts mehr sehen konnte, weder die Band noch Dairine an der Bar. Ich stand auf, um nach ihr zu sehen. Erst da bemerkte ich, wie zittrige meine Beine waren. Sie fühlten sich an wie Gummi und ich konnte mich kaum darauf halten, ohne zu schwanken. Vorsichtig drängte ich mich durch die Menge und war froh, als ich die Bar endlich erreicht hatte. Um mich herum schien sich alles zu drehen und ich musste mich richtiggehend konzentrieren, um scharf sehen zu können. Es war wie eine endlose Karussellfahrt. Dairine stand nicht mehr an der Bar. Nur der Gitarrist war noch da und blickte neugierig in meine Richtung. Ich klammerte mich an den Tresen, während ich auf ihn zuwankte.

      „Hey, alles okay bei dir? Du siehst nicht gut aus“, erkundigte er sich freundlich. Ich starrte ihm ins Gesicht und versuchte zu erkennen, was er für eine Augenfarbe hatte, aber alles verschwamm vor meinen Augen zu einem einzigen beigefarbenen Strudel.

      „Wo ist meine Freundin?“, stieß ich hervor. Was war denn nur los mit mir?

      „Kurz auf die Toilette. Möchtest du vielleicht ein Glas Wasser?“

      Ohne ihm zu antworteten, tastete ich mich an der Wand entlang in die Richtung, in der ich die Toiletten vermutete. Ich stieß die erste Tür auf und kippte förmlich in das Innere. Vor mir breiteten sich schwarz-weiße Fliesen aus, die mich an ein Schachbrett erinnerten. War ich hier richtig?

      Ein lauter Aufschrei riss mich aus meinen Gedanken.

      „Verfolgst du mich etwa?! Ich habe dir bereits gesagt, dass es mir leidtut.“

      „Das reicht nicht“, zischte eine männliche Stimme voller Wut.

      „Was erwartest du von mir? Soll ich Selbstmord begehen?!“, erwiderte die Frau ungerührt. Ihre Stimme kam mir so vertraut vor. Die Art, wie sie sprach, vermittelte das Gefühl, als wäre ihr der andere gleichgültig und nicht einmal würdig, dass sie ihm ihre Aufmerksamkeit schenkte. Hochnäsig und arrogant. Ich kannte nur eine Person, die in der Lage war, ihrem Gegenüber derart das Gefühl zu geben, nichts wert zu sein.

      Ich tastete mich vorsichtig vorwärts, um die beiden Personen sehen zu können.

      „Selbst das wäre nicht genug.“

      „Was willst du dann von mir, verdammt noch mal?“, schrie die Frau aufgebracht und ich hörte, wie sie mit der Hand auf ihn einschlug.

      „Von dir? Rein gar nichts. Du bist nicht mehr wert als der Dreck unter deinen Fingernägeln. Aber ich werde dir nehmen, was du mir genommen hast.“

      Die beiden standen zwischen Tür und Angel einer Toilettenkabine. Die Frau darin und der Mann davor, sodass mir die Sicht auf die Frau verdeckt wurde. Der Mann trug eine abgewetzte Lederjacke und dazu Jeans. Das Auffälligste an ihm waren jedoch seine Haare. Sie waren fast weiß. Er versperrte der Frau den Weg, doch als er mich bemerkte, wich er erschrocken zurück. Offenbar hatte er nicht mit Zuschauern gerechnet. Die Frau nutzte die Gelegenheit, um aus der Kabine zu fliehen, doch sobald sie mich sah, erstarrte sie ebenfalls.

      Es war Eliza.

      Mir wurde heiß und kalt zugleich und ich sah wie der Boden immer näher kam. Ich spürte den Aufprall, schnappte nach Luft und dann wurde alles schwarz.

      Das Erste, was ich sah, als ich wieder zu mir kam, war ein Strudel aus bunten Farben, bis ich erkannte, dass es Dairines verschiedenfarbige Haarsträhnen waren. Sie kniete neben mir auf dem Boden und sah besorgt auf mich herunter. Neben ihr standen der Gitarrist und die Kellnerin, die ein Glas Wasser in der Hand hielt.

      „Sie soll sich mal langsam aufsetzen“, schlug der Musiker vor, so, als wäre ich gar nicht da.

