Название | Dear Sister 1 - Schattenerwachen |
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Автор произведения | Maya Shepherd |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738059755 |
Mit einem zufriedenen Lächeln nahm ich ihm die Sonnenblume aus der Hand, während er meinen Koffer aus dem Gepäckfach des Buses hob. Händchen haltend gingen wir zu dem alten Pick-up seiner Eltern. Ganz Gentleman hielt er mir die Tür auf. Grinsend machte ich einen Knicks, bevor ich einstieg.
Lucas lief um das Auto herum und nahm hinter dem Steuer Platz, bevor er den knatternden Motor startete. Wir fuhren vom Parkplatz, während ich lächelnd zwischen Lucas und der Sonnenblume hin und her sah. Lucas bemerkte meinen Blick und erwiderte: „Rosen fand ich zu langweilig für dich!“
Er kannte mich manchmal besser als ich mich selbst. Er war eben nicht nur mein fester Freund, sondern auch mein bester Freund. Ich liebte ihn für diese kleinen Aufmerksamkeiten. „Die Sonnenblume ist perfekt!“
Lucas grinste zufrieden, während wir von der viel befahrenen Hauptstraße auf den kleinen Trampelpfad, der mitten durch die Wiesen und Felder führte, in Richtung Slade’s Castle abbogen. „Wie war‘s in London?“
Sofort dachte ich erneut an Eliza. Wenn ich Lucas von meinem Erlebnis erzählte, würde er mir vermutlich glauben. Alleine schon deshalb, weil er wollte, dass Eliza zurückkam. Doch mir war meine Zeit mit ihm zu wertvoll, um über meine ältere Schwester zu sprechen. „Ganz okay“, erwiderte ich deshalb nur nichtssagend. „Mit dir wäre es schöner gewesen“, fügte ich schnell lächelnd hinzu. Lucas begann zu lachen und meinte: „Wir können ja bald mal zusammen hinfahren, wenn deine Eltern es erlauben.“
Ich grinste ihn an. „Solange du bei mir bist, erlauben sie mir alles. Du weißt doch, dass sie dich vergöttern.“
Zufrieden sah ich, wie Lucas‘ Wangen erröteten. „Ich würde auch nie etwas tun, das dich in Gefahr bringen könnte.“
So war mein Lucas: fürsorglich und verantwortungsvoll. Manchmal zog ich ihn deshalb damit auf, dass er spießig sei, aber eigentlich liebte ich ihn dafür nur noch mehr. Einer von uns musste schließlich der Vernünftige sein.
4. Anonyme Anruferin
„Hier ist der Notruf neun-neun-neun. Welche Art von Notfall haben Sie zu melden?“
Ein gehetzter Atemstoß drang durch den Telefonhörer, so, als ob jemand rennen würde. „Es passiert wieder“, antwortete eine weibliche Stimme weinerlich.
„Worum geht es, Miss? Sind Sie verletzt?“
Es war ein Rascheln zu hören. Offenbar befand sich die Anruferin im Freien. Der diensthabende Officer sah aus dem Fenster in die finstere Nacht. Es regnete und stürmte: Ein Wetter, bei dem man nicht einmal einen Hund vors Haus jagen würde.
„Es ist zu spät“, schrie das Mädchen plötzlich aufgebracht.
Der Officer runzelte die Stirn und winkte einen Kollegen zu sich.
„Wo befinden Sie sich?“
„Churchtown“, kam die gepresste Antwort.
„Ich schicke sofort jemanden los“, versuchte der Officer das Mädchen zu beruhigen. „Können Sie mir sagen, wo genau Sie sich befinden und was passiert ist? Sind Sie alleine?“
Ein lautes Klappern drang durch den Telefonhörer. Vermutlich hatte die Anruferin das Handy fallen lassen. Es war ein lauter Schrei zu hören, gefolgt von einem Knistern und Rascheln wie bei einem Kampf. Danach brach plötzlich die Verbindung ab.
Alarmiert sah der Polizist auf seinen Computerbildschirm. Die Verbindung war zu kurz gewesen, um eine genaue Ortung zu ermöglich - genau wie beim letzten Mal. Aber es hatte ausgereicht, um festzulegen, dass das Mädchen aus der Nähe des Hafens angerufen haben musste. Der Anruf erinnerte ihn beunruhigend an den schrecklichen Vorfall vor nicht einmal einer Woche. Er hoffte jedoch, dass er sich täuschen würde und schickte einen Streifenwagen los, um nach dem Rechten zu sehen.
Der Polizeiwagen bog in die breite Hafenstraße ein. Es regnete so stark, dass die Scheibenwischer im Dauereinsatz waren und die Polizisten trotzdem kaum etwas in der Dunkelheit sehen konnten. Der Wind peitschte unablässig gegen den Wagen. Doch bereits nach wenigen Metern sahen sie schon den Grund für ihren Einsatz. Ein Stück vor ihnen lag mitten auf der Straße, direkt unter einer Laterne, ein nackter Körper.
Sie verlangsamten das Tempo und brachten den Wagen schließlich ganz zum Stehen. Die beiden Männer sahen sich zögernd an. Der Anblick des letzten toten Mädchens war noch frisch und sie hatten gehofft, so etwas nie wieder sehen zu müssen. Doch jetzt würden sie auch noch die Ersten an dem neuen Tatort sein. Am liebsten wären sie gar nicht ausgestiegen, aber vielleicht konnten sie dem Opfer noch helfen, auch wenn sie sich nur wenig Hoffnung machten.
Seufzend stieß der erste Officer die Tür auf und stemmte sich gegen den Wind. Der Regen peitschte ihm heftig ins Gesicht.
Vorsichtig trat er auf den leblosen Körper am Boden zu. Es war wieder eine junge Frau. Rund um sie herum waren die Reste eines Kreises zu erkennen. Beim letzten Mal war das weiße Pulver Salz gewesen, was erklären würde, warum es sich nun bei dem starken Regen beinahe komplett aufgelöst hatte. Dieses Mal gab es keinen Baum, der dem Leichnam Schutz bot.
Ihr Körper war übersäht von frischen, blutigen Schnittwunden. Die größte zog sich über ihre Kehle, was vermutlich zum Tod der Frau geführt hatte. Es war unnötig, zu überprüfen, ob ihr Herz noch schlug. Für die Frau gab es keine Rettung mehr. Es war wie ein Déjà-vu, alles war wie beim ersten Opfer.
Hastig eilte der Mann zurück zu dem Wagen, um den Leichenfund zu melden.
5. Winter
Wir sahen die Polizeiwagen schon von Weitem vor der Schule stehen. Alle Schüler drängten sich an die Fenster und spähten neugierig nach draußen. Lucas drückte meine Hand etwas fester. Sofort ging das Gerücht um, dass die Polizei bestimmt eine weitere Leiche gefunden hätte. Komischerweise dachte ich dabei an Eliza, obwohl der Ausflug nach London mittlerweile eine Woche zurück lag.
Als wir aus dem Schulbus stiegen, wurden wir von zwei Lehrern in Empfang genommen, die uns im Gänsemarsch zu der Aula führten, in der alle Schüler sich versammeln mussten. Lucas und ich mussten uns voneinander trennen, da wir uns zu unseren Jahrgangsstufen setzen sollten. Dairine winkte mir von der zweiten Reihe aus zu. Sie hatte mir einen Platz freigehalten, das machte den Abschied von Lucas etwas leichter. Er hauchte mir einen kurzen Kuss auf die Lippen und flüsterte schelmisch: „Ich lasse dich nicht aus den Augen.“
Wärme durchflutete meinen Körper und ich hielt seine Hand etwas länger fest als nötig, bevor sich unsere Finger endgültig voneinander lösten und ich zu Dairine eilte. Ich drängte mich an meinen lauten und aufgeregten Mitschülern vorbei und ließ mich erleichtert neben meine Freundin sinken. „Weißt du, was hier los ist?“
Dairine zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich haben sie wieder eine Leiche gefunden.“
Es hörte sich vielleicht eigenartig an, wie lässig wir über das Thema sprachen, aber solange man nicht betroffen war, stellte sogar ein Mord eine willkommene Abwechslung in einer Kleinstadt wie Wexford dar.
Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis alle Schüler endlich Platz genommen hatten und unser Schuldirektor Mr. Sutherland auf die Bühne trat. Er klopfte gegen das Mikrophon, sodass ein lautes Knistern zu hören war. Das aufgeregte Gemurmel verstummte