Eingeäschert. Doug Johnstone

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Название Eingeäschert
Автор произведения Doug Johnstone
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783948392437



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können, aber das würde sich ändern. Man muss nicht jeden Raum in einem Song füllen, in neun von zehn Fällen ist es besser, wenn Luft zum Atmen bleibt. Aber das akzeptieren zu können, ist in keinem Alter leicht, und erst recht nicht für einen hormongesteuerten Teeny.

      Dorothy erinnerte sich, wie sie selbst als Teenager gewesen war, mit ihrem Second-Hand-Schlagzeug von Pearl im Hobbyraum, wie sie darauf eingedroschen, zu The Kinks und MC5 getrommelt hatte. Ihre Eltern waren bei allem ziemlich offen und vorurteilsfrei gewesen, obwohl sie nie vorgaben, ihre Besessenheit zu verstehen. Es war eine verrückte Zeit für Musik, natürlich die Beatles und die Stones, aber sie hatte schon immer mehr das Underground-Zeug gemocht, und das setzte sich über die Jahre fort.

      Sie erinnerte sich gut an Jims Gesicht, als sie sagte, sie wolle im obersten Stock des Hauses ein Schlagzeug aufbauen. Zu dem Zeitpunkt war sie seit zwei Jahren in Schottland und vermisste Pismo Beach wie verrückt, und sie brauchte eine Möglichkeit, an ihre von der Sonne geküsste Pubertät anzuknüpfen. Jim verstand das. Und als das Schlagzeug einmal da war, war es kein so großer Schritt mehr, übers Unterrichten nachzudenken. Gut genug war sie, es machte kaum sonst jemand, und es war ein anständiges Zusatzeinkommen. Es waren die frühen Siebzigerjahre, also fingen jede Menge Kids an, ihre eigenen Rockbands zu gründen, und Dorothy half ihnen wahnsinnig gern dabei und konnte sich gleichzeitig auf dem Laufenden halten, was musikalische Trends betraf. Es war gesund, die körperliche Betätigung an sich machte sie stark, während das Yoga sie gelenkig hielt. Und es war auch ein Spiegel dieser Meditation, sich in etwas Größerem zu versenken.

      Und es kamen immer wieder neue Schüler, trotz Drum Machines und Rave und dem ganzen Rest. Das Geld war natürlich nützlich, aber das Gefühl von Identität war wichtiger, gab ihr etwas, das ihr allein gehörte, jenseits des Geschäfts mit dem Tod.

      Der Song ging zu Ende, und Abi setzte sich zurück, hatte die Zungenspitze zwischen den Zähnen. Sie war recht groß für ihr Alter, lange Beine in Jeansshorts, und auf ihrem schlabberigen weißen T-Shirt umschlangen Rosen den Aufdruck »Feminist as Fuck«. Ihr Gesicht war schweißgebadet, glänzte, und sie sah Dorothy erwartungsvoll an.

      »Du weißt es, stimmt’s?«, sagte Dorothy.

      Abi nickte. Sie war zunehmend selbstbewusster, und Dorothy liebte es.

      »Irgendwo in der Mitte ist es mit mir durchgegangen«, sagte Abi. »Es war zu viel.«

      »Aber es hat sich super angehört. Deine Floor Tom ist absolut spitze.«

      Abi grinste. Es war so einfach, einem Kid ein gutes Gefühl zu geben.

      Dorothy sah auf die Uhr an der Wand. »Okay, das war’s für diese Woche.«

      Abi legte die Schlagzeug-Sticks beiseite und schlängelte sich hinter dem Schlagzeug hervor. Es war ein schönes altes, orange-gelbes Ludwig, flache Toms und Snare Drum, aber immer noch mit reichlich Wumms. Dorothy war es ein wenig peinlich, wie sehr sie dieses Schlagzeug liebte. Es war schließlich nur ein Gegenstand, aber das handwerkliche Geschick, mit dem es hergestellt worden war, und sein Zweck machten es zu etwas ganz Besonderem.

      »Danke, Mrs S«, sagte Abi. »Und, Sie wissen schon, tut mir echt leid, das mit Mr S.«

      Dorothy zögerte einen Moment. »Wir sehen uns nächste Woche, Abi, und vergiss nicht, dir ein paar Sachen von Janet Weiss’ anderer Band anzuhören, von Quasi, bei denen lässt sie so richtig die Sau raus.«

      Abi richtete zwei zu einer Schusswaffe geformte Finger auf Dorothy, dann ging sie, und Dorothy stand schweigend da. Sie setzte sich ans Schlagzeug, nahm die Sticks und begann mit einem Country Shuffle, mischte Offbeats und Trills unter. Dann legte sie richtig los, öffnete ihren Körper, setzte alle paar Takte Becken und Toms ein. Sie versuchte zu spüren, was Abi vor wenigen Minuten gespürt hatte, aber sie konnte immer nur an Jim denken, der zwei Etagen unter ihr als Aschehäufchen da lag, an Rebecca Lawrence und ihren verschwundenen Ehemann und die zehnjährige Tochter, an all das Geld, das Jim über die Jahre gezahlt hatte, an die Geheimnisse, die dieses Geld darstellte. Sie übertrieb es jetzt ebenfalls beim Trommeln, wollte zu sehr, machte genau das, wovor sie Abi gewarnt hatte. Aber sie machte es trotzdem, versuchte, sich gehen zu lassen, jedes konkrete Körpergefühl zu verlieren und sich stattdessen als Teil zu fühlen von etwa Größerem als ihren dummen kleinen Sorgen.

      Es funktionierte nicht.

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      Die Leute dachten nie darüber nach, wie schwer es war, eine Leiche anzuziehen. Die Unterhose war noch relativ einfach, aber dennoch war es eine Herausforderung, zuerst das eine Bein und danach das andere hineinzubekommen. Der BH war ein ziemliches Gefummel, Archie musste Ginas Körper auf die Seite rollen, damit Dorothy ihn hinten schließen konnte. Am schwersten war jedoch die Strumpfhose, heben und drehen, quetschen und massieren. Es war ein Job für zwei Leute, und obwohl sie und Archie den Bogen weitgehend raushatten, war es ein ziemlicher Aufwand. Gina sollte ein rotes Kleid tragen, aber der Stoff war recht dünn, und Dorothy hatte Angst, dass es an einer der Klammern hängen bleiben könnte, mit denen das Futter an den Sarg getackert war, wenn sie versuchten, sie hineinzulegen. Sie streiften ihr zuerst die Arme über, als sie lag, dann richteten sie sie auf und zogen ihr das Kleid über den Kopf und den Rücken. Sie legten sie wieder hin, und Archie hob ihr Becken an, damit Dorothy das Kleid über den Hintern ziehen und den Saum über den Knien glatt streichen konnte, schließlich wurden die Träger an den Schultern und der Büste zurechtgerückt, damit alles schön symmetrisch war.

      Archie hatte bereits das Make-up und die Haare erledigt, bevor Dorothy eintraf, und er hatte wie immer gute Arbeit geleistet, sie sah den Fotos sehr ähnlich, die sie am Einbalsamierungstisch aufgestellt hatten. Dorothy zog Gina die roten Stöckelschuhe an, musste dabei daran denken, dass sie sie nie mehr ausziehen würde, nie mehr die Erleichterung empfinden würde, wenn sie die Schuhe nach einer langen Nacht abstreifte. Sie legte ihr die kleinen Creolen an, spürte dabei die Kälte von Ginas Ohrläppchen, wischte einen abgelösten Faden des Kleides von ihren Lippen.

      Archie rollte den Sarg auf der Rollbahre heran und fuhr mit der Hand einmal innen herum, prüfte auf Holzsplitter oder Krampen, nach rauen Stellen des Futters. Dann senkte er die Bahre herab, bis die Öffnung des Sargs sich auf einer Höhe mit dem Einbalsamierungstisch befand. Sie stellten sich oben und unten neben Gina und legten die Hände unter ihre Achseln und Knie.

      »Eins, zwei, drei«, sagte Dorothy, und sie hoben sie auf drei in die Kiste, senkten sie langsam ab. Dorothy brachte das Kleid in Ordnung, das an einer Seite hochgerutscht war, richtete Ginas Füße aus, legte ihr die Hände auf den Schoß und strich mit einem Finger den Arm hinauf bis zum Schlüsselbein. Archie hatte die Flecken an ihrem Hals erfolgreich überdecken können, man sah sie nur noch, wenn man sehr genau hinschaute.

      »Sie sieht friedlich aus«, sagte Dorothy. »Du hast gute Arbeit geleistet.«

      »Danke.« Er räumte die Tasche fort, in der die Kleidungsstücke gekommen waren, und begann, den Tisch abzuwischen.

      Dorothy legte den Deckel auf den Sarg und schob die Rollbahre aus dem Einbalsamierungsraum ins Hauptgebäude, durch die Verbindungstür und vorbei an Indy hinter der Rezeption, weiter in den Verabschiedungsraum.

      Indy folgte ihr und half dabei, den Sarg von der Rollbahre auf den Tisch in der Mitte des Raums zu heben. Einfaches weißes Tuch, hohe Vasen mit Lilien links und rechts, alles durch die Jalousien in gedämpftes Sonnenlicht getaucht. Zwei Sessel und eine kleine Kommode mit einer Schachtel Papiertaschentücher darauf, an der Wand das Gemälde eines Sonnenuntergangs.

      »Ms O’Donnell, richtig?«, fragte Indy.

      »Gina, ja.«

      Dorothy sah Indy an. Sie wussten beide, wie Gina gestorben war, und empfanden gemeinsam eine unausgesprochene Traurigkeit. Aber es spielt keine Rolle, wie du stirbst, dachte Dorothy, wichtig ist allein, wie du lebst.

      »Führst du die Beerdigung durch?«, fragte Indy.

      Dorothy nickte.

      »Brauchst du dabei Hilfe?«

      »Archie und ich haben es im Griff.« Dorothy