      Dairines Hand lag beruhigend auf meiner Schulter. „Meinst du, du kannst dich aufsetzen?“

      Ich nickte und ließ mir von ihr in eine aufrechte Position helfen. Mein Kopf pochte und sobald ich die Augen schloss, fing sich alles erneut an zu drehen. Nur langsam kam die Erinnerung zurück. Ich war ohnmächtig geworden, nachdem ich … ELIZA! Ich war schlagartig hellwach. Ich hatte meine Schwester gesehen!

      Ungeachtet meiner Kopfschmerzen sah ich mich hektisch in alle Richtungen nach ihr um.

      „Was ist denn los?“, fragte Dairine erschrocken, während die anderen beiden mich anstarrten, als hätte ich den Verstand verloren.

      „Ich hab Eliza gesehen“, stieß ich aus. Dairine wusste natürlich wie alle anderen Menschen in Wexford und der Umgebung von dem Verschwinden meiner Schwester, aber ich sprach sonst nie mit ihr darüber, auch sonst sprach ich nur mit Lucas über meine Schwester und das ungern. Sie runzelte nun zweifelnd die Stirn. „Bist du dir sicher?“

      „Als wir reingekommen sind, warst du allein“, fügte der Gitarrist hinzu und musterte mich skeptisch.

      „Sie war nicht alleine. Ein Mann mit hellblonden Haaren war bei ihr“, erinnerte ich mich und sah verzweifelt zu der Kellnerin, in der Hoffnung, sie würde sich an ihn erinnern. Die Haare des Typen waren so auffällig gewesen, dass sie ihn einfach gesehen haben musste. Doch sie schüttelte auch nur verständnislos den Kopf.

      „Manchmal, wenn man jemanden sehr vermisst, dann träumt man …“, setzte Dairine vorsichtig an, doch ich unterbrach sie abrupt. „Ich vermisse Eliza nicht und ich habe mir das auch nicht eingebildet!“

      Die Kellnerin reichte mir das Glas Wasser und wandte sich an Dairine: „Am besten bringst du deine Freundin nach Hause.“

      Dairine nickte und blickte entschuldigend den Gitarristen an, der sich nun aufrichtete. „Du hast ja meine Nummer“, zwinkerte er ihr zu, bevor er zusammen mit der Kellnerin die Toilette verließ.

      Ich trank hastig das Wasser leer. Auf der einen Seite ärgerte ich mich über Dairine, weil sie mir nicht glaubte, aber auf der anderen Seite verstand ich sie. Ich an ihrer Stelle hätte mir auch nicht geglaubt, zudem hatte ich ihr den Abend mit dem Gitarristen versaut. Doch Dairine schien nicht sauer auf mich zu sein, denn sie half mir wortlos auf die Beine und schob mich danach aus dem vollen Club. Sobald die kühle Nachtluft mein Gesicht berührte, hatte ich schon selbst Zweifel daran, was ich gesehen hatte. An allem war nur die verdammte Grinsekatze schuld!

      Dairine erzählte niemandem von meinem Zusammenbruch und erwähnte ihn am nächsten Tag auch nicht mehr mir gegenüber. Trotzdem ging mir der Vorfall nicht mehr aus dem Kopf und ich versuchte mich während der Heimfahrt mit dem Bus krampfhaft daran zu erinnern, was ich gesehen und gehört hatte. Der Mann mit den hellblonden Haaren war in Elizas Alter gewesen und passte eindeutig in ihr Beuteschema, da er mit einem Wort zu beschreiben war: rebellisch.

      Doch sie hatten eindeutig einen Streit gehabt. Eliza hatte irgendetwas getan, wofür der Mann sich an ihr rächen wollte. Das war nichts Ungewöhnliches. Eliza machte sich ständig Feinde. Aber was machte sie überhaupt in London? Ihr Brief kam doch aus Amerika. Das passte einfach nicht zusammen.

      Der Bus fuhr gerade in den Hauptbahnhof von Wexford ein, als Dairine mich grinsend anstieß und aus dem Fenster deutete. Verwirrt sah ich an ihr vorbei durch die Scheibe und vergaß sofort alle Gedanken. Ich hatte erwartet,