Die «Santa Barbara» verwandelte sich in ein nach allen Seiten feuerspuckendes Ungeheuer. Die Arwenacks entfesselten die Hölle – sie konnten es, denn die Galeone lag fest, kein Mann wurde für Segelmanöver an Schoten oder Brassen gebraucht, jeder stand für die Waffen zur Verfügung. Sie ließen die Kuh fliegen, wie einer ihrer Ausdrücke lautete, und sie brüllten den Piraten, die von allen Seiten angriffen, ihren wilden Schlachtruf entgegen. Als zwei Zweimaster den Abwehrgürtel durchbrachen, setzte Hasard die chinesischen Brandsätze gegen sie ein – im Direktbeschuß. Heulend, jaulend und pfeifend rasten die Raketen in flacher Bahn gegen die beiden Segler…
Als Hasard und seine zwölf Mannen die Galeone geentert hatten, schwante ihnen, daß der dicke spanische Kapitän die Wahrheit gesagt hatte – sie war bereits zu riechen, ganz abgesehen von dem Gezeter das aus dem Laderaum nach oben drang: wie hier oben an Deck, wo Käfige standen, so waren auch diese verdammten Kästen unten im Laderaum verstaut. Hasard musterte die Käfige an Deck, und sein Blick wurde eisig. Da waren bereits ein paar Affen, die apathisch herumhockten oder aus trüben Augen durch die Gitterstäbe schauten – Tiere, deren Mienen in ihrer Qual fast menschlich wirkten. In Hasard stieg kalter Zorn hoch. Was waren das für Menschen, die Affen in Käfige sperrten, um sie über See zu verfrachten! Und der spanische Kapitän lächelte ölig…
Old Donegal starrte in die Schlangenaugen, merkte, daß mit ihm irgend etwas passierte, gegen das er sich nicht wehren konnte der Reptilienblick hielt ihn fest, und die Stimme des Spitzbartes sagte wie aus weiter Ferne: «Steh' auf, Engländer! Folge Mustafa und Yagil!» Old Donegal gehorchte, rappelte sich auf und schritt folgsam hinter den beiden Glatzköpfen her. In seinem Kopf hallten wie eherne Glockenschläge die vier Worte: «Folge Mustafa und Yagil – folge Mustafa und Yagil…» Daß der Spitzbart kicherte, hörte er nicht. Und er nahm auch nicht wahr, wohin er ging. Wichtig war einzig und allein, daß er bei Mustafa und Yagil blieb und sie nicht verlor. Old Donegal hatten keinen eigenen Willen mehr. Er war zu einem braven Hündchen geworden…
Zwar hatten Arne von Manteuffels Kolberger noch nie auf seiten der Spanier gekämpft, aber genau das taten sie jetzt, als sie die neun Schaluppen angriffen, deren Kerle gemeint hatten, mit der spanischen Handelsgaleone leichtes Spiel zu haben. Die erste Schaluppe wurde von der «Wappen von Kolberg» gleich auf die Hörner genommen. Ihr eisenharter Steven zerknackte die Backbordseite der Schaluppe wie eine dünne Eierschale, schob sich weiter, spaltete den Rumpf auf wie ein Axtkeil und vollendete das Zerstörungswerk auf der Steuerbordseite, deren Planken ebenfalls prasselnd und berstend durchbrochen wurden. Die Schaluppe klappte in zwei Teile auseinander…
Aus dem dunklen Schatten der gewundenen Steintreppe, die in das Kellergewölbe hinunterführte, lösten sich zwei Gestalten. Fast wie Katzen setzten sie die letzten Stufen hinunter und tauchten im Licht der Fackeln auf, das jetzt auch auf die blanken Klingen ihrer Degen fiel, die sie in den Fäusten hielten. Lucio de Velhos härtester Gegner hatte den Weg in das Kellergewölbe der Burgruine gefunden – Philip Hasard Killigrew, genannt der Seewolf. Sein Auftauchen genügte, Lucio de Velho zur Salzsäule erstarren zu lassen. Wie gelähmt war er. Sein Kichern über den Verrat Easton Terrys war verstummt, sein Mund zu einer Grimasse verzerrt…
Will Thorne behagte es so gar nicht, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Darum steckte er etwas umständlich die gespleißten Augen oben und unten am Flaggenliek an die Flaggleine der Besanrute an und heißte dann die Flagge Hand über Hand vor. Alle Augen an Bord der «Isabella» verfolgten den Vorgang. Auch auf den anderen Schiffen des Bundes sowie in den Jollen, die für die Munitionierung sorgten, war man aufmerksam geworden. Das schwarze Tuch, noch hängend, glitt an der Flaggleine schräg nach oben bis zur Nock der Besanrute, wurde vom Wind wie spielerisch hin und her bewegt – und wehnte plötzlich in seiner ganzen Länge aus. Da sahen alle die Flagge mit dem Symbol, und niemand brauchte ihnen zu erklären, was sie bedeutete…
Baobab, der Muskelriese, sagte etwas, und es war bestimmt nicht eine Einladung, daß es ihn freue, mit Carberry ein Schlückchen zu trinken. Nein, ganz gewiß nicht. Und er winkelte dabei seine rechte Keule von Arm an, um den Profos den Bizeps bewundern zu lassen. Der spuckte zur Seite und sah davon ab, seinerseits dem Gorilla zu zeigen, mit was sein Arm bepackt war. Mit Watte bestimmt nicht. Außerdem hatte die Erfahrung gelehrt, daß es keinen Zweck hatte, sich in derlei Situationen lange mit solchen Fisimatenten aufzuhalten. Nein, man kam sofort zur Sache, und das taten sowohl Carberry als auch Stenmark, dem Mehmed Bulba gezeigt hatte, daß seine Keule mit einem Kürbis bewachsen war…
"Der Pulverturm!" zischte Big Old Shane und raste los. Hasard wirbelte herum – und da sah er die Zündschnur. Der Klotz von Steinbau stand an der nördlichen Burgmauer von Arwenack. Dort befanden sich die Pulvervorräte der Feste – in Fässern übereinandergstapelt. Die Zündschnur verschwand unter der wuchtigen Tür im Inneren des Turms. Sie hatte leise geknistert. Das hatte Old Shane gehört. «Den Hof räumen!» brüllte Hasard. «Raus, Arwenacks! Gleich fliegt der Pulverturm in die Luft!» Und er stürmte zu Old Shane, der sich wie ein Berserker immer wieder gegen die Tür warf. «Weg, Shane!» brüllte Hasard. «Ich zerschieße das Schloß!» Shane glitt keuchend zur Seite. Hasard hob den Drehling und feuerte, bis er keine Kugel mehr im Lauf hatte. Das Schloß war zerfetzt. Sie rissen die Tür auf…
Die Schlacht in der Themsekneipe war ein Vorspiel zum Duell auf derThemse: Zwanzig Kerle von der «Arrow» sollten fünfzehn Arwenacks anräumen und spitalreif schlagen, damit sie für die Wettfahrt ausfielen. Die Rechnung ging nicht auf. Gleich zu Beginn nahm sich Carberry den Oberraufbold vor. Potter hieß der Kerl, und er war Bootsmann auf der «Arrow». Carberrys Hammer explodierte auf dessen Plattnase. Na, das war doch schon was. Potter überschlug sich zweimal, krachte auf einen Tisch und blieb auf ihm liegen, und zwar rücklings. Er stierte zum Gewölbe hoch, sah aber nichts, denn wer bewußtlos ist, nimmt nichts mehr wahr. Er wäre auch nicht sehr fröhlich gewesen, wenn er jetzt hätte zuschauen können. Seine Kerle wurden nämlich sozusagen aufgemischt…
Der Rauschebart namens Petrus war sich sicher, daß dieses narbige Ungetüm, das einst Profos einer Bande von ziemlichen Rabauken gewesen war, nur mit einem miesen Trick den Durchschlupf durchs Himmelstor gefunden hatte. Wenn Petrus an dieses Ereignis dachte, packte ihn jetzt noch das heilige Grausen, denn damals waren sie zu zweit vor dem Himmelstor aufgekreuzt: dieser Carberry und ein alter verwitterter Kerl, der sein Holzbein ans Tor gedonnert und Einlaß begehrt hatte. Old Donegal Daniel O'Flynn hieß der andere. Und er hatte polternd gefragt, wo hier die «Rutsche» sei. Man habe von der Reise durstige Kehlen und müsse «verlöten». Und als die beiden Kerle auf einer Wolke dann durchs Himmelstor gesegelt waren, hatte ihm der Papagei etwas zugerufen – ein furchtbares Wort, nämlich: «Affenarsch…!» Im Jahre 2009 kehrten die Arwenacks auf die Erde zurück – mit einem Auftrag des Herrn der himmlischen Heerscharen